Kommunales

Gemeinsam mit Stefan Pitroff, Mitarbeiter des Baureferats der Bezirksverwaltung, begutachtet Josef Mederer (rechts) die Baufortschritte bei der energetischen Sanierung der Zentrale des Bezirks Oberbayern an der Münchner Prinzregentenstraße. (Foto: Peter Bechmann)

13.01.2017

„Bei seelischen Notlagen wird künftig zeitiger geholfen“

Oberbayerns Bezirkstagspräsident Josef Mederer (CSU) über Verbesserungen beim Bundesteilhabegesetz, den neuen psychiatrischen Krisendienst und aktuelle Bauprojekte

Lange haben die Bayerischen Bezirke dafür gekämpft, jetzt ist das Bundesteilhabegesetz (BTHG) zum 1. Januar 2017 in Kraft getreten. Aber die Arbeit für das Projekt ist aus Sicht des oberbayerischen Bezirkstagspräsidenten Josef Mederer damit noch nicht erledigt. Jetzt gelte es, „die legislativen Feinheiten auszutarieren“. BSZ: Herr Mederer, warum muss denn jetzt am Bundesteilhabegesetz noch nachjustiert werden?
Mederer: Wir haben jetzt im Vollzug die Möglichkeit, festzustellen, wo es konkret noch hakt und wo noch präzisiert werden muss. Allein in der Bezirksverwaltung in Oberbayern beschäftigen sich derzeit rund 80 Mitarbeiter neben ihrer täglichen Arbeit in zehn Arbeitsgruppen mit der reibungslosen Umsetzung des Gesetzes. Daneben gibt es noch Arbeitsgruppen mit den Verbänden der Leistungserbringer und beim Bayerischen Bezirketag, um eine nahtlose Umsetzung in Bayern sicherzustellen.

BSZ: Welche Punkte müssen noch verbessert werden?
Mederer: Wir hätten uns die Abgrenzung zwischen den Pflegeversicherungsleitungen und der Eingliederungshilfe eindeutiger gewünscht, und zwar zugunsten der Menschen mit Behinderung. Um diese Schnittstelle wird sicher noch gerungen werden. Auch bei der Definition des Behinderungsbegriffs an sich wird man sehen, was herauskommt. Hier ist eine Evaluation bis 2023 geplant, um zu sehen, ob Personen schlechtergestellt werden würden. Solange arbeiten wir Bezirke mit dem bisherigen Behinderungsbegriff.

BSZ: Wo drückt noch der Schuh?
Mederer: Bei der Umsetzung der Einkommens- und Vermögensgrenzen, die ja angehoben worden sind. Dies ist aus meiner Sicht auch sinnvoll und das richtige Signal für die Menschen mit Behinderung. Laut Gesetz sollen daraus für den Sozialhilfeträger aber keine Mehrkosten entstehen. Was das unterm Strich bedeutet, werden wir dann sehen.

BSZ: Welchen Punkt wollen Sie noch genauer geregelt haben?
Mederer: Die schulische Bildung. Wir Bezirke stellen die Schulassistenz, damit Kinder mit Behinderung im Sinne der Inklusion an der Regelschule unterrichtet werden können. Was aber noch fehlt, ist die Regelung des pädagogischen Mehraufwands. Hier ist der Freistaat, sprich das Kultusministerium, in der Pflicht, damit Bildung wirklich inklusiv wird.

BSZ: Werden all diese Punkte nur die Bezirke vortragen?
Mederer: Das geschieht alles in Abstimmung mit den anderen sechs bayerischen Bezirken und mit den Trägern der Einrichtungen in der Behindertenhilfe. Da ziehen wir schon an einem Strang! Ich möchte auch nicht, dass es so klingt, als würde ich das Bundesteilhabegesetz schlecht reden. Das Gegenteil ist der Fall: Das Gesetz geht in die richtige Richtung und ist ein Fuß in der Tür. Ich habe sehr gehofft, dass es in dieser Legislaturperiode des Bundestags noch kommt. Nun muss es in der Praxis erprobt werden und dann können wir mit Änderungsvorschlägen kommen. Die Gelegenheit dazu ist da.

BSZ: Was kommt auf den Bezirk Oberbayern außer dem Bundesteilhabegesetz im neuen Jahr 2017 noch zu?
Mederer: Die Pflegestärkungsgesetze II und III müssen umgesetzt werden. Auch das bindet zusätzliche Arbeitskraft. Wir müssen Überleitungsbescheide für alle Betroffenen erstellen, in Oberbayern sind das wohl an die 13.000 Bescheide.

BSZ: Warum das?
Mederer:
Weil jetzt nicht mehr die bisherigen Pflegestufen mit ihren drei Varianten gelten, sondern Pflegegrade. Diese Pflegegrade sehen fünf verschiedene Einstufungsmöglichkeiten vor. Damit will man der individuellen Situation der Betroffenen gerechter werden. Demenzerkrankungen werden viel stärker als bisher berücksichtigt.

BSZ: Ist es ein großer Aufwand, diese neuen Bescheide zu erstellen?
Mederer: Ja, denn wir müssen unsererseits die Bescheide der Pflegekassen abwarten und anhand derer dann den Betroffenen neue Kostenbescheide erstellen. Wichtig ist, dass bei der neuen Einstufung niemand schlechter gestellt werden darf als bisher. Um die neuen Bescheide rausschicken zu können, muss ein neues Softwaremodul eingespielt und getestet werden. Deshalb haben zwischen den Feiertagen auch viel mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten müssen als üblich.

BSZ:
Welches große Thema wird den Bezirk Oberbayern 2017 noch bewegen?
Mederer: Der psychiatrische Krisendienst soll bis Herbst dieses Jahres in ganz Oberbayern flächendeckend von neun bis 24 Uhr präsent sein. Bisher war das nur im Großraum München der Fall. Hierfür nehmen wir dann in der Endausbaustufe jährlich bis 7,4 Millionen Euro in die Hand.

BSZ:
Aber diesen Dienst soll es doch in ganz Bayern geben. Wie viel kostet er für den gesamten Freistaat?
Mederer: Erste Schätzungen gehen von knapp 20 Millionen Euro aus, wenn der Dienst nach dem Modell in Oberbayern aufgebaut werden sollte. Wir haben eine Zusage, dass der Freistaat sich an den Kosten beteiligen will. Im Banne des Münchner Amoklaufs hat sich die Staatsregierung einen Ruck gegeben und will rund vier Millionen Euro übernehmen – auf Bayern bezogen. Das sind in etwa die Kosten für die Leitstelle, die dann die Einsätze koordiniert.

BSZ: Und der Freistaat steht zur Kostenübernahme?
Mederer: Ja, davon gehe ich fest aus. Aber die Krankenkassen wollen sich leider nach wie vor nicht beteiligen, obwohl sie mit Sicherheit auch finanziell davon profitieren werden. Ich bin absolut davon überzeugt, dass der Krisendienst viele stationäre Klinikaufnahmen verhindern helfen kann. Ich hoffe, dass wir das auch im Laufe der Projektlaufzeit konkret belegen können.

BSZ: Was ändert sich rein praktisch?
Mederer: Wenn bisher jemand den Notruf auslöst, weil eine Person eine psychische Krise hat, rücken zum Beispiel in der Regel der First Responder, der Notarzt, der Rettungswagen und die Polizei aus. Das kostet Geld und bindet aber vor allem diese Kräfte, sie fehlen dann für andere wichtige Notfalleinsätze. Mit dem neuen Krisendienst Psychiatrie können viele Problemlagen schon am Telefon mit unseren Spezialisten in der Leitstelle geklärt werden und bei Bedarf ist in jeder Region ein Team von Spezialisten vor Ort in Rufbereitschaft, die direkt eingesetzt werden können. Ein Einsatz von Polizei und Rettungsdienst ist dann oftmals nicht mehr in diesem Umfang nötig. Auf diese Weise kann viel Not und Leid von Betroffenen und Angehörigen genommen werden, aber es entstehen auch weniger Kosten.

BSZ: Wieso Not und Leid?
Mederer: Weil wir dann solche Krisensituationen in der Familie klären können und beispielsweise auch mangels anderer Optionen auch wesentlich weniger Zwangseinweisungen haben werden. Diese haben ja immer zur Folge, dass ein Mensch in eine geschlossene Station einer psychiatrischen Klinik eingewiesen wird. Durch den neuen Krisendienst sind hoffentlich viele dieser Zwangseinweisungen nicht mehr nötig. Denn entweder lassen sich die Problemlagen mit allen Beteiligten gut lösen und wir können auch eine ambulante Weiterbetreuung organisieren, oder aber der Betroffene geht freiwillig in die Klinik mit und beginnt dort eine Therapie mit der klaren Einsicht und Einstellung, dass diese notwendig ist. Das ist ein gewaltiger qualitativer und positiver Unterschied zum bisherigen Hilfesystem.

BSZ: Gibt es noch eine Großaufgabe für den Bezirk Oberbayern 2017?
Mederer: Wir investieren sehr viel in unsere Liegenschaften. So geht im Verwaltungsgebäude zum Beispiel die energetische Sanierung weiter. Allein 2016 konnten wir durch diverse Maßnahmen, wie Nachtabsenkung, verbesserte Pumpensteuerung und Fenstertausch, unsere Heizkosten erneut um zehn Prozent senken. Und aufs Dach des Gebäudeteils, der gerade umgebaut wird, kommt eine Photovoltaikanlage. Bei allen Baumaßnahmen in Einrichtungen des Bezirks wird geprüft, ob eine Photovoltaikanlage Sinn macht. Mit dieser Eigenstromversorgung wollen wir unseren Beitrag zur Energiewende leisten. Das tun wir auch mit zwei Elektro- und zwei Hybridautos im Fuhrpark.

BSZ: Was ist eigentlich im kulturellen Bereich für 2017 vorgesehen?
Mederer: Im Sommer haben wir wieder unsere Kulturtage „Zamma“, die sich inzwischen als inklusives Mitmach-Festival etabliert haben. Inklusion wollen wir aber auch in unseren Museen noch stärker thematisieren. Auf der Glentleiten gibt es jetzt schon ein Gebäude, das man mit allen Sinnen erleben kann. Konkret bedeutet dies, dass blinde Menschen viele Exponate mit den Händen ertasten können, Brailleschrifttafeln angebracht sind und Audioguides angeboten werden.

BSZ: Da investiert der Bezirk Oberbayern 2017 ja eine ganze Menge Geld.
Mederer: Ja, dafür haben wir auch einen 100 Millionen Euro umfassenden Vermögenshaushalt beschlossen, ohne die sozialen Leistungen einzuschränken. Die größte Einzelinvestition ist aber die Generalsanierung unseres Berufsbildungswerks in München-Johanneskirchen.

BSZ: Was kann man da eigentlich lernen?
Mederer: Junge Menschen mit Hör-und Sprachbehinderung aus ganz Bayern können dort verschiedene Berufsabschlüsse erwerben, um sich für den ersten Arbeitsmarkt zu qualifizieren. Das zweite BBW in Bayern für diesen Personenkreis ist in Nürnberg.

BSZ: Und das funktioniert?
Mederer: Wir können unsere Absolventinnen und Absolventen bestens vermitteln. Egal ob das Friseure, Mechatroniker, Mediengestalter, Metallbauer oder Orthopädieschuhmacher sind, um nur einige der Berufe zu nennen, die man in Johanneskirchen erlernen kann.

BSZ: Was wünschen Sie sich persönlich für 2017?
Mederer: Einen weiterhin konstruktiven und fairen Umgang im Bezirketag und im Austausch mit den Verbänden. Dass die Staatsregierung die Anliegen der kommunalen Familie, insbesondere die sozialpolitischen Herausforderungen, wohlwollend prüft und umsetzt. Dass Berlin das Bundesteilhabegesetz weiterentwickelt. Und – ganz wichtig – dass die für die Eingliederungshilfe versprochene fünfte Milliarde Euro vom Bund den Bezirken direkt zugute kommt.
(Interview: Ralph Schweinfurth)

Die vollständigen Seiten des Bayerischen Bezirketags Teil 1

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