Kommunales

In ihrem einzigen Vorführsaal bietet Kino-Chefin Petra Löw 191 Sitzplätze, bei einer Vorführung blieben davon kürzlich 190 frei: Konsequenz aus den Vorschriften der bayerischen Staatsregierung, die für den Besuch neben 2G plus auch eine Maske und weite Abstände anordnen. (Foto: Paul)

26.12.2021

Das Sterben der Traditionskinos hat begonnen

Rund 80 Prozent weniger Umsatz als vor der Pandemie verzeichnen beispielsweise die seit über 70 Jahren als Familienbetrieb geführten Gröbenlichtspiele in Gröbenzell

Die Kinos leiden seit Beginn der Pandemie mit am meisten unter den staatlichen Zugangsbeschränkungen: Die Vorschriften sind viel strenger als etwa bei Restaurants, Läden und Sporteinrichtungen – und anders als die Theater und Opern in öffentlicher Hand bekommen sie weniger finanzielle Unterstützung. Es droht ein großes Kinosterben.

Im Foyer der Gröbenlichtspiele in Gröbenzell ist es an diesem Montagnachmittag gähnend leer. Für den Fantasyfilm Clifford der große rote Hund kauft tatsächlich nur ein einziger Zuschauer ein Ticket. Und das könnte noch daran liegen, dass heute Kinotag ist, man das Ticket also bereits für sieben Euro bekommt. Davon geht dann die Hälfte an den Verleih und vom Rest bedienen sich die Gema und der Filmförderungsfonds – alles vor Steuern, wohlgemerkt.
 

„Lockdown durch die Hintertür“


Der ältere Herr bringt alle geforderten Bedingungen mit, um den Vorführsaal betreten zu dürfen: Er ist geimpft, hat einen negativen Corona-Test und ist bereit, die knapp zwei Stunden eine Maske zu tragen. Für Kinos haben sich Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und sein Gesundheitsminister Klaus Holetschek (beide CSU) besonders strenge Vorschriften einfallen lassen: 2G plus, also Impfung und Test (außer Geboosterte) sowie Maskenpflicht. Und es darf auch nur ein Viertel der Sitze belegt werden. Zusätzlich kommt noch hinzu, dass zwei Personen, welche nicht dem gleichen Hausstand angehören, im Kino einen Abstand von 1,5 Meter einhalten müssten. Das heißt, dass man vor dem Kinobesuch zwar in einem Restaurant zusammen am Tisch ohne Test essen darf – sich beim anschließenden Kinobesuch aber getrennt setzen muss – Logik á la Staatsregierung und ein „Lockdown durch die Hintertür“, wie Sandra von Zabiensky, die Sprecherin des Hauptverbands der deutschen Filmtheater (HDF), sarkastisch meint.

Petra Löw, die Besitzerin der Gröbenlichtspiele, kann darüber nur noch den Kopf schütteln. „Gegenüber in der Gastwirtschaft braucht man keinen Negativtest, mitunter ist sie brechend voll, und die Leute dürfen die Maske am Tisch abnehmen.“ Auf die Dunkelheit während der Vorführung sollte man als Zuschauer*in nicht vertrauen: Die Behörden kontrollieren die Einhaltung der Vorschriften. Im Prinzip ist ein Kinobesuch also nur noch unter Gängelei möglich – was immer mehr potenzielle Gäste abschreckt. In Baden-Württemberg gelten weniger strenge Vorschriften. Die CSU interessiert es auch nicht, dass die Technische Universität Berlin in einer Atemluftstudie herausgefunden hat, dass von allen geschlossenen Räumen Kinos mit die sauberste Luft haben und die Ansteckungsgefahr deutlich geringer ist.

Bei den Gröbenlichtspielen, berichtet die Chefin, hat das zu einem Umsatzrückgang von rund 80 Prozent gegenüber 2019 – dem letzten Jahr vor Ausbruch der Pandemie – geführt. Der Betrieb des Kinos lohnt sich, rein wirtschaftlich gesehen, eigentlich längst nicht mehr. Petra Löw betreibt das Lichtspieltheater nur noch als überzeugte Cineastin und aus Traditionsbewusstsein. Denn die Gröbenlichtspiele sind das älteste durchgehend in Familienbesitz befindliche Filmtheater Bayerns. Am 1. Juli 1950 eröffneten die Großeltern von Petra Löw das Kino, das der Opa auch selbst gebaut hat.
 

"Rücklagen sind aufgebraucht"


Ihr Mann habe einen sicheren Job, die beiden Buben sind erwachsen, Miete für das Gebäude müsse sie keine bezahlen und sie habe aus ihrem früheren Beruf als Technische Zeichnerin was fürs Alter angespart, verrät die 59-Jährige. Somit kommt sie noch ganz gut über die Runden und könne sich die Leitung des Kinos, das sie vor zwölf Jahren nach dem Tod ihres Vaters übernahm, irgendwie leisten.

Andere Kinos haben bereits kapituliert – beispielsweise das Aibvision Filmtheater in Bad Aibling. „Das Kino bleibt vorerst geschlossen. Eine Öffnung, die nun zwar wieder erlaubt wäre, ermöglicht uns leider keinen wenigstens einigermaßen rentablen Spielbetrieb“, heißt es auf der Internetseite des Kinos. Leider kein Einzelfall: „Nach fast zwei Jahren Pandemie sind alle Reserven aufgebraucht“, berichtet Sandra von Zabiensky vom HDF. „Ohne ausgeweitete Überbrückungshilfe kommt im nächsten Jahr eine große Insolvenzwelle auf uns zu.“

Auch wenn es mit einem Saal und insgesamt nur 191 Sitzplätzen ein kleines Kino ist, so atmen die Gröbenlichtspiele doch Filmgeschichte. Im Foyer hängt ein Foto, das Petra Löws inzwischen verstorbene Eltern 1991 bei der ersten Vorführung von Rama dama zeigt. Ihre Mama im eleganten weißen Kleid und mit schwarzen Haaren schaut darauf ein wenig aus wie die Schauspielerin Hannelore Elsner; der Papa ist ganz seriös mit Anzug und Krawatte gekleidet und blickt ernst in die Kamera.

Neben dem Betreiber-Ehepaar stehen der Regisseur des Films, Joseph Vilsmaier, dessen Ehefrau und Hauptdarstellerin Dana Vávrová sowie ihr Co-Star Werner Stocker. „Alle auf diesem Foto sind inzwischen verstorben, die Vávrová und der Stocker waren noch so jung“, meint Petra Löw beim Betrachten und traurige Nachdenklichkeit schwingt in ihrer Stimme mit. „Kurios, dass ausgerechnet der Älteste, der Joseph Vilsmaier, am längsten gelebt hat.“ Der Filmemacher starb 2020 mit 81 Jahren.
 

Auch künstlerisch anspruchsvolle Arthouse-Filme


Die Gröbenlichtspiele mögen mit den modernen Multiplex-3D-DolbySound-XXL-Kinos auf den ersten Blick nicht konkurrieren können – aber sie bieten eben mehr als nur Popcorn-Kino á la Hollywood. Klar, im Foyer wird der neue Teil der Matrix-Reihe mit Keanu Reeves angekündigt. Aber bei Petra Löw haben auch künstlerisch anspruchsvolle Arthouse-Filme eine Chance; am Abend beispielsweise steht das Drama Ammonite mit Kate Winslet auf dem Programm – eine traurige Liebesgeschichte über die homosexuelle britische Paläontologin Mary Anning (1799 bis 1847), die das weltweit erste Skelett eines Ichthyosaurus fand und untersuchte.

Petra Löw verkauft nicht nur Eintrittskarten, Popcorn und Getränke – sondern sie berät vor allem ihre Stammgäste mit Begeisterung; weiß, welcher Film wem gefallen könnte. Man kann mit ihr richtig fachsimpeln – wozu sie momentan leider viel Zeit hat. Beim aktuellen Modehaus-Biopic House of Gucci – von dem der Autor dieses Textes meint, den könne man sich wohl vor allem wegen Hollywoodlegende Al Pacino (Der Pate) anschauen – kontert sie: „Ach, der hat doch nur eine Nebenrolle als tattriger alter Seniorchef Aldo Gucci. Aber die Sängerin Lady Gaga in der Hauptrolle seiner bösen Schwiegertochter Patrizia Reggiani – die ist richtig gut!“ Und Lady Gaga sei eben der Name, der auch beim jüngeren Publikum ziehe. Wie es sich für eine richtige Kinobetreiberin gehört, hat Petra Löw auch einen Lieblingsfilm: die Horrorkomödie Tanz der Vampire von und mit Roman Polanski von 1967.

Und – there’s no buisness like showbuisness – sie teilt auch gern die eine oder andere Klatschgeschichte über Filmschauspieler mit. Die manchmal dem widersprechen, was die Öffentlichkeit als Eindruck hat. „Der Til Schweiger beispielsweise gilt ja bei vielen Leute als eingebildet“, erzählt Petra Löw, „aber tatsächlich ist der total freundlich und hilfsbereit und versucht wann immer möglich, seine Filme auch in kleinen Kinos zu bewerben. Und dann nimmt er sich auch jede Menge Zeit für die Zuschauer.“ Ganz im Gegensatz zu Sebastian Bezzel, dem Dorfpolizisten aus den niederbayerischen Eberhofer-Krimis. „Das ist ein totaler Grantler“, ärgert sich die Kinobesitzerin noch heute. „Der war mal von der Verleihfirma für eine Autogrammstunde bei mir gebucht. Da hatte er aber keine Lust dazu und das hat er die Gäste auch spüren lassen.“
(André Paul)

 

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