Kommunales

Das rund 71500 Einwohner zählende Bayreuth ist derzeit die größte von einer Frau regierte Stadt in Bayern. Seit 2012 hat Brigitte Merk-Erbe (hier mit Sänger Roberto Blanco zur Eröffnung der Festspiele) das Amt der Oberbürgermeisterin inne. (Foto: dpa)

02.01.2015

Die Bezwingerinnen der Platzhirsche

Nirgendwo in der Politik ist der Frauenanteil so gering wie in den Kommunen

Auch wenn Kommunen die Basis des politischen Systems bilden, haben es Frauen dort manchmal schwerer, sich durchzusetzen, als im Land oder im Bund. Gerade auf dem Land herrscht oft noch ein gewisser Polit-Machismo. Doch immer öfter behaupten sich auch junge Bewerberinnen gegen die Widerstände männlicher Platzhirsche. Andrea Jochner-Weiß lacht, Tamara Bischof auch und Annika Popp, ebenso Brigitte Merk-Erbe – sie alle, die mit ihren Aussagen zu diesem Artikel beitragen, lachen sehr viel und sehr herzlich ins Telefon. Offenbar braucht es eine gute Portion Lebensfreude und Humor, um das zu werden, was diese Frauen sind: Landrätin oder (Ober-)Bürgermeisterin in Bayern.
„Ja, wir sind Exotinnen“, sagt Andrea Jochner-Weiß – und freut sich. Die CSU-Landrätin von Weilheim-Schogau ist allein unter 19 oberbayerischen Landräten und wünscht sich manchmal weibliche Verstärkung. Nicht, weil Jochner-Weiß ein Hascherl wäre und Verstärkung bräuchte – im Gegenteil. Oder weil sie glaubt, Frauen seien grundsätzlich die besseren Politiker, nein: „Es geht hier nicht um ,besser’ sondern um ,anders’, um die Ausgewogenheit.“
Ausgewogen im genderpolitischen Sinn ist die Besetzung der bayerischen Polit-Spitzenämter aber bei weitem nicht: Nur drei von 25 Oberbürgermeistern kreisfreier Städte im Freistaat sind Frauen (darunter keine der acht Städte mit mehr als 100 000 Einwohnern), nur 8,7 Prozent der restlichen Ober- und Ersten Bürgermeister sind weiblich. Bei den Landräten sind es mit vier von 71 Frauen sogar nur klägliche 5,6 Prozent...
Merkwürdig: Je höher die politische Ebene ist, desto höher ist auch die Frauenquote. Am vorteilhaftesten für die Damen sieht es im EU-Parlament aus: von den 13 bayerischen Abgeordneten in Brüssel sind sechs weiblich. Im Kabinett in München sitzen fünf Ministerinnen, macht 41 Prozent. 35,2 Prozent der bayerischen Bundestagsabgeordneten sind weiblich, immerhin noch 28,9 Prozent der Landtagsabgeordneten. Zur Erinnerung: Der Frauen-Anteil an den 12,4 Millionen Bayern beträgt 51,1 Prozent. Aber je näher man der Basis kommt, desto maskuliner wird die Politik. Dabei kann man doch gerade in der Kommunalpolitik am meisten bewegen – heißt es immer.
Gut findet das Missverhältnis offiziell keiner. Der Präsident des Bayerischen Landkreistags und Landrat von Deggendorf, Christian Bernreiter (CSU), meint, dass die vier von 71 Landrätinnen „eindeutig eine zu geringe Repräsentation von Frauen in kommunalen Spitzenämtern“ seien: „Das bedauere ich, denn das Arbeiten in gemischten Teams mit diesen hochqualifizierten und motivierten Frauen ist effektiv und gewinnbringend.“ Wilfried Schober, der Sprecher des Bayerischen Gemeindetags, findet keine Erklärung: „Weshalb es so wenige Bürgermeisterinnen in Bayern gibt, ist auch uns ein Rätsel.“

„Stadt-Land-Gefälle“

Erklärungsversuche unternimmt dagegen die Professorin Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing. Sie spricht von einem „Stadt-Land-Gefälle“: Zum einen sei das Engagement von Frauen in der Kommunalpolitik eben da höher, wo die Erwerbstätigkeit von Frauen ohnehin höher sei, also in Verdichtungsräumen. Zum anderen liege es aber „schlicht und ergreifend daran, dass die Mitgliedschaft von Frauen von Partei zu Partei unterschiedlich ist“: So gebe es bei CSU und Freien Wählern deutlich weniger Frauen als bei SPD und Grünen. Aber CSU und FW seien eben die auf dem Land erfolgreicheren Parteien: „Wenn die einen niedrigeren Frauenanteil haben, dann ist das zwangsläufig so, dass sie auch weniger Frauen für die Spitzenämter stellen.“
Das Argument teilt auch der Präsident des Bayerischen Städtetags, Nürnbergs OB Ulrich Maly (SPD). Er fügt noch hinzu: „Nicht wenige Experten meinen auch, die politische Kultur mit ,Seilschaften und Hinterzimmern’ sei eine männlich geprägte.“ Seine Kollegin aus Bayreuth, Brigitte Merk-Erbe (FW) hat das auch schon erfahren: „Einsam kommt man sich nicht gerade vor, aber es gibt schon Runden, die männlich dominiert sind, und da lassen die Herren einen schon mal spüren, dass frau nicht dazu gehört. Diese Männersolidarität spüre ich.“
Das ist sogar wissenschaftlich belegt: Der Mensch sucht sich als Kollegen, Mitstreiter oder Bewerber lieber Menschen, die so sind wie er selbst. Weil er sich selbst ja für gut hält. „Homosoziale Reproduktion“ heißt das. Dieses Phänomen, gepaart mit der Verlagerung der Politik aus dem öffentlichen, demokratisch legitimierten Raum in den Bereich der Berater und Lobbyisten, führt dann zur so genannten Androkratie, die politische Form des Patriarchats.
Dabei sind die Voraussetzungen heute um ein Vielfaches besser als noch vor einer Generation. Annika Popp (CSU) ist 27 Jahre alt und seit Mai 2014 Bürgermeisterin von Leupoldsgrün im Landkreis Hof (1240 Einwohner). Sie kann, mit den Händen Gänsefüsschen in die Luft zeichnend, sagen: „Jung und Frau, das ist in der CSU immer gut.“ Sie fasst damit zusammen, was die Strategen in allen Parteizentralen längst erkannt haben: Frauen wählen nur Parteien, die auch Frauen auf der Liste haben. Die Quote ist ein Vehikel dazu, mehr Frauen gegen männliche Widerstände auf die Listenplätze zu hieven. SPD und Grüne haben sie schon lange. Die Sozialdemokraten müssen 40 Prozent ihrer Ämter und Mandate mit Frauen besetzen, die Grünen sogar die Hälfte. FDP und FW haben keine Frauenquote, die CSU eine Miniversion: Erst 2010 beschloss die Partei, dass oberhalb der Orts- und Kreisverbände 40 Prozent der Ämter in den CSU-Gremien mit Frauen besetzt werden müssen.

Verlierer sind junge Männer

Annika Popp, die junge Bürgermeisterin, sieht die Quote dennoch zwiespältig. Sie ist Mitglied im Bezirksvorstand der oberfränkischen CSU und räumt freimütig ein: „Mir persönlich hat sie geholfen, aber ich finde sie nur für eine Übergangsphase gut, um es bei manchen Männern auch zu verfestigen: Da laufen viele Frauen rum, die gehören auch zu uns.“ Ein Bruch mit der homosozialen Reproduktion sozusagen. Aber Annika Popp sieht die Quote auch kritisch, weil sie junge Männer benachteilige: „Die Plätze, die mit männlichen Bewerbern besetzt werden, bei denen haben junge Männer keine Chance mehr.“ Mit anderen Worten: (junge) Frauen und die alten Platzhirschen verstopfen die wichtigen Ränge. Das ist dann auch wieder nicht sehr ausgewogen.
Lange, bevor die CSU eine Quote hatte, eine Frau Kanzlerin werden durfte und ausreichend Kita-Plätze Frauen das Arbeiten überhaupt ermöglichten, war Christa Meier Oberbürgermeisterin von Regensburg (1990 bis 1996). Die SPD-Frau war die erste OB an der Spitze einer deutschen Großstadt. „Für die ganze Verwaltung war das neu. Ich habe dann irgendwann eine Chauvi-Kasse eingeführt“, berichtet die 73-Jährige schmunzelnd. „Als Underdog habe ich mich aber nie empfunden, für mich war das ganz normal, dass auch Frauen sich durchsetzen können.“ Ihre Mutter, eine Kriegswitwe, die zwei Kinder und Job bewältigte, war dabei Vorbild. Meier führt die geringe Beteiligung von Frauen in der Kommunalpolitik auch auf das Zeitproblem zurück: „Aber das haben andere Vereine ja auch: Wer will denn schon Feierabende und Wochenenden opfern?“ Dass das Männern leichter fallt, darin sind sich alle einig: Meier meint, dass das für Frauen schwieriger ist, „weil die eh mehr zu tun haben“.
Auch Jochner-Weiß und Merk-Erbe sagen fast wortgleich: Es sei immer noch Sache der Frau, sich um Haushalt und Kinder zu kümmern – neben dem Job. Was eine Frau mitbringen muss, auch darin sind sich die Kommunalpolitikerinnen einig: „Ein stilles Mäuschen kann man nicht sein, man muss ein Ziel verfolgen und sichtbar sein“, sagt Tamara Bischof (FW), seit 14 Jahren Landrätin von Kitzingen. Susanna Tausendfreund, die ehemalige Grünen-Landtagsabgeordnete und heutige Bürgermeisterin von Pullach im Landkreis München, meint: „Frauen müssen selbstbewusster auftreten und Ansprüche anmelden. Mehr Mut und Durchsetzungsfähigkeit, keine falsche Bescheidenheit.“ Und Merk-Erbe findet: Frauen müssten entschlossener sein. „Ein solches Amt ist ja nicht plötzlich da, man muss es wollen, man muss es vorbereiten.“ Das verlange Planung sowie Unterstützung und „den Willen, sich durchzusetzen. Vielleicht hapert es vor allem daran bei Frauen." (Anja-Maria Meister)

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