Kommunales

Es wird eng an der Krabbelfront: Die Städte und Gemeinden rechnen ab nächstem Jahr mit zahlreichen Klagen enttäuschter Eltern, wenn diese nicht den versprochenen Betreuungsplatz für ihr Kind erhalten. (Foto: DAPD)

09.11.2012

Die Herdprämie als Schnäppchen

Die Kommunen wollen den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz abwenden, weil er sie zu teuer kommt

Christian Ude steckt in einer Zwickmühle: Als Münchner Oberbürgermeister hat er den Ehrgeiz, ein Maximum an Betreuungsplätzen zu schaffen. Als Präsident des Deutschen Städtetags dagegen muss er verhindern, dass zu viele Eltern Interesse an eben diesen Kita-Plätzen anmelden – denn dann drohen den Kommunen womöglich Klagewellen ungeahnten Ausmaßes. In knapp einem Jahr besteht nämlich ein Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz. „Ich bin sehr dafür, dass Bund und Länder jetzt rasch Lösungen anbieten, wie im Sommer 2013 Klagen und Schadensersatzforderungen vermieden werden können“, sagte der Politiker.
Gerd Landsberg, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, geht sogar noch einen Schritt weiter und fordert, den Rechtsanspruch „aufzuweichen“, sprich, ihn nur schrittweise einzuführen. So weit möchte Jürgen Busse, der Geschäftsführer des Bayerischen Gemeindetags, noch nicht gehen: „Solange wir verhandeln können, wollen wir auch verhandeln“, versicherte Busse.


Pilotklage in Mainz


Befeuert wird die Angst der Städte und Gemeinden durch die aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamts. Danach ist Deutschland weit davon entfernt, ein ausreichendes Betreuungsangebot für Kleinkinder zur Verfügung zu stellen, an den 780 000 benötigten Plätzen für Buben und Mädchen unter drei Jahren fehlen noch rund 220 000. Und weil die neuen Länder ihr Soll ausreichend erfüllen, tritt der Mangel im Westen Deutschlands noch deutlicher zutage. „Der Zuwachs müsste in den nächsten 18 Monaten stärker ausfallen als in den letzten vier Jahren insgesamt“, rechnete Karl Müller, der Direktor des Bundesamts, vor. Bundesfamilienministerin Christina Schröder (CDU) hatte fälschlich nur einen Mangel von 160 000 Plätzen ausgemacht. Den Kommunen steht das Wasser also bis zum Hals.
Vielleicht haben die bayerischen Bürgermeister ja schon mal einen Blick nach Mainz geworfen. Dort hat sich Ministerpräsident Kurt Beck bereits vor vier Jahren zum Wohltäter aufgeschwungen und ein so genanntes Kinderförderungsgesetz durch den Landtag gepeitscht, indem er damals noch mit absoluter Mehrheit regierte: Jeder, der für sein Kind einen Betreuungsplatz möchte, bekommt einen, sobald dieses zwei Jahre alt ist. Experten, unter anderem vom rheinland-pfälzischen Gemeinde- und Städtebund, hatten zwar gewarnt, dass dieses ehrgeizige Projekt auf Dauer nicht zu stemmen sei, doch davon wollte der Regierungschef nichts hören.
Und jetzt ist der Ärger da: Eine 38-jährige Mutter aus Mainz wollte zurück in den Beruf, fand aber keinen Platz für ihre Tochter, und brachte das Mädchen kurzerhand in einer teuren privaten Einrichtung unter. Die Kosten wollte sie von der Stadt zurück, zog vor das Verwaltungsgericht und bekam Recht. Die Richter verurteilten die Stadt, der Mutter Schadensersatz zu zahlen: für ein halbes Jahr private Unterbringung 2187,77 Euro. Der Gesetzgeber garantiere ein „bedarfsgerecht ausgebautes Betreuungsangebot“. Gegen diese Summe nehmen sich die von der CSU verfochtenen 100 beziehungsweise 150 Euro „Herdprämie“ als preiswerte Alternative aus.
Den Begriff „bedarfsgerecht“ verwendet übrigens auch Bayerns Familienministerin Christine Haderthauer gern – wohl um sich von ihrer auf eine feste Quote orientierten Kollegin Schröder in Berlin abzugrenzen. Geschickt spielt die CSU-Politikerin dabei den Ball ins Feld der Städte und Gemeinden: „Die Entscheidung, wo und vor allem wie viele Kinderbetreuungsplätze entstehen, treffen die Kommunen in eigener Verantwortung.“


Zu lange Ausbildungszeit


Jürgen Busse sieht das mit Bangen. „Der Bedarf kann unter Umständen sehr schnell steigen, wenn sich nämlich junge Mütter untereinander austauschen und die eine gegenüber der anderen schwärmt, wie gut es mit ihrem Kind in der Kita funktioniert.“ Nach Angaben des bayerischen Familienministeriums nutzen derzeit 43 Prozent der Ein- und Zweijährigen ein kommunales Betreuungsangebot, das beansprucht 97 000 Plätze. Im nächsten Jahr geht Haderthauer dann von 52 Prozent der Kinder aus, was 110 000 Plätze notwendig machen würde. Wie das geschafft werden soll, steht in den Sternen. In München drohen jetzt sogar Kita-Schließungen, weil es keine Erzieher gibt.
Dabei könnte man zumindest hier ohne zusätzliches Geld gegensteuern, wie Jürgen Busse anmerkt: „Nur in Deutschland dauert die Ausbildung für Kindergärtnerinnen fünf Jahre, in allen anderen europäischen Ländern vier Jahre. Und diese Zeit reicht aus, das bestätigen uns die Fachkräfte selbst.“ Hier könnte der Freistaat helfen, denn Bildung ist ja Länderangelegenheit. Und auch die Landkreise sind gefordert – durch mehr Genehmigungen für Tagesmütter.
Da hülfe sicher ein gemeinsames Gespräch. Doch die bisher sieben vorgeschlagenen Termine des Bayerischen Gemeindetags musste Ministerin Haderthauer alle absagen, sie ist dienstlich immer anderweitig verhindert, wie sie versichert. Außerdem ist ihr Staatssekretär Markus Sackmann bis auf weiteres krank. Aber vielleicht klappt es ja in der Staaden Zeit. Da sind auch die Gemüter entspannter. (André Paul)

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