Kommunales

Eine Frau gießt Blumen in der Gemeinde Münsing am Starnberger See, im Hintergrund erhebt sich der Turm der Wallfahrtskirche St. Heinrich – der ländliche Raum in seiner Idealform. (Foto: DDP)

06.08.2010

„Die Städte müssen mehr Verantwortung tragen“

Holger Magel, Präsident der Akademie für den ländlichen Raum, über die neu erwachte Bedeutung des ländlichen Raumes für die bayerischen Politik

Viele Wissenschaftler und Politiker hatten die Provinz bereits abgeschrieben. Die Zukunft, so schien es, gehört allein den großen Städten. Doch deren Aufnahmekapazitäten sind immer häufiger erschöpft. Trotzdem betrachten Vertreter von Metropolen den ländlichen Raum noch immer eher als lästiges Anhängsel, das sich zuerst an ihren Bedürfnissen auszurichten hat. Die Staatszeitung sprach mit Holger Magel, Professor an der TU München und seit 16 Jahren Präsident der Akademie für den ländlichen Raum. BSZ: Wie hat sich der ländliche Raum in den letzten zwei Jahrzehnten verändert?
Magel: Sehr stark. Die Nahversorgung ist in vielen Orten verschwunden, ebenso die Post. Das ging einher mit einem starken Rückgang der bäuerlichen Landwirtschaft, die vielfach das dörfliche Leben geprägt hat. Aber dörfliches Leben ist nicht ausschließlich an das Vorhandensein von bäuerlicher Landwirtschaft gebunden. Trotzdem brauchen die Orte neue Arbeitsplätze, das Entstehen neuer Berufe, damit die jungen Menschen im Ort bleiben. BSZ: Die Formulierung von der „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ in Stadt und Land gehört gerade in Bayern zum Standardrepertoire vieler Politiker. Wird damit nicht auch eine Lebenslüge gepflegt, weil dieses Versprechen nicht mehr für alle Zeit zu halten sein wird?
Magel: Der ländliche Raum, das sind ja nicht nur die Dörfer, dazu gehören auch kleinere Städte, die meisten Kreisstädte beispielsweise. Und die sind nicht nur der kleine Bruder der Metropolen. Erst der ländliche Raum erlaubt es den Metropolen, zu leben. München beispielsweise hätte nicht mal genügend Trinkwasser für seine Bürger auf dem eigenen Territorium vorrätig. BSZ: Die großen Städte sollen also mehr Dankbarkeit zeigen?
Magel: Es ist die verdammte Pflicht und Schuldigkeit der Städte, auch für den ländlichen Raum Verantwortung zu tragen und zwar nicht aus einer Gönnerhaltung heraus, sonder aus der Einsicht heraus, dass Stadt und Land sich gegenseitig bedingen. Dann können wir wirklich möglichst flächendeckend gleichwertige Lebensbedingungen anstreben, egal ob man nun darunter gewohnt hohen Standard anstrebt oder sich in Zukunft mehr bescheiden muss. Jedenfalls und das ist mein Verständnis von Gleichwertigkeit, sollen überall die (Mindest-)Voraussetzungen für die Erfüllung der Daseinsgrundfunktionen wie Wohnen, Arbeiten, Versorgen, Bilden, Erholen und Kommunizieren gewährleistet sein.“ BSZ: Klagen wir in Bayern aber nicht auch auf einem hohen Niveau, verglichen etwa mit Gegenden in Mecklenburg-Vorpommern oder im nördlichen Brandenburg?
Magel: Und in anderen Regionen der Welt gibt es auf Grund einer fehlenden Landpolitik die Flucht in die Städte und riesige, ständig anwachsende Slums mit allen damit einhergehenden Problemen. Dagegen nehmen sich Probleme wie jene in Hochfranken, zum Beispiel in Selb, wie Luxusprobleme aus. Aber der Vergleich mit anderen Ländern hilft innerbayerisch nicht. Das kann nicht der Maßstab sein.
BSZ: Kann man denn das Schrumpfen aufhalten?
Magel: Grundsätzlich sicher nicht. Aber das ist wie bei einer Diät. Natürlich ist es toll, wenn man dabei 5 oder 10 Kilogramm verliert, das ist manchmal ganz vorteilhaft für den Organismus – aber man muss währenddessen seine Kraft behalten und leistungsfähig bleiben. Darum geht es beim demografischen Wandel: Die Politik muss ihn begleiten und dafür sorgen, dass die betroffenen Orte kraftvoll bleiben. BSZ: Findet der ländliche Raum in der Politik noch eine angemessene Beachtung?
Magel: Teilweise sogar mehr als früher. Es ist zum Beispiel ein gutes Signal, dass Seehofer jetzt den ländlichen Raum einmal im Monat zum Thema der Kabinetts-Sitzungen macht, ebenso, dass die Regierung jetzt auch außerhalb von München zu Sitzungen zusammenkommt. BSZ: Sie haben vor einiger Zeit eine Tagung initiiert, die sich speziell dem Thema Werte widmete. Kann man sagen, dass Werte heute, wenn überhaupt, eher abseits der Metropolen gepflegt werden?
Magel: Auch wenn die großen Städte jetzt vielleicht grantig werden: zum Teil ja. Das rege Vereinsleben, beispielsweise die Gebirgsschützen, so was gibt es in den großen Städten schon lange nicht mehr. Die Erneuerung des Gefühls für Tradition, aber auch die Kritik an Fehlentwicklungen, die kommt vorrangig aus dem ländlichen Raum. Es kann ja auch kein Zufall sein, dass fast alle richtig guten bayerischen Kabarettisten und Komiker aus ländlichen Gegenden kommen. BSZ: Der ländliche Raum als geistiger Impulsgeber für ganz Bayern?
Magel: Durchaus – und nicht nur in anspruchsvoller Hinsicht, auch bei populären Aspekten. Nehmen Sie das Oktoberfest: Da laufen alle im Dirndl und in der Tracht hin – oder in dem, was sie dafür halten. Aber es ist auch, zumindest kurzfristig, ein Triumph des Ländlichen; der Städter richtet sich nach dessen kulturellen Gepflogenheiten aus. (Interview: André Paul)

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