Kommunales

Die Zustände in vielen Kinderheimen in Schwellen- und Entwicklungsländern sind erbärmlich. Ob Adoptionen ins Ausland der richtige Lösungsweg sind, ist jedoch äußerst umstritten. Foto: ddp

05.03.2010

Fragen nicht erwünscht

Nicht immer läuft bei Auslandsadoptionen alles rechtlich einwandfrei ab – das belegen auch Schicksale von in Bayern aufgewachsenen Kindern

Anisha ist 19 Jahre und stammt aus Hyderabad in Indien. Als Baby wurde sie von einem Paar aus München adoptiert. In der Pubertät begann sie zu zweifeln, ob ihre leibliche Mutter sie damals freiwillig abgegeben hat. Heimlich, ohne das Wissen ihrer Adoptiveltern, spürte sie mit Hilfe einer Menschenrechtlerin ihre Mutter auf.
An Weihnachten 2009 machte Anisha sich selbst auf den Weg nach Indien, um ihre Mutter zum ersten Mal zu treffen. Neben einer Freundin begleitete sie die Journalistin Golineh Atai und drehte einen Film, der vergangene Woche im WDR ausgestrahlt wurde. In Hyderabad erzählte Anishas Mutter Fatima, dass das Baby ihr damals weg genommen wurde, weil sie das Geld für die Entbindung nicht zahlen konnte.
Eine Adoption in Aichach musste aufgelöst werden Der Film zeigt, wie die Mutter das Krankenhaus und Kinderheim besucht und der Heimleiterin Schwester Theresa vorwirft, dass sie ihre Tochter verkauft habe. Das dementiert Schwester Theresa. Allerdings wurde sie wegen Fälschung von Adoptionspapieren bereits zu sechs Monaten Haft verurteilt. Die Berufung des Verfahrens läuft. Mit einer Sondergenehmigung vermittelt sie weiter Kinder ins Ausland, auch nach Deutschland. Sie verweist im WDR-Film auf die vielen Kinder, die ihr dankbar seien für die Vermittlung ihrer Adoption. Anishas Verhalten nennt sie „idiotisch“.
Anisha wiederum fragt, warum ihre Adoptiveltern sich von den Heimschwestern vorschreiben ließen, keine Fragen zu stellen und sich von der Mutter fernhielten. Adoptionsexperte Bernd Wacker ging vor Jahren im Auftrag von Terre des Hommes problematischen Fällen in Ingolstadt, Aichach und anderen Orten nach und fand viele Ungereimtheiten. Mehr als 1500 Adoptionen hatte der Verein Pro Infante damals vor allem aus Indien nach Deutschland vermittelt. Es wurden Fälschungen und Ungereimtheiten nachgewiesen; es bestand der Verdacht auf Kinderhandel, und eine Adoption in Aichach mußte sogar aufgelöst werden, weil die Adoptiveltern eines angeblichen Waisenkindes in Indien die leibliche Mutter aufspürten. Laxmi Schneider galt offiziell als Waisenkind. In Wirklichkeit – so Bernd Wacker nach Durchsicht der Dokumente – mussten die Missionsschwestern in Indien, Pro Infante und das zuständige Jugendamt in Ingolstadt wissen, dass eine Mutter existierte und diese nie eine Freigabeerklärung für die Adoption unterschrieben hatte. Es gab weitere ähnliche Fälle – wie viele, das blieb jedoch letztlich ungeklärt. Wacker schrieb 2003: „Wir fordern die betroffenen Adoptionsstellen auf, alle erhaltenen Pro Infante-Akten daraufhin zu überprüfen, ob die beigebrachten indischen Dokumente mit allen anderen Informationen zur Vorgeschichte der vermittelten Kinder übereinstimmen.“ Es gab jedoch nie eine große Untersuchung von unabhängiger Seite. Wo aber Widersprüche – im Einzelfall, aber auch im System – nicht aufgeklärt werden, gedeiht Kinderhandel. „Das Bild des Kinderhändlers ist eines vom bösen Mann, der Kinder in den Sack steckt und verkauft,“ sagt Marlene Rupprecht, SPD-Bundestagsabgeordnete aus Fürth, „das ist zu einfach“. Oft bedenken Paare nicht, dass 10 000 Euro Gebühren – und selbst ein Teil davon – für Vermittler in Afrika oder Asien ein Vermögen sind. „Junge Paare glauben, sie haben das Recht auf ein Kind. Dem ist nicht so. Kinder haben ein Recht auf Eltern, und zwar auf ihre eigenen.“ Die Abgeordnete kümmert sich seit Jahren um die Themen Kinderrechte und Auslandsadoption. Sie fasst ihre Erfahrungen mit den Worten zusammen: „Sie können leichter ein Kind nach Deutschland bringen als Kaffee einführen. Für jeden Hund brauchen Sie Papiere. Bei Kindern anerkennt man einfach eine im Ausland durchgeführte Adoption.“ Weil im Inland auf ein Kind, das zur Adoption freigegeben wird, zehn Bewerber kommen, adoptieren Paare im Ausland. Rund die Hälfte bis zwei Drittel der Auslandsadoptionen sind nach Rupprechts Schätzung so genannte unbegleitete Adoptionen – Privatadoptionen, die ohne Beteiligung und Prüfung der Jugendämter erfolgen. Zollbeamte lassen diese Kinder einreisen und Richter prüfen die Rechtmäßigkeit erst im Nachhinein. Aber wie sollen sie urteilen? Die Kinder zurückschicken? Selbst bei Widersprüchen entscheiden Richter meist für den Verbleib der Kinder – weil das zum Zeitpunkt des Urteils im Interesse des Kindes sei. „Ein Richter, der eine Adoption rückgängig macht, würde gevierteilt“, sagt Rupprecht – „das riskiert kein Richter.“ Jörg Reinhardt, bis 2008 Leiter des Bayerischen Landesjugendamtes, forderte ein Verbot von Privatadoptionen. Es gebe dafür leider keine politische Lobby, sagt Marlene Rupprecht. Das Bundesfamilienministerium war dafür, das Justizministerium dagegen. Der Konflikt ist ungelöst. Eigentlich soll das Vertragswerk der Haager Konvention rechtsverbindliche Regeln schaffen. Aber Skandale in Indien und Rumänien seien eine Bankrotterklärung für die Wirksamkeit dieser Konvention, sagt Roelie Post, 50. Denn beide Staaten sind der Konvention beigetreten. Roelie Post war zwanzig Jahre lang Beamtin in der Europäischen Union und von 1999 bis 2005 zuständig für die EU-Erweiterung und Auslandsadoptionen aus Rumänien. Nach dem Ende des Kommunismus wurden aus Rumänien innerhalb von zehn Jahren mehr als 30 000 Kinder ins Ausland vermittelt. Die meisten von ihnen waren keine Waisen. Adoptionsbewerber aus Rumänien hatten keine Chance. Sie konnten sich das nicht leisten. Etwa 30 000 Dollar an Gebühren zahlten Amerikaner für ein Kind. Das macht bei 30 000 Kindern einen Umsatz von 900 Millionen Dollar. Eine Zahl, die die ehemalige Leiterin der rumänischen Adoptionsbehörde, Theodora Bertzi, im Jahr 2006 für „nicht übertrieben“ hielt. Diese Unsumme schuf in Rumänien ein unkontrolliertes, mafiöses System aus Vermittlungsagenturen, die am Profit und nicht am Wohl der Kinder interessiert waren. Etwa die Hälfte dieser Kinder kamen in die USA, die andere Hälfte nach Europa, auch nach Deutschland. Kaum hatte Rumänien 2001 ein Moratorium für Auslandsadoptionen durchgesetzt, setzten die USA zahlreiche Ausnahmen durch. Angeblich ging es dabei nur um Fälle, deren Verfahren vor dem Stopp begonnen wurde. Doch die meisten wurden erst danach in die Wege geleitet, wie aus einem Schreiben der rumänischen Adoptionsbehörde hervorgeht. Die Niederländerin wurde wegen ihrer kritischen Haltung aus ihrem Job gedrängt. Sie schrieb das Buch „Romania - For Export Only“ und verlegte es 2007 selbst.

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