Kommunales

Bereits seit dem 1. Juli 2020 campieren die Klimaschützenden vor dem Rathaus. Laut Verwaltungsgericht haben sie das Versammlungsrecht auf ihrer Seite und dürfen weiter bleiben. (Fotos: Atterdal)

16.10.2020

Gretas Jünger belagern das Augsburger Rathaus

Junge Klimaaktivisten wollen von der Stadtverwaltung mit einem Protestcamp deutlich weitergehende Umweltmaßnahmen erzwingen.

Für Touristen und Besucher der Stadt bietet sich in Augsburg derzeit ein ungewöhnliches Bild: Direkt neben dem historischen Rathaus von Augsburg stehen roh zusammengezimmerte Bretterbuden, einige Sitzgarnituren und große Plakatständer, auf denen Forderungen an die Stadtregierung zu lesen sind. Das Camp wird seit Monaten Tag und Nacht von jungen Leuten bevölkert, die gegen die Klimapolitik der Stadt protestieren. Weil das Verwaltungsgericht in einer Eilentscheidung befunden hat, dass die jungen Leute das Versammlungsrecht auf ihrer Seite haben, tut sich die Stadt schwer, das Camp wieder loszuwerden.

Die neue schwarz-grüne Koalition im Rathaus hat sich den Klimaschutz groß auf ihre Agenda geschrieben. Doch die Bemühungen gehen den jungen Aktivist*innen, die sich vor allem aus der Fridays-for-Future-Bewegung rekrutieren, nicht weit genug. Sie haben einen Forderungskatalog erstellt, der unter anderem eine sofortige dezentrale Energiewende der Stadt enthält und Fortschritte bei dem Projekt Fahrradstadt erzwingen will.

Seit dem 1. Juli 2020 campieren die Klimaschützenden vor dem Rathaus – ursprünglich, um gegen die Verabschiedung des Kohleausstiegsgesetzes des Bundes zu protestieren. Vom Augsburger Stadtrat forderten sie, öffentlichkeitswirksam gegen das Gesetz zu protestieren. Als das nicht geschah und das Gesetz verabschiedet wurde, entschieden sie sich, zu bleiben.

„Solange unsere Forderungen nicht erfüllt sind, bleiben wir hier – notfalls auch über den Winter“, sagt Janika Pondorf von Fridays for Future. Die 16-Jährige Gymnasiastin gehört zu den Köpfen hinter dem ungewöhnlichen Protest und hat seit über 100 Tagen fast jeden Tag im Camp verbracht. „Ich komme nach der Schule hierher, mache meine Hausaufgaben und schlafe auch hier“, berichtet sie.

Im Rathaus spricht man von einer Art Polit-Workshop

Wie viele andere Jugendliche ist auch sie von Greta Thunberg „wachgerüttelt“ worden, wie sie sagt. Was mit der Umwelt geschehe, mache ihr große Angst. Genug Angst, um mit Gleichgesinnten jetzt ihre gesamte freie Zeit vor dem Rathaus zu verbringen, um die Stadtregierung zu den ihrer Meinung nach notwendigen Klimaschutzmaßnahmen zu zwingen.

Die Stadt versucht, im Guten mit den jungen Leuten klarzukommen – und auf juristischem Weg. Beides bislang ohne Erfolg. Die Klimaschützer geben sich kompromisslos, und das Verwaltungsgericht Augsburg hat ihnen in einem Eilantrag recht gegeben. Es sieht das Camp als eine andauernde Versammlung – die vom Grundgesetz geschützt ist. Das ist auch der Grund, warum das Camp rund um die Uhr besetzt sein muss. Die Stadt argumentiert dagegen, es handle sich um eine Art Polit-Workshop.

Es hätten bereits diverse Gespräche zwischen den Bewohnern des Camps und Vertretern der Augsburger Stadtregierung stattgefunden, sagt Augsburgs Ordnungsreferent Frank Pintsch (CSU). Oberbürgermeisterin Eva Weber (CSU), Bürgermeisterin Martina Wild (Grüne) sowie mehrere Stadträte und Referenten hätten das Camp zu Gesprächen besucht. „Die meines Erachtens richtige Aussage, dass die Stadt bereits sehr viel für die Umsetzung des Klimaschutzes tut und auf einem richtigen und effektiven Weg ist, findet bei den Angehörigen des Camps kaum Gehör“, bedauert der Ordnungsreferent. Auch das Argument, dass die Stadt neben dem Klimaschutz auch andere Aspekte im Auge behalten muss, kämen bei den Aktivisten nicht an. Man gehe nach wie vor davon aus, dass das Camp nicht unter das Versammlungsrecht fällt. Jetzt sei eben die Entscheidung des Gerichts abzuwarten.

Massive Kritik aus der  Bürgerschaft

Die Fraktion Bürgerliche Mitte aus Freien Wählern, FDP und Pro Augsburg hat im Stadtrat beantragt, die Forderungen der Klimaschützer inhaltlich auf ihre Umsetzbarkeit zu prüfen. Der Antrag hatte im Stadtrat für einige Verwunderung gesorgt. „Uns geht es nicht darum, alles umzusetzen, sondern wir wollen wissen, was die Stadt davon juristisch überhaupt leisten könnte“, erklärt dazu die ehemalige Verwaltungsrichterin Beate Schabert-Zeidler (Pro Augsburg). Nur so könne man den jungen Leuten den Wind aus den Segeln nehmen. So sei ein gewünschter Windpark, mit dem unter anderem künftig Augsburgs Energiebedarf gedeckt werden soll, aufgrund der Gesetzeslage gar nicht möglich. „Aber wir müssen den Aktivisten zeigen, dass wir sie ernst nehmen und uns mit ihren Forderungen auseinandersetzen“, ist die Stadträtin überzeugt.

Bei der Bevölkerung gibt es Kritik an dem Camp. Viele Menschen finden, es verschandele das historische Gebäude und schade dem Tourismus. „Geht anderswo spielen – dieser Platz gehört nicht euch, sondern den Stadtbewohnern“ hat eine sichtlich erzürnte Frau auf die Rückseite einer Liste für das Fahrradvolksbegehren geschrieben. „Ich bin jetzt 83 Jahre alt und nicht alles, was wir gemacht haben, war verkehrt“, sagt ein Mann, während er sich den Forderungskatalog der Campbewohner durchliest. (Fridtjof Atterdal)

Kommentare (4)

  1. Janika Ponorf am 09.11.2020
    Dass wir uns kompromisslos zeigen, ist zwar richtig, aber nicht richtig erklärt.
    Die Stadt hat nunmal ein festgestztes CO2-Budget, das sie gerade bei weitem nicht einzuhalten gedenkt. Wir dürfen laut IPCC Sonderbericht 2018 noch 11 Mio Tonnen CO2 in Augsburg ausstoßen (einfache Rechnung: Gesamtbudget ins Verhältnis zu den Einwohner*innen gesetzt). Der schwarz-grüne Koalitionsvertrag sieht vor, 34 Mio Tonnen CO2 auszustoßen. Das ist mehr als das 3-fache unseres Budgets. Wenn jetzt die Stadt versucht, mit klein-klein an uns ranzutreten (was sie übrigens nicht macht, sie ignorieren uns seit der letzten Podiumsdiskussionen mehr oder weniger, also kommuniziert gar nicht mehr mit uns), ist es doch verständlich, dass wir damit nicht zufrieden sind? Es geht hier nicht um trotzige Kinder, die nie zufrieden sind und immer nur noch mehr wollen, es geht um wissenschaftliche Fakten, die unsere eigene Zukunft massiv beeinträchtigen.
    Dazu kommt, dass natürlich auch bei uns irgendwann Verzweiflung aufkommt, wenn wir schon über 1,5 Jahre ständig zu Hunderten, ja sogar Tausenden, allein in Augsburg auf der Straße waren, und bisher nichts Nennenswertes seitens der Politik passiert ist. Wir machen uns ernsthaft Sorgen um unsere Lebensgrundlage, haben Angst vor Ressourcenknappheit, Krieg um Ressourcen, Dürren, Extremwetterkatastrophen, Geflüchteten, die alle hier her kommen und unsere Hilfe brauchen, neuen klimabedingten Krankheiten (ja, auch neue Pandemien), Wohnungsknappheit und noch mehr sozialer Ungerechtigkeit. Wir befinden uns mitten im sechsten Massenaussterben und müssen nun Schlimmeres verhindern. Wir probieren jetzt alle Aktionsformen aus, die uns in den Sinn kommen, das Klimacamp war eine solche Idee. (wobei wir immer ganz klar freundlich und gewaltfrei bleiben, das ist unser Aktionskonsens)
    Uns statt dass sich die Leute darüber unterhalten, wie groß die Probleme wirklich sind und wie sie gelöst werden können (zum Beispiel unsere Forderungen ernstzunehmen wie der tolle Antrag der bürgerlichen Mitte, den OB Weber aufgrund mangelnder Dringlichkeit vertagt hat), streichen sie ihre Politik grün an. Letztendlich geht es aber nicht darum, wirklich etwas fürs Klima zu tun, nein, es geht darum, möglichst viel Geld zu machen.
    Ach übrigens, auch aus ökonomischer Sicht wäre es sinnvoll jetzt präventiv etwas zu machen, es wird nur immer teurer.
    Gäb es einen guten Vorschlag für ein Kompromiss, wären wir damit zufrieden. Aber solange deren Politik unsere Lebensgrundlage zerstört, auf der wir Kinder noch ein bisschen länger aushalten müssen, sagen wir nicht zu allem ja und amen.
    Wir kennen unsere Macht und leiste so lange Widerstand, bis wir uns keine Existenzsorgen mehr machen müssen.
  2. BSZ-Redaktion am 19.10.2020
    Sehr geehrter Herr Dr. Tammena,
    zunächst vielen Dank für Ihren Kommentar. Und bitte lassen Sie mich gleich zu Beginn unseren Autor Herrn Atterdal in Schutz nehmen: Die Überschrift habe ich als der für den BSZ-Kommunalteil verantwortliche Redakteur getextet. Aber nun zum Inhalt Ihrer Kritik: sachliche Fehler bei Zahlen, Daten und Fakten gehören natürlich hart kritisiert und beanstandet. Und jeder Journalist sollte dankbar sein für aufmerksame Leser, die ihn darauf hinweisen. Da gibt es dann auch nichts zu relativieren. Etwas anders schaut es mit der normativen Wahrnehmung eines Beitrags aus. Die jungen Menschen als „Gretas Jünger“ zu bezeichnen, ist eine humorvolle Zuspitzung, denn es steht außer Frage dass die junge Schwedin Thunberg sehr viele ihrer Altersgenossen erst für ein Engagement im Klimaschutz motiviert hat. Die jungen Leute werden in ihrem Wert als Menschen aber weder herabgesetzt noch im strafrechtlichen Sinne beleidigt. In keiner Zeile des Textes. Der Autor setzt sich nur kritisch mit Stil und Methoden der Camper auseinander.

    Mit freundlichen Grüßen
    André Paul, Redakteur, verantwortlich für Kommunales
  3. liederjung am 17.10.2020
    Sehr geehrter Herr Fridtjof Atterdal,
    wie hat es sich angefühlt, als sie diese für mich rechtspopulistische Überschrift gewählt haben? Warum genau war es wichtig für Sie, jeden journalistischen Standard fallen zu lassen? Glauben Sie wirklich, dass das zur sonst sehr seriösen Staatszeitung passt? Vielen Dank für eine Rückmeldung - der Dialog ist wichtig, wenn die Grenzen zur Beschimpfung junger, politisch engagierter Menschen als "Greta-Jünger" fallen...
    Dr. Heiko Tammena
  4. augsburg-narr am 17.10.2020
    Der ehemalige Fischmarkt zwischen Perlachturm und Rathaus war durch die Nutzung als Parkplatz für Mitglieder des Augsburger Stadtrats schon längst verschandelt, durch das Klimacamp mit den jungen Leuten wirkt er eher abenteuerlich-romantisch.
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