Kommunales

Dem Bürgermeister zufolge hat Waldkirchen fast alles zu bieten, was es auch in einer großen Stadt gibt – vom Gymnasium bis zum Schwimmbad. Und der örtliche Marktplatz (im Bild) bietet ausreichend Einkaufsmöglichkeiten. Selbst ein Golfplatz und eine Skipiste sind nicht weit. (Fotos: Astrid Schmidhuber)

28.03.2019

„Hier könnte man für dieses Geld einen Palast bauen“

Waldkirchen im Bayerischen Wald will Menschen aus dem überfüllten Großraum München in die Provinz locken – der Bürgermeister hat dafür unkonventionelle Vorschläge

Manche ländliche Region Ostbayerns blutet aus, während Metropolregionen wie der Großraum München aus allen Nähten platzen. Der Bürgermeister von Waldkirchen im Bayerischen Wald, Heinz Pollak, kann das Gejammer vieler Oberbayern nicht mehr hören. Er sagt: Kommt zu uns! Hier ist die Miete günstiger – und genug Jobs gibt es auch. Er regt staatliche Umzugszuschüsse an.

Bürgermeister Heinz Pollak, 42, sitzt im Rathaus von Waldkirchen, 10 800 Einwohner plus Erlebnisbad mit 100-Meter-Rutsche, und erzählt von seinem Herzensprojekt – der Anwerbung von Münchnern, von Rosenheimern und allen anderen Oberbayern, die eine neue Heimat suchen. Kein Scherz, dieser Bürgermeister braucht neue Bürger. Gerne auch testweise. Plötzlich dahoam in Niederbayern. Waldkirchen, Kreis Freyung-Grafenau, Postleitzahl 94065, macht’s möglich. Man muss nur wollen. „Wer will, der soll zum Probewohnen zu uns kommen“, sagt der Bürgermeister, „der soll einfach einen Monat Urlaub nehmen.“

Die Halbe gibt’s im Wirtshaus für 2,70 Euro


Wohnungen gibt’s genug. Mietpreise: im Schnitt vier bis sechs Euro pro Quadratmeter. Bierpreis: 2,70 Euro für die Halbe im Wirtshaus. „Ein neu gebautes Häuschen gibt’s bei uns für 300 000 Euro“, sagt Pollak, „mit allem Drum und Dran.“ Dafür wird in München derzeit manche 1,5-Zimmer-Wohnung gehandelt.

Pollak, der bei den Freien Wählern ist, kennt die Nöte boomender Regionen wie Oberbayern, die Mietpreise, die Chaostage in der S-Bahn, die Dauerstaus. So ist er auf die Idee gekommen, ein paar Hundert Münchner oder Speckgürtler nach Waldkirchen zu locken. „Unsere Handwerker haben wahnsinnigen Bedarf“, sagt er, „wir haben 500 freie Stellen, Heizungsbauer, Elektriker, Maurer, Spengler, Köche, Pflegekräfte, Verkäufer, das Seniorenheim sucht Personal. Im September öffnet das Behindertenheim.“ Die Schnapsbrennerei Penninger zieht bald her. Sie machen hier dann Essig, Gin, Bärwurz, Blutwurz. Waldkirchen, eine Schnapsidee mit goldener Zukunft. So sehen sie das hier. Aber dazu brauchen sie Arbeitskräfte – und Zuzug.


Auf den ersten Blick hört sich die Charmeoffensive schräg an – aber natürlich kann sie eine Lösung sein. Man muss nur groß genug denken. Die Ballungsräume platzen, die Provinz sandelt vielerorts vor sich hin. „Es gibt viele Familien in München, die müssen Unterstützung beantragen, obwohl beide berufstätig sind“, sagt Pollak, der früher mal Banker war. „Denen müsste man sagen, es gibt die Möglichkeit, in eine andere Region Bayerns zu ziehen.“ Das müsse ja nicht zwingend Waldkirchen sein. „Die Regierung könnte über Umzugspauschalen nachdenken.“


Heimat als Verhandlungssache. Klingt gar nicht romantisch, aber Heimat muss man sich auch leisten können. Pollak deutet auf eine Luftaufnahme von Waldkirchen, die hinter ihm an der Wand hängt. Er kann minutenlang über die Vorzüge seiner Stadt reden. Er erzählt von den acht Kindergärten, den vier Grundschulen, dem 18-Loch-Golfplatz. Vom Skilift, der von der Stadt betrieben werde, Tageskarte zwölf Euro. Vom Kletterpark. Und vom Modehaus Garhammer, das wie ein Raumschiff über dem Marktplatz thront und das wir gleich noch besuchen werden. „Ois am Ort“, sagt Pollak. „Das Einzige, was wir nicht haben, ist ein Theater.“ Dafür ist man in 30 Minuten in Tschechien und noch schneller in Österreich.

In Waldkirchen wird schon immer ein bisschen querer gedacht als anderswo. Monsignore Alfred Ebner, 77, ist Ehrenbürger und Pfarrer im Ruhestand. 30 Jahre lang hat er jeden Sonntag die Messe gelesen. 1988 haben sie die Pfarrkirche, in der er gerade steht, renoviert. Ebner hat der US-Regierung unter Präsident Reagan kurzerhand einen Brief geschrieben. Sie sollen sich, bittschön, an den Kosten beteiligen. Schließlich haben sie die Kirche bombardiert, damals im April 1945. Er hat keine Antwort von Reagan bekommen, lediglich ein Mitarbeiter des US-Konsulats in München hat die Bitte freundlich abgeschlagen. „Man muss immer alles probieren“, sagt Ebner.


Gerade sind die ersten Bewohner ins Neubaugebiet Kapellenfeld gezogen. Dort gibt es einen Pfarrer-Ebner-Ring. Ehrenhalber. Der Geistliche besucht jeden, der in seine Straße zieht. Kürzlich hat er geklingelt – bei einer Familie aus Freising, die neu in Waldkirchen ist. Er hat gesagt: „Grüß Gott, wissen’S, wer ich bin?“ Dann hat er die Antwort selbst gegeben. „Ich bin der, nach dem Ihre Straße benannt wurde.“ Waldkirchen, eine Wundertüte mit 67 Ortsteilen. Heimat ist, wenn der Pfarrer im Ruhestand ins Neubaugebiet kommt und alle kennenlernen will. Muss man auch aushalten.


Johannes Huber, 38, ist der Chef des traditionsreichen Modehauses Garhammer, das 500 Mitarbeiter beschäftigt. Es ist das größte in Ostbayern. Huber sitzt an einem Tisch im obersten Stock. Dort hat er sich einen Traum verwirklicht – das Sternerestaurant „Johanns“, wo es mittags für 16 Euro Gulasch vom Bayerwald-Rind mit Mohnnockerl gibt. „Wir haben alleine in München 3000 Kundenkarten-Inhaber“, sagt Huber. Er hat selbst acht Jahre in der Landeshauptstadt gelebt. „Als ich 18 war, hab ich gesagt: Ich komm’ nie mehr zurück.“ Er ist mit 30 dann doch zurückgekehrt – und will nie mehr weg.


Prag ist zwei Stunden entfernt, genau wie München und Salzburg. „Wir sind in der Mitte, das ist perfekt“, meint er. Und er sagt: „Die Preise sind unschlagbar.“ Er hat einen Bekannten, der hat grad für eine Dreiviertelmillion Euro eine Wohnung in München gekauft, keine 90 Quadratmeter groß. „Da würde ich meine Familie nicht reinpferchen“, sagt er. „Hier könnte man dafür einen Palast bauen.“ Leben ist immer die Frage, was man will. Kurze Wege zum Hofbräuhaus? Ein Palast im Nirgendwo? Stadt? Land? Geld? Jeder sucht sein Glück auf andere Weise.

Gerhard Wimmer, 55, ist der Geschäftsführer von Wimmer Wohnwelt, einer Firma, die sich auf hochwertige Holzmöbel spezialisiert hat. Gegenüber vom Pfarrer-Ebner-Ring steht der Firmensitz, ein Hingucker aus Holz und Glas. Hier arbeiten Marketing-Leute, Designer und Konstrukteure. Gleich hinter dem Haus beginnt die Natur. Im Erdgeschoss stehen Schneeschuhe, mit denen man eine kleine Tour machen kann. Der Firmenchef sitzt in seinem Büro, das aussieht wie ein besonders aufgeräumtes Vorzeigezimmer aus dem Holzmöbel-Katalog. Er sagt: „Der Standort ist für uns optimal – weil wir hier leichter naturverbundene Ideen finden.“ Er kann sich im Traum nicht vorstellen, seine Zentrale irgendwo in München zu haben.

„Wir sind in der Mitte, das ist perfekt“


Wimmer sucht immer wieder Angestellte. Gerne welche aus der Region oder auch von weiter weg. Aber lieber nicht von ganz weit weg. „Solange sie aus Bayern kommen, ist es einfach“, erzählt er. Nordrhein-Westfalen oder Hessen sei schwieriger. Alles schon gehabt. Die wollten dann, dass alle Hochdeutsch sprechen. In diesem Punkt hat selbst das fremdenfreundliche Städtchen im Bayerischen Wald seine Grenzen.

Letzter Besuch des Tages. Josefa Stamm, 64, ist Direktorin des Johannes-Gutenberg-Gymnasiums. Sie sitzt in ihrem Büro und kommt gleich auf den Punkt: „Wir haben super Parkplätze und einen Kreisverkehr.“ Aber trotzdem hat sie Probleme, genug junge Lehrer an ihre Schule zu locken. Die Schulleiterin erzählt vom WLAN, von den exzellenten Schülerlotsen und dem digitalen Elternportal, wo man sich für Sprechstunden anmeldet. „Wir sind besser ausgestattet als viele großstädtische Schulen“, sagt Josefa Stamm.

Es gibt zudem eine Instrumentalklasse, die die Kapellen im Umkreis mit neuen Talenten versorgt. Und selbst der Tanzkurs kommt in die Schule. „Wir haben sogar Elterntanzkurse in der Schule“, sagt die Pädagogin. Sensationell. Hier gibt es wirklich alles – und noch mehr. Alles außer einer Großstadt. Wer jetzt nicht zumindest über einen Schnupperbesuch in Waldkirchen nachdenkt, der hat die Provinz nie geliebt.

(Stefan Sessler)

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