Kommunales

Der Regensburger Dom. (Foto: dpa/Klaus Nowottnick)

26.07.2019

In Stein gemeißelter Antisemitismus

In einem Katalog zu einer Regensburger Ausstellung fehlen kritische Passagen über eine antijüdische Skulptur – hat das städtische Kulturreferat eine Wissenschaftlerin zensiert?

Streit um den richtigen Umgang mit der sogenannten „Judensau“ am Regensburger Dom: Hat das Regensburger Kulturreferat dafür gesorgt, dass kritische Passagen über die antijüdische Skulptur aus einem von ihm herausgegebenen Katalog zu einer historischen Ausstellung gestrichen werden? Eine der Staatszeitung vorliegende Mail von der bei der Ausstellung federführenden Historikerin an Kulturreferent Klemens Unger legt diesen Eindruck nahe. Doch Unger bestreitet jegliche Einflussnahme.

Das Leben im Mittelalter: ein buntes, friedliches Getümmel von Gauklern und Spielleuten, Löffelschnitzern und Schmieden sowie Schwertkämpfern – dazwischen eine Hüpfburg für die Kleinen. Nach dem hunderttausendsten Mittelaltermarkt stellt sich ganz Deutschland das Mittelalter genau so vor. Okay, die Hüpfburg vielleicht noch weggerechnet.

Ein ganz ähnliches Bild hat man vor Augen, wenn man das Vorwort des Regensburger Kulturreferenten Klemens Unger zu dem soeben erschienenen Buch Regensburg – Mittelalterliche Metropole der Juden liest. Da ist vom „Leben in der jüdischen Gemeinde mitten in der Stadt” die Rede, das „von Freud und Leid, von Streit und Versöhnung, von dem eigenen Streben nach Auskommen, Sicherheit und Glück” geprägt gewesen sei. War das Leben der deutschen Juden im Mittelalter so eine Art Seifenoper? Doch halt, zuvor heißt es in Ungers Text, die Regensburger Juden seien „über die Stadtgrenzen hinaus von großer Bedeutung“ gewesen, und das „trotz immer wieder einsetzender Repressalien, Ausgrenzungen und Bedrohungen“.

Dunkle Andeutungen. Im weiteren Text der Publikation, die als Begleitbuch zu einer gleichnamigen Ausstellung im Historischen Museum der Stadt erschien, maßgeblich von den beiden Münchner Mittelalter-Historikerinnen Eva Haverkamp-Rott und Astrid Riedler-Pohlers bestritten, findet sich so einiges Konkreteres, von der Zwangstaufe der kompletten jüdischen Gemeinde durch Kreuzfahrer im Jahr 1096 bis zur Vertreibung 1519 (der 500. Jahrestag im Februar war der Anlass der Ausstellung). Doch das buchstäblich in Stein gehauene Zeugnis des Hasses, der den Regensburger Juden im Mittelalter entgegenschlug, das sucht man vergebens: die „Judensau“, eine Skulptur an der Südfassade des Doms, die auf 1340 datiert wird.

Das Schwein steht für das Böse und den Teufel

In der vielfältigen Menagerie, die der Regensburger Dom, wie jede gotische Kathedrale, auffährt (vom Elefanten bis zum Höllenhund), sticht die „Judensau“ heraus. Es gibt sie an einer ganzen Reihe deutscher Kirchen – in Bayern etwa an der Nürnberger Sebalduskirche und an der Bayreuther Stadtkirche – in verschiedenen Varianten. In Regensburg machen sich drei Figuren an einer Sau zu schaffen. Eine hält das Tier am Ohr, die anderen beiden greifen nach dessen Zitzen. Die drei Figuren sind durch ihre Kopfbedeckung als Juden gekennzeichnet. Die Botschaft ist klar: Im Judentum gilt das Schwein als unreines Tier. Juden in inniger Beziehung mit einem Schwein darzustellen, ist eine grobe Verächtlichmachung und Beleidigung einer ganzen Bevölkerungsgruppe.

Doch auch bei den Christen hat das Schwein, trotz eifrigen Verspeisens, im Mittelalter eine allseits bekannte Bedeutung: Es steht für das Böse und den Teufel. Die Juden stehen also, behauptet die Skulptur, mit dem Teufel im Bund. Direkt gegenüber der Südfassade des Doms, an dem die „Judensau“ seit bald 700 Jahren angebracht ist, war übrigens bis 1519 einer der Eingänge zum jüdischen Viertel. Wenn man als Jude aus dem Tor trat, wurde man sozusagen mit der christlichen Harke begrüßt.

Und genau so las sich das auch in der Ausstellung, die von Mitte März bis Anfang Juni im Regensburger Historischen Museum zu sehen war. Da hieß es unter einem Foto der „Judensau“: „Das Gebot, nach dem Juden kein Schweinefleisch essen, wird hier zur Absurdität verkehrt. Diese ekelerregende Propaganda degradierte die Juden und war ein Angriff auf die jüdische Religion.“

Wäre es nach Ausstellungsmacherin Eva Haverkamp-Rott gegangen, wäre dieser von ihr stammende Text so auch im Begleitband zur Ausstellung gestanden. Doch als Haverkamp-Rott die Druckfahnen zum Begleitband der Ausstellung korrekturlesen wollte, war dort auf einmal etwas anderes zu lesen: „Diese Skulptur als steinernes Zeugnis einer vergangenen Epoche muss im Zusammenhang mit ihrer Zeit gesehen werden“, stand da. Und: „Sie ist in ihrem antijüdischen Aussagegehalt für den heutigen Betrachter befremdlich.“ Weiter hieß es im Text zudem: „Das Verhältnis von Christentum und Judentum in unseren Tagen zeichnet sich durch Toleranz und gegenseitige Achtung aus.“

Eva Haverkamp-Rott wusste sofort, woher sie diese seltsam weichgespülten Sätze kannte: Unter der „Judensau“-Skulptur am Regensburger Dom ist seit 15 Jahren eine kleine Acryltafel mit eben diesem Text angeschraubt. In einer E-Mail an Kulturreferent Unger, die der Staatszeitung von dritter Seite zugespielt wurde, zeigt sich Haverkamp-Rott fassungslos über diesen Eingriff in ihren Beitrag, der ohne ihr Wissen erfolgt sei. „Sie haben diesen Text ohne meine Einwilligung gelöscht“, schreibt sie an Unger. Damit greife Unger „in unerlaubter Weise“ in den von ihr als Autorin verantworteten Text ein. „Die Streichung des Textes verändert zudem den Sinngehalt des gesamten von mir verfassten Kapitels.“ So werde die Interpretation der Darstellung der antisemitischen Skulptur „verharmlost“.

Auf Nachfrage der BSZ will sich Haverkamp-Rott nicht weiter äußern.

Mindestens den ganzen Mai zieht sich diese Auseinandersetzung zwischen ihr und dem Kulturreferat hin, Mitte Juli wird dann das Ergebnis sichtbar: Das Begleitbuch zur Ausstellung erscheint – die „Judensau“ kommt überhaupt nicht vor. Die ganze Passage samt Foto ist kurzerhand gestrichen.

Ist das ein Fall von Zensur? Ein offensichtlicher Eingriff in die Freiheit der Wissenschaft?

Nachfrage bei Kulturreferent Unger: Warum ist das Begleitbuch so spät erschienen (sechs Wochen nach Ende der Ausstellung)? Die Texte seien zu spät abgegeben worden, so Unger. Und es gab keinerlei Diskussionen, geschweige denn Streit? Nein, worüber denn, antwortet Unger. Der nach 20 Jahren aus dem Amt scheidende Kulturreferent bestreitet die Auseinandersetzung mit Haverkamp-Rott erst dann nicht mehr, als er mit der Mail konfrontiert wird. Gleichzeitig behauptet er steif und fest, es habe seitens des Kulturreferats beim Text des Begleitbands keinerlei Einflussnahme gegeben: „Da mischen wir uns nicht ein.“

Wie geht das zusammen? Unger erklärt es selbst: Es gebe bezüglich des Begleitbands mit Haverkamp-Rott „weder einen Vertrag noch eine Vereinbarung“, Herausgeber sei das Kulturreferat.

Judaistik-Professor kritisiert die Stadt Regensburg

Aber rechtfertigt das, dass Haverkamp-Rott beim Redigieren des Begleitbands ausgerechnet bei so einem zentralen Teil des Werks offenbar nichts zu melden hatte? Und das, obwohl sie zusammen mit Astrid Riedler-Pohlers in dem Begleitbuch als Hauptautorin firmiert.

Unter den sieben Wissenschaftlern, die als Mitarbeiter der Ausstellung wie auch des Begleitbands genannt werden, ist auch Michael Brocke. Der renommierte Judaist der Uni Duisburg-Essen wird nächstes Jahr achtzig. Sein Kommentar zum Verschwinden der „Judensau” aus dem Begleitbuch: „Ist es nicht zutiefst bedauerlich, dass sich die stolze Stadt Regensburg, Weltkulturerbe, modern und rasant reich geworden, nicht dazu verstehen kann, auch zu ein paar hässlichen Seiten und Erscheinungen ihrer langen, so gut erhaltenen Geschichte zu stehen?”

Aber hier gehe es nun mal um eine hässliche Seite der christlichen Religion, so was werde in einer Stadt wie Regensburg – die Brocke recht gut kennt – traditionell unter den Teppich gekehrt.

Und auch mit Klemens Unger hat Brocke schon vor vielen Jahren Bekanntschaft gemacht: „Das souveräne, gelassene, urbane Aushandeln scheint nicht des Kulturreferenten Stärke zu sein.” Wohl wahr. Zu so einem unangenehmen Erbe wie der „Judensau“ am Regensburger Dom zu stehen, hieße, die in der Wissenschaft unstrittige Tatsache anzuerkennen, dass der über 1000 Jahre lang von der Kirche systematisch angeheizte Hass auf die Juden die Basis war, auf der die Nazis aufbauen konnten, auf der Auschwitz möglich war. (Florian Sendtner)

Kommentare (3)

  1. André Paul am 26.07.2019
    Selten solchen historisch falschen Stuss gelesen wie von „Blogfighter“. Selbstverständlich war der Antijudaismus im Mittelalter und der frühen Neuzeit religiös geprägt. Die Juden wurden unter anderem fälschlich beschuldigt, ihr religiöses Gebäck Matzen aus dem Blut christlicher Kinder gebacken zu haben. Aus dieser Verleumdung heraus kam es über Jahrhunderte hinweg immer wieder zu schlimmsten Pogromen, wurden Juden auf den Scheiterhaufen gebracht. Auch wollten Ihnen die Christen nicht verzeihen, dass sie auf die Frage, wen er zum Pessach begnadigen soll, dem Pontius Pilatus nicht Jesus, sondern den Mörder Barabas empfahlen. Nachzulesen im Lukas Evangelium. Immer wieder ließen es christliche Herrscher geschehen, dass Ihre Untertanen an Juden ihren religiösen Hass auslebten. Und die Protestanten waren in ihrem Antisemitismus nicht weniger brutal als die Katholiken. Erinnert sei nur an den historisch belegte staatlichen Meuchelmord des evangelischen Herzogs von Württemberg an dem „Jud Süß“ - nachzulesen in Lion Feuchtwangers gleichnamigen Roman. Der erste christliche Herrscher, der Juden wirklich schützte und als gleichberechtigte Menschen behandelte war der von der Aufklärung geprägte Friedrich der Große von Preußen
  2. n am 26.07.2019
    Gott, so eine Wichtigtuerei. Die "staatstragende" Staatszeitung. OMG.
  3. Blogfighter.de am 25.07.2019
    Der letzte Satz des Autors, sozusagen das Fazit seines Artikels, zeigt, warum Kulturreferent Unger den Entwurf zensiert haben dürfte:

    "Zu so einem unangenehmen Erbe wie der „Judensau“ am Regensburger Dom zu stehen, hieße, die in der Wissenschaft unstrittige Tatsache anzuerkennen, dass der über 1000 Jahre lang von der Kirche systematisch angeheizte Hass auf die Juden die Basis war, auf der die Nazis aufbauen konnten, auf der Auschwitz möglich war. (Florian Sendtner)"

    Fakt ist nämlich, dass der nationalsozialistische Antisemitismus nicht religiös, sondern politisch-ökonomisch fundiert gewesen ist und damit kein Werk des Katholizismus gewesen sein kann - und gewesen ist! Der Beleg: kein christlicher Deutscher hat in den letzten 500 Jahren von sich aus einen Juden deshalb getötet, weil der ein (religiöser) Jude gewesen ist.

    Fakt ist: der Jude war dem Katholiken genau so "fremd", wie es ein Protestant für ihn gewesen ist - eine Tatsache, die im Übrigen auf Gegenseitigkeit beruhte, wie es die Pogrome des Dreißigjährigen Kriegs eindrucksvoll belegen.

    Und Fakt ist auch die Christenfeindschaft der Juden: sie darf beim Thema "Antijudaismus der Christen" nicht ignoriert werden.
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