Kommunales

Über das intellektuelle Niveau und die handwerkliche Qualität des Gezeigten lässt sich streiten – besser als ein leeres Schaufenster ist es aber allemal. (Foto: Christ)

05.06.2015

Junge Kunst in leeren Läden

Unvermietete Innenstadt-Geschäfte als günstige Ausstellungsfläche für Nachwuchs-Kulturschaffende

Viele Läden in Bayerns Innenstädten stehen leer, manche nur einige Wochen, viele auch Monate oder gar Jahre. Niemand nutzt sie in dieser Zeit. Die Eigner bekommen keine Miete, die Kommune keine Gewerbesteuer. Könnte man die leeren Läden nicht vorübergehend als alternative Ausstellungsorte verwenden? In immer mehr Gemeinden denkt man darüber nach, jungen Künstlern in leeren Läden Experimentierflächen zu bieten.

In Würzburg zum Beispiel setzt sich seit Kurzem das aus vier Studierenden bestehende Projekt LeerRaumPioniere für so genannte Offspace-Ausstellungen in Leerständen ein. Hintergrund: „In etablierten Galerien auszustellen, ist für junge Künstler nicht so einfach“, erläutert LeerRaum-Pionierin Jasmin Schmitt. Schließlich lebten Galerien davon, dass sie Kunst verkaufen. Dies bedeutet, dass Künstler, die eine Ausstellung in einer Galerie ergattern, stark unter ökonomischem Druck stehen. Von den verkauften Gemälden oder Skulpturen wiederum erhält der Künstler meist nur die Hälfte der Verkaufssumme.
„Bei Offspace-Ausstellungen dagegen geht es nicht primär um den Verkauf“, betont Jasmin Schmitt. Der ökonomische Erfolgszwang entfällt. Die LeerRaumPioniere unterstützen Künstler aus Würzburg, die leere Geschäftsräume bespielen wollen: „Wobei sie ihre Werke selber inszenieren können.“ Auch dies sei bei Galerien meist nicht der Fall. Schmitt: „Oft geben die Künstler die Inszenierung ihrer Werke hier völlig aus der Hand.“

Geld von der Stadt und von einem privaten Kunstverein


Der Fachbereich Kultur der Stadt Würzburg unterstützt das Projekt finanziell. Ohne die städtische Anschubfinanzierung hätte das Projekt auch gar nicht starten können, schließlich braucht es zum Beispiel Technik, um die ausgestellten Kunstwerke in den Läden zu beleuchten. Ein weiterer wichtiger Unterstützer ist der Würzburger Verein „Kunst im öffentlichen Raum“ (KÖR).
„Auch in Augsburg sind die Ausstellungschancen für junge Künstler in leerstehenden Räumen gut“, bestätigt Norbert Kiening, Vorstand des Berufsverbands Bildender Künstler (BBK) Schwaben-Nord: „Vorausgesetzt, die jungen Leute organisieren sich selbst.“ Auch müssten technische Risiken und Kosten selbst getragen werden. Verkäufe seien im Gegenzug kaum zu erhoffen: „Die öffentlichen Ankaufsetats tendieren ja sogar bei etablierten Ausstellungsformaten gegen Null.“ Ein Beispiel: In den vergangenen sechs Jahren wurden bei der „Großen Schwäbischen Kunstausstellung“, dem größten BBK-Projekt im Jahr, Kunstwerke im Wert zwischen 5000 und 6000 Euro verkauft. Kiening: „Umgerechnet auf die Zahl der jeweils 60 bis 70 Aussteller bedeutet das eine Verkaufssumme von 70 bis 80 Euro pro Künstler.“ Wovon niemand leben kann.
Auch die Ankaufskommission der Staatsgemäldesammlung sei äußerst zurückhaltend. In den 1990er Jahren waren die Verhältnisse Kiening zufolge wesentlich besser. Kommunen und Bezirk kauften bei der Großen Schwäbischen Kunstausstellung jährlich für bis zu 25 000 Euro an. „Kunst am Bau“ als einst wichtigste Säule der öffentlichen Künstlerförderung sei vollends weggebrochen: „Es gibt fast keine nennenswerten Ausschreibungen mehr. Wenn, dann wird europaweit ausgeschrieben.“ Dies führe zu einer Unmenge von Bewerbern: „Und lässt die Chancen regionaler Künstler gegen Null sinken.“
Auch in Mindelheim im Landkreis Unterallgäu gibt es immer mal wieder Leerstände – vor allem in den Seitenstraßen der zentralen Verkaufsmeile. Der Verein „MN Werbekreis“ startete zusammen mit der Stadt eine Leerstandoffensive. „Dabei werden Personen gesucht, die eine sensationelle Geschäftsidee für die Mindelheimer Innenstadt haben“, verrät Pressesprecherin Julia Beck. Tolle Ideen würden mit einem Startkapital belohnt.
Und was ist mit den Künstlern? „Was die Nutzung von leerstehenden Geschäftsräumen für Kunst betrifft, wurde bei uns offiziell noch nie angefragt“, sagt Beck. Wobei es immer wieder Künstler gebe, die aus eigener Initiative heraus leere Läden bespielen: „Zum Beispiel während der Schließzeit im Winter im Eiscafé am Mindel-heimer Marienplatz oder auch in einem ehemaligen Bekleidungsgeschäft in der Maximilianstraße.“
In der Mindelheimer Hungerbachgasse nutzt der Eigentümer die ehemaligen Ladenräume einer Bäckerei zur Ausstellung historischer Fotografien aus seiner großen Sammlung. Beck: „Darüber hinaus sind die Leerstände in unserer Stadt meist recht versteckt, in Seitenstraßen, die sich für die Präsentation von Kunst nicht eignen.“ Kaum jemand würde die Kunstwerke hier wahrnehmen. Die ohnehin geringe Hoffnung, etwas zu verkaufen, sinkt gegen Null.

Kritische Stimmen in Regensburg


Nicht überall in Bayern stößt die Idee, Kunst in leeren Läden zu platzieren, auf positive Resonanz. Eigentlich sollten sich Künstler hierfür zu schade sein, heißt es vom Kunst- und Gewerbeverein Regensburg. Auch in der oberpfälzischen Stadt wurden schon leere Geschäftsräume von Künstlern zwischengenutzt, zuletzt in der Vorweihnachtszeit. Eine Zeitung titelte damals „Kunst als Lückenfüller“. Eine Überschrift, die genau in den wunden Punkt trifft, meint Reiner Schmidt vom Vorstand des Vereins: „Es kann nicht angehen, dass Kunst in leerstehenden, teilweise ungepflegten Immobilien als Lückenbüßer herhält, bis man wieder einen neuen Mieter gefunden hat.“ Kunst braucht Schmidt zufolge Ambiente: „Und sie will auf Augenhöhe ernst genommen und nicht nur benutzt werden, wenn man sie grad mal braucht. Ich weiß nicht, ob man der Kunst damit einen großen Gefallen tut.“ Wobei das, was er bisher in leeren Läden gesehen habe, ohnehin keine „große Kunst“ gewesen sei: „eher Kunstgewerbe.“
Natürlich sei es nicht leicht für junge Künstler, sich zu etablieren. Das ist in Regenburg nicht anders als im restlichen Bayern. Der Kampf ums materielle Überleben sei hart: „Junge Künstler brauchen viel Eigeninitiative.“ Doch ob es tatsächlich etwas bringt, sechs Wochen lang ein Schaufenster zu dekorieren, damit der jeweilige Straßenzug oder Platz nicht gar so schmuddelig ausschaut, bezweifelt der Kunsthistoriker stark: „Ich würde mich als Künstler darauf jedenfalls nicht einlassen.“
Ingolstadts Kulturreferent Gabriel Engert kann dies nicht ganz nachvollziehen: „Gerade Innenstadtflächen müssen zunehmend einer künstlerischen und kulturellen Nutzung zugeführt werden, wenn die Citys lebendig bleiben sollen.“ Engerts Kulturreferat sucht gemeinsam mit dem Ingolstädter BBK leer stehende Ladenlokale, um dort ein zeitlich befristetes „Kunstkaufhaus“ einzurichten. Denn Kunst in leeren Läden sei keineswegs ein „Lückenfüller“: „Im Gegenteil, es bietet sich die Möglichkeit, Bürger direkt mit Kunst zu konfrontieren und so Auseinandersetzungen zu ermöglichen.“ (Pat Christ)

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