Kommunales

Die Energiewende kann nur mit den Stadtwerken gelingen. (Foto: Bilderbox)

22.07.2011

Masse statt Leuchttürme produzieren

Bayerischer Städtetag fordert Fördermittel für die energetische Sanierung aller Wohngebäude im Freistaat

Genüsslich zelebriert Regensburgs Oberbürgermeister Hans Schaidinger (CSU), der bis vorgestern noch Bayerns Städttagsvorsitzender war und stellvertretender Vorsitzender ist, die bedeutende Rolle der Kommunen in der Energiewende. Bei der diesjährigen Verbandstagung des Bayerischen Städtetags unter dem Motto „Lokal handeln - Klimaschutz in der Stadt“ in Bad Reichenhall macht er klar, dass die Stadtwerke und damit die Kommunen schon lange innovativ waren, als die Rahmenbedingungen noch gegen sie sprachen. „Vor Kurzem hat man uns noch verspöttelt mit Parolen wie: Privat vor Staat“, ruft Schaidinger seinem vorwiegend aus bayerischen Bürgermeistern bestehenden Publikum zu – und der Beifall ist ihm sicher. Für den Freistaat wäre es wesentlich leichter, die Energiewende aktiv zu gestalten, hätte er nicht vor ein paar Jahren die Obag, die Isar-Amper-Werke und das Bayernwerk verkauft, meint Schaidinger.
„Wir betreten Neuland“
Trotz der schwierigen Vergangenheit appelliert er an seine Kollegen, jetzt mit dem Staat und vor allem mit den jeweiligen Nachbarkommunen zu kooperieren. Denn nur so könne die Energiewende gelingen. Schaidinger lobt die gemeinsame Resolution, die in Bad Reichenhall verabschiedet wurde, jetzt gemeinsam mit Pragmatismus die Energiewende voranzutreiben. „Wir betreten Neuland, aber unsere Chance liegt in der Kreativität und im Mut.“ Die erneuerbare Energieversorgung müsse die Herausforderungen wie regelbare Verteilnetze, Speichertechnologien und Platz für Energiespeicher meistern. Dabei stehe das Zieldreieck „sicher, bezahlbar und umweltfreundlich“ im Mittelpunkt. Damit die Bürger den Bau von Anlagen zur erneuerbaren Energieproduktion vor ihrer Haustür akzeptieren, plädiert Schaidinger für viel Bürgerbeteiligung. Das gelte auch beim Investment in diese Anlagen.
Vom Segen der Bürgeranlagen ist auch Benedikt Bisping (Grüne), erster Bürgermeister von Lauf a. d. Pegnitz, überzeugt. In der Podiumsdiskussion stellt er das „Primaklimapaket“ der örtlichen VR-Bank vor. 15 Millionen Euro Bürgerkapital seien in kürzester Zeit zusammengekommen, die jetzt in Ökostromanlagen investiert werden können, die den Bürgern dann auch gehören. „Und 15 Milliarden Euro sind bisher bundesweit von Bürgern in derartige Anlagen investiert worden“, unterstreicht Bisping die große Chance von Bürgeranlagen.
Bayerns Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) warnt davor, die Stadtwerke und die großen deutschen Stromkonzerne gegeneinander ausspielen zu wollen. Das ruft den massiven Widerspruch von Deutschlands Städtetagschef und Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) hervor: „Trotz aller Harmonie bei der Energiewende darf man doch nicht aus den Augen verlieren, dass diese vier Giganten ganz ander Ziele verfolgen. Sie wollen gegen den Atomausstieg klagen und so die Laufzeiten verlängern.“ Dafür erntet Ude frenetischen Applaus und Zeil verteidigt sich, dass er niemals die vier deutschen Energieriesen protegiert habe. Er selbst habe dafür gesorgt, dass die Kommunen und damit die Stadtwerke beim Energiekonzept der bayerischen Staatsregierung mit am Tisch sitzen.
Jenseits des parteipolitischen Gezänks fordert Axel Gedaschko vom Bundesverband Deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, bei der Energiewende den deutschen Gebäudebestand nicht zu vergessen: „40 Prozent des deutschen Primärenergieverbrauchs gehen auf das Konto der Gebäude.“ Wenn diese einer guten energetischen Sanierung unterzogen würden, böte dies die Chance, die Abhängigkeit Deutschlands von Energieimporten deutlich zu reduzieren und gleichzeitig das Klima zu schonen. Gedaschko fordert massive staatliche Förderung, damit möglichst viele der Bestandsgebäude modernisiert werden können. „Wir brauchen keine weiteren Leuchttürme mehr, sondern Masse“, verdeutlicht Gedaschko.
Ude pflichtet ihm bei: „Die Masse ist der Bestand. Der Neubau ist die Ausnahme.“ Dies werde von der Politik oft nicht genügend wahrgenommen. Nicht die Perfektion von Pilotprojekten, sondern die Sanierung möglichst aller Gebäude ist für den Klimaschutz nötig. Man müsse hierbei aber auch so ehrlich sein, dass Wohnen dadurch zunächst teurer wird, bis sich finanzielle Entlastungen durch geringeren Energieverbrauch bemerkmar machen. „Diese bittere Pille müssen wir ehrlich verteilen“, fordert Ude.
Wie eine Kommune den Bürgern beratend zur Seite stehen kann, zeigt Kemptens Oberbürgermeister Ulrich Netzer (CSU) am Beispiel von eza. Dieses Allgäuer Energieberatungszentrum agiere schon seit zehn Jahren erfolgreich. Aber auch die Kommunen hätten die Pflicht, mit gutem Beispiel voranzugehen. „Wir haben im städtischen Bereich den CO2-Ausstoß um 60 Prozent gesenkt.“ „Wahre Energieschleudern“
Neben der öffentlichen Hand und den Bürgern sind nach Ansicht von Heiner Monheim von der Uni Trier auch Handel und Industrie gefragt. „Die dünnwandigen Gewerbebauten sind wahre Energieschleudern“, beklagt er. Aber Wirtschaftsminister Zeil fordert ihn auf, mit ihm auf Bayerntournee zu gehen: „Dann zeige ich Ihnen eine Reihe von hochinnovativen Gewerbegebieten, wo schon lange Energieeinsparung in den Gebäuden realisiert wird.“
Aber Monheim hat noch einen anderen Sektor, der dringend in die Klimaschutzdiskussion gehört. „Der Verkehrsbereich hierzulande widersetzt sich seit Jahren vehement jeder Klimaschutzanstrengung. Die Autos sind durstiger als vor 20 Jahren.“ Er fordert eine Rekommunalisierung des ÖPNV. Denn gerade in den mittleren und kleinen Städten sei es nahezu unmöglich, vom Neubaugebiet im Norden der Kommune zum Einkaufen ins Gewerbegebiet Ost bzw. zum Arbeiten ins Gewerbegebiet Süd zu gelangen. Beim innerörtlichen Verkehr setzten die Verantwortlichen nur auf den privaten Pkw. Es seien finanzielle Anreize nötig, um den kommunalen Entscheidungsträgern wieder den nötigen Spielraum zu geben, ein attraktives innerörtliches ÖPNV-Angebot zu schaffen.
Dies gelte auch für den regionalen Güterverkehr. „Wieso kann man nicht am flachen Land wie in Finnland und Schweden im Bus Personen und Güter gleichzeitig transportieren?“, fragt Monheim. Dies wäre vor Jahren auch hierzulande üblich gewesen. „Viele Ältere unter uns wissen noch, dass das früher der Postbus gemacht hat.“ Monheim fordert den Freistaat auf, solche Konzepte einzuführen. „Im Bereich des Personenverkehrs ist Ihnen das ja hervorragend gelungen. Kein Bundesland reaktiviert so viele alte Regionalbahnstrecken wie Bayern“, lobt Monheim Wirtschaftminister Zeil.
Bei aller Zustimmung zu den Ansichten der Experten in Sachen Energiewende waren die Kommunalvertreter auf dem Podium zu diesem Thema aber erstaunlich schweigsam. Vielleicht muss sich diese neue Idee in den Köpfen erst bahnbrechen.
(Ralph Schweinfurth)

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