Kommunales

Seit Ausbruch der Corona-Pandemie sind in München rund ein Viertel mehr Fahrräder unterwegs. (Foto: Stäbler)

19.06.2020

Noch ein weiter Weg bis Kopenhagen

München möchte radlfreundlicher werden – doch der Abstand zu den Vorreiterkommunen in Europa ist groß

Die Ampel ist längst auf Grün gesprungen, doch ans Losfahren ist noch nicht zu denken – hier an der Reichenbachbrücke, unweit des Deutschen Museums. Rad an Rad stehen die Wartenden hintereinander, ganz vorne in der Schlange setzen sich die ersten in Bewegung. Doch bis das eigene Gefährt losrollen kann, wird es noch eine weitere Ampelphase dauern. Nun ist dies in der Münchner Innenstadt nichts Ungewöhnliches – Stau gehört hier zum Autofahren wie der süße Senf zur Weißwurst. Doch in diesem Fall sind es nicht etwa Autos, die mehrere Grünphasen benötigen, bis sie endlich über Kreuzung können – sondern Fahrräder.

Neuralgische Punkte mit Kapazitätsproblemen

„Es gibt einige neuralgische Punkte in der Stadt, an denen wir Kapazitätsprobleme auf den Radwegen haben“, sagt Andreas Groh vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) München – zumal in Zeiten der Corona-Pandemie, in der bis zu ein Viertel mehr Fahrräder unterwegs sind als sonst. Wird München da dem Titel „Radlhauptstadt“ noch gerecht, den das Rathaus vor zehn Jahren für eine Imagekampagne ersonnen hat? „Der Anteil der Radfahrer ist bei uns ziemlich hoch“, sagt Groh – einerseits. Andererseits betont er sogleich: „Aber wenn wir uns mit echten Fahrradstädten wie Kopenhagen vergleichen, dann haben wir noch einen weiten Weg vor uns.“

Bester Beweis ist der Copenhagenize-Index, der alle zwei Jahre die radfreundlichsten Städte der Welt kürt. Ganz vorne lagen zuletzt Kopenhagen und Amsterdam; beste deutsche Vertreterin war Bremen auf Rang elf. Und die bayerische Landeshauptstadt? Sie ist 2019 aus den Top 20 gefallen. In allen Rankings zum Thema Stau dagegen landet München zuverlässig auf einem Spitzenplatz.

Bis 2025 Ausgaben von 1,6 Milliarden Euro

Wohl auch deshalb will das Rathaus jetzt Ernst machen mit der Verkehrswende – und die ehrgeizigen Pläne verheißen nicht weniger als eine Radl-Revolution. So plant die Stadt bis 2025 Ausgaben von 1,6 Milliarden Euro für den Neu- und Ausbau von Radwegen – auf einer Strecke von 450 Kilometern. Unter anderen soll der ersehnte Altstadt-Radlring entstehen, auf dem kann man dann die Innenstadt schnell und sicher umrunden. Und von diesem zentralen Ring, so der Plan, werden dereinst Radschnellwege ins Umland abzweigen – sogenannte Rad-Autobahnen, mindestens vier Meter breit und möglichst kreuzungsfrei. Ein erster Radschnellweg in den Norden nach Garching ist bereits in Planung; für weitere Strecken werden Trassen gesucht.

„Ich bin absolut zuversichtlich, dass sich in den kommenden Jahren viel verändern wird“, sagt Andreas Groh mit Blick auf die Pläne der Stadt. Ein Grund hierfür ist die neue grün-rot-violette Koalition im Rathaus. „Jetzt haben Parteien eine Mehrheit, die ganz klar den Radverkehr fördern wollen“, sagt Florian Paul, Fahrradbeauftragter der Stadt. Dazu haben im Vorjahr zwei Bürgerbegehren zum Altstadt-Radlring und zum Radentscheid München das Rathaus unter Zugzwang gesetzt. Nachdem die Initiator*innen 160 000 Unterschriften gesammelt hatten, übernahm der Stadtrat ihre Ziele, zu denen ein flächendeckendes, sicheres und engmaschiges Radwegenetz gehört.

Zu alledem kommt nun noch die Corona-Krise, die dem Verkehrsmittel Fahrrad nicht nur in München einen Schub verpasst. „Im Mai haben wir an unseren Messstellen 25 Prozent mehr Radler registriert als im Vorjahr“, berichtet Florian Paul. „Und das in einer Zeit, in der die Schulen noch weitgehend geschlossen waren.“ Der Fahrradbeauftragte verweist zudem auf den Ansturm auf Fahrradgeschäfte in den vergangenen Wochen. „Es wurden unfassbar viele Räder gekauft“, sagt Paul. „Und ich gehe fest davon aus, dass dieser Trend keine Eintagsfliege ist, sondern auch nach Corona andauern wird.“

"Wird zulasten des Kfz-Verkehrs gehen"

Mehr Platz für Fahrräder bedeutet freilich weniger Platz für andere Verkehrsteilnehmer*innen. Und hier macht der Fahrradbeauftragte keinen Hehl daraus, wer seiner Meinung nach zurückstecken muss. „Fußgängern und dem öffentlichen Nahverkehr soll nichts weggenommen werden“, betont Florian Paul. „Im Zweifel wird die Verbesserung der Radinfrastruktur zulasten des Kfz-Verkehrs gehen.“

Dies dürfte vielerorts zu Protesten führen – so wie sie die Stadt zuletzt in der Fraunhoferstraße erlebt hat. Dort wurde vor einem Jahr ein neuer Radweg geschaffen, für den 120 Parkplätze weichen mussten. In der Folge kam es zu wütenden Protesten von Anliegenden und Geschäftsleuten; auch die Münchner CSU schloss sich der Kritik an und wetterte im Wahlkampf gegen „Rot-Grüne RADikal-Politik“. Arg erfolgreich waren die Christsozialen damit aber nicht, und so sagt Andreas Groh vom ADFC: „Zwei Drittel der Wähler haben für Parteien gestimmt, die den Radentscheid unterstützen. Die Message ist klar: Die Mehrheit ist der Meinung, dass wir eine bessere Radinfrastruktur in München brauchen.“ (Patrik Stäbler)

Kommentare (1)

  1. Joachim Wuttke am 22.06.2020
    Ja, es braucht bessere Radwege in München. Breiter und mit entschärften Kreuzungen.

    Aber Radschnellwege? Strikt nach einem Vorbild, das in Utrecht oder Essen auf ganz anderen Siedlungsstrukturen beruht? Dann kommt so ein Unsinn heraus wie die Trasse von Schwabing über Neuherberg und Zickzack um Hochbrück zum Garchinger Forschungscampus - hässlich und ein großer Umweg, kaum ein Radler wird so fahren.
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