Kommunales

Die Drogenküchen befinden sich hauptsächlich im Grenzgebiet auf tschechischer Seite. Ab und an wird auch mal eine ausgehoben. (Foto: dpa)

06.02.2015

"Nur im Festzelt gegen Drogen sein – das reicht nicht"

Der oberfränkische Bezirkstagspräsident Günther Denzler über die dramatische Zunahme an Crystal Meth-Abhängigen

Eine bayerische Staatsregierung, die das Thema anfangs bagatellisierte, tschechische Behörden, die den Besitz kleinerer Mengen noch immer nicht ahnden, zu wenig Geld für die Therapierung der Suchtkranken, Kriminelle, die als „schuldunfähig“ zu rasch in Kliniken landen: Beim Kampf gegen Crystal sieht Günther Denzler viele Versäumnisse.

BSZ Herr Denzler, die Zahl der Crystal-Abhängigen, die Mengen des beschlagnahmten Crystal, die Verbreitung der Droge – all das nimmt dramatisch zu. Warnen Sie seit Jahren vergeblich?
Denzler Wir haben das Thema bereits im Jahr 2012 in einem Fachforum auf der Sozialmesse ConSozial in Nürnberg erstmals öffentlich gemacht. Damals wurde uns von Seiten der Ministerien vorgeworfen, wir würden das Thema künstlich aufbauschen. Es hieß, es würde sich doch nur um ein regionales Problem im Grenzraum zu Tschechien handeln. Und wie es in Bayern oftmals so ist: So lange ein Thema in München kein Thema ist, hat es auch in Bayern keines zu sein.

BSZ Hat die Staatsregierung da etwas verschlafen?
Denzler Der Zeitraum zwischen den ersten Hinweisen auf diese gefährliche Droge und der Reaktion der Politik war in der Tat sehr lang. Allerdings musste man auch auf Bundesebene noch vor gut zwei Jahren erst einmal nachschauen, was Crystal Speed überhaupt ist. Im Drogen- und Suchtbericht der Drogenbeauftragten der Bundesregierung wurde Crystal noch im Mai 2012 als rein sächsisches Problem dargestellt. Dabei sind wir im östlichen Oberfranken ja schon seit Ende des vergangenen Jahrzehnts mit der Problematik konfrontiert. Polizei und Zoll haben immer größere Mengen an Crystal Speed beschlagnahmt, der Anstieg war besorgniserregend. Jeder, der sich mit Drogenhandel beschäftigt, hätte sich ausrechnen können, dass diese Mengen nicht nur für den lokalen ostoberfränkischen Raum gedacht sein konnten.

BSZ Wie äußerte sich das in Oberfranken?
Denzler Als Bezirk hatten wir in unseren Suchtkliniken und psychiatrischen Einrichtungen in Hochstadt, Rehau und Bayreuth, aber auch in der Forensik, immer öfter auch mit Crystal-Abhängigen zu tun. Wir haben sehr schnell gemerkt: Da rollt was auf uns zu. Vor allem deshalb, weil es den klassischen Crystal-Konsumenten nicht gibt. Crystal Speed findet mittlerweile in allen Bevölkerungsschichten Abnehmer. Gerade hiervor haben unsere Fachleute massiv gewarnt – lange Zeit leider vergeblich.

BSZ Ist das jetzt anders?
Denzler Die Betrachtungsweise hat sich erst in dem Moment geändert, als Crystal Speed auch in den ersten westlichen Großstädten auftauchte. Seither tut sich etwas, weil sich auch die Politik in Bund und Land mit dem Thema auseinandersetzt. Die Besuche von Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer und Innenminister Joachim Herrmann in Tschechien zeigen dies. Die neue Drogenbeauftrage der Bundesregierung warnt mittlerweile eindringlich vor Crystal. Und auch Gesundheitsministerin Melanie Huml will im kommenden Jahr verstärkt auf diese Gefahr hinweisen. Jetzt gibt es auch Warnungen aus Mittelfranken, wieder von einem Fachmann vom Bezirk: Der Chefarzt der Forensik in Ansbach sprach kürzlich von einem „explosionsartigen Wachstum“ der Crystal-Szene.

BSZ Offenbar sind nur die Bezirke alarmiert – warum?
Denzler Wir spüren die Folgen viel deutlicher als alle anderen. Unsere Einrichtungen im Bereich der Suchttherapie und der forensischen Psychiatrie sind quasi überfüllt. Wir kommen mit dem Bauen nicht mehr hinterher. Gerade haben wir ein neues Therapiegebäude für die Forensik eröffnet, ein weiterer Neubau ist bereits geplant – nur das Geld aus München fehlt noch.

BSZ Warum der hohe Platzbedarf?
Denzler Wir therapieren mittlerweile mehr Patienten in unserer forensischen Psychiatrie, die aufgrund einer Suchterkrankung als nicht schuldfähig eingestuft wurden, als aufgrund anderer psychiatrischer Erkrankungen. Hier hat sich einiges verschoben, auch in der Rechtsprechung. Man kann durchaus diskutieren, ob es der richtige Weg ist, verurteilte Straftäter – statt in den Regelvollzug – vermehrt in unsere Bezirkskliniken zu schicken, weil sie aufgrund ihres Drogenkonsums schuldunfähig sind. Gerade hier sollte sehr genau hingeschaut werden, ab welchem Zeitpunkt man keine Verantwortung mehr für sein Handeln trägt. Die Lösung allein bei den Strafbehörden und den Bezirken zu belassen, kann nicht funktionieren.

BSZ Wo sonst sollte denn angesetzt werden?
Denzler Wir haben es meiner Meinung nach mit einem gesellschaftlichen Phänomen zu tun: Jeder muss immer mehr leisten, will immer mehr besitzen, will toller sein und sich optimieren. Da ist Crystal – das vorübergehend für Selbstbewusstsein und für ein Gefühl der vermeintlichen Unbesiegbarkeit sorgt – quasi die „ideale“ Droge. Zudem ist sie zu leicht und zu günstig zu bekommen. Wir müssen also auch hinterfragen, warum die Menschen scharenweise nach dieser Droge greifen. Wenn wir das tun, sind wir schnell bei den fragwürdigen Werten, die in unserer Gesellschaft heute vorherrschen. Da gilt es anzusetzen.

BSZ Wie genau?
Denzler Wir müssen da hingehen, wo die Jugendlichen sind. Hier können wir immer noch am meisten erreichen. Wir müssen an Schulen und in die Jugendzentren, zu Suchtberatungsstellen und in die Gemeinde. Und wir müssen die Eltern einbinden und sensibilisieren, damit sie auf erste Warnsignale achten und aufmerksamer werden, wenn sich die eigenen Kinder verändern. Gerade bei Crystal kommt es darauf an, früh einzugreifen.

BSZ Halten Sie die Forderung der SPD-Landtagsfraktion nach zusätzlich zwei Millionen Euro für den Kampf gegen Crystal für berechtigt? Und reichen zwei Millionen überhaupt?
Denzler Ich mag nicht über Millionen streiten. Es müssen einfach ausreichend Mittel zur Verfügung gestellt werden, um uns sowohl in der Drogenprävention als auch in der Strafverfolgung personell noch besser aufzustellen. Noch wichtiger aber ist, dass das Thema von den Verantwortlichen ernst genommen wird. Multiplikatoren müssen glaubwürdig gegen diese Droge und die kriminellen Strukturen dahinter vorgehen. Wenn nur im Festzelt und für die Schlagzeile der Kampf gegen Crystal propagiert wird, dann reicht das natürlich nicht.

BSZ Polizei und Zoll propagieren doch schon seit 2011 den „engen Schulterschluss“, organisieren „runde Tische“. Was konkret bringen da politische Gespräche?
Denzler Es soll ja auf tschechischer Seite bis zu 300 Crystal-Küchen geben. Die Bestandteile für die Herstellung der Drogen in diesen Giftküchen sind noch zu leicht verfügbar. Der Grundstoff Chlorephedrin ist beispielsweise auch in Deutschland frei handelbar. Wenn also unbehelligt von den Behörden munter weiter Nachschub für die Abnehmer produziert werden kann, dann sind all unsere Anstrengungen vergebens. Insofern war es auch wichtig, dass ein Ministerpräsident oder ein Innenminister bei den tschechischen Partnern vorstellig wurden. Wir Bayern können diese Drogenküchen ja nicht selber ausheben. Das müssen unsere Nachbarn machen.

BSZ Wie bewerten Sie deren Einsatz?
Denzler Die Tschechen haben das Problem lange Zeit einfach nicht ernst genug genommen. Erst langsam bekommt die tschechische Öffentlichkeit mit, dass ihre eigenen Kinder und Jugendlichen ebenso gefährdet sind. Leider wird der Besitz von bis zu zwei Gramm Crystal in Tschechien immer noch nicht als Straftatbestand gewertet, obwohl damit mehrere Konsumenten versorgt werden können. Ich bin mir aber auch im Klaren darüber, dass so viele Menschen an dem Geschäft mit dieser Droge verdienen, dass es eine Weile dauern wird, bis die Crystal-Küchen ausgehoben sind.
(Interview: Anja-Maria Meister)

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