Kommunales

Mittlerer Ring. (Foto: dpa)

25.10.2019

Verkehrspolitik der SPD in Städten: Es lebe das Auto!

Die SPD hat in München und anderen Städten lange Zeit vor allem die Interessen der Autofahrer bedient

Die Münchner lieben ihre Stadt: die Biergärten, die Isar, den Englischen Garten und natürlich auch den BMW-Tower – doch nicht unbedingt die SUVs und die Luxuslimousinen des Premiumherstellers, die zu Tausenden durch die Stadt brausen. Wer schon einmal mit dem Kinderwagen – der Nachwuchs auf Augenhöhe mit dicken Auspuffrohren – minutenlang an einer Ampel gewartet hat, ist nicht unbedingt Fan der dortigen Verkehrspolitik. Insbesondere, wenn er, wie immer mehr Menschen in den Großstädten, selbst überhaupt kein Auto mehr hat. Denn Busse und Straßenbahnen platzen ebenso wie U- und S-Bahnen wegen des ungebremsten Bevölkerungszuwachses und eines politischen Verkehrsversagens von Freistaat und Stadt längst aus allen Nähten.

Mobile Blechkarawane hat Vorfahrt

Mancher, der eingequetscht in der Tram zwischen Dauerhustern und Schweißwolken zur Arbeit fährt, dürfte sich fragen, ob es mit einer grün geführten Rathausregierung heute nicht vielleicht ein besseres ÖPNV-Angebot geben würde. Und viele Autofahrer, die sich über die langjährige Vollgas-Politik im Rathaus freuen, kommen oft gar nicht aus der Stadt. Dennoch hofierte sie die seit Jahrzehnten fast durchgehend SPD-geführte Rathausspitze diese ein ums andere Mal.

Während die mobile Blechlawine Vorfahrt vor Fahrrädern und dem ÖPNV bekam, vernachlässigten die Genossen im Rathaus – ebenso wie der christsoziale Regierungspartner – ein ums andere Mal die Interessen der vielen Münchner, die schon lange vor der Klimadiskussion Fahrrad oder öffentlichem Nahverkehr den Vorzug gaben. Dabei sind letztere ihre Wähler – während in der oberbayerischen Fläche von jeher kaum für die SPD gestimmt wurde.

Doch statt dem ökologischen Bewusstsein vieler ihrer langjährigen Anhänger entgegenzukommen, und den ÖPNV massiv auszubauen, schaffte es die Münchner Stadtregierung, beim Nahverkehrsangebot seit Langem selbst hinter chronisch klammen Städten zurückzubleiben. Schuldenabbau war den Genossen viele Jahre offenbar wichtiger als die eigene Infrastruktur. Obwohl die Bevölkerungszahl an der Isar seit 2010 um gut 150 000 zulegte, wurde das U-Bahnnetz seither nicht ausgebaut.

Das S-Bahnnetz steht – auch dank des verkehrspolitischen Totalversagens früherer CSU-Staatsregierungen – jeden Tag ein ums andere Mal kurz vor dem technischen Totalausfall. Die Trambahnen sind zwar nicht marode – die oftmals sehr löchrige Taktdichte aus Sicht von Kritikern jedoch schlicht eine Frechheit. Und die Busse bleiben oft im Stau stehen.

Obwohl sich neben den Grünen im Sommer auch die CSU für Nacht-U-Bahnen in der 1,4 Millionen zählenden Metropole ausgesprochen hatten, erteilten ausgerechnet die Sozialdemokraten derlei umweltfreundlichen Überlegungen eine Absage. Lange Zeit hatten überdies bei der Verkehrsplanung Parkplätze Vorrang vor Fahrradwegen. Für den interessierten Betrachter ist dies keine Überraschung: Mehrere Münchner SPD-Politiker scheinen gut verbandelt mit der Autoindustrie zu sein. Zudem wollten manche Genossen offenbar auf keinen Fall Autofans vergraulen – doch die wählen nun einmal ohnehin lieber CSU, FDP oder AfD.

Politologe: SPD läuft der Trend davon

Doch klar ist auch: Viele Parteimitglieder sind schon lange Verfechter einer ökologischeren Politik. Sie stöhnten zuletzt immer öfter über den Kurs der Partei. Zudem bewegten sich die Genossen in einigen Punkten in den vergangenen Wochen in Richtung einer nachhaltigeren Verkehrspolitik. Die jüngsten personellen Veränderungen in der Münchner SPD-Stadtratsfraktion dürften diese Entwicklung begünstigen.

Doch reicht der verkehrspolitische Schwenk unter dem beliebten Oberbürgermeister Dieter Reiter aus, um einen von manchen Beobachtern erwarteten Erdrutschsieg der Grünen noch verhindern zu können? Schließlich war die Ökopartei in der Landeshauptstadt bei den Europa- und Landtagswahlen der große Gewinner. Dass die Grünen selbst lange im Rathaus mitregierten und sich dort in Verkehrsthemen zu wenig durchsetzten, scheint längst vergessen.

Unstrittig ist: Auch in anderen Großstädten im Freistaat tut sich die dort lange Zeit führende SPD schwer, dem zunehmenden ökologischen Bewusstsein der sich wandelnden Stadtbevölkerung gerecht zu werden. Der Partei laufe der „Trend davon“, findet der CSU-nahe Passauer Politologe Heinrich Oberreuter.

„Gerade in den großstädtischen Räumen befanden sich über viele Jahrzehnte hinweg die Hochburgen der SPD“, sagt aber auch der linke Mainzer Politikwissenschaftler Gerd Mielke. Der Niedergang der klassischen Parteien hänge „ganz entscheidend mit diesem Kulturwandel im Blick auf die neu Zugegezogenen zusammen“. Dieser Wandel werde natürlich auch auf einzelnen Politikfeldern deutlich. „Es ist oft eben so, dass sich die SPD und auch die Union in den Städten etwa im Blick auf den ÖPNV gegenüber den Grünen als zurückhaltend und zögerlich erweisen.“ Bei den Kommunalwahlen im März 2020 könnte sich dies nun rächen. (Tobias Lill)

Kommentare (1)

  1. Kilian Webermayer am 29.10.2019
    Wenn man das so liest, dann drängt sich der Eindruck auf, die SPD würde ihr Heil darin finden mehr wie die Grünen zu werden. Doch das ist der falsche Weg. Die SPD hätte die Grünen von Anfang an genau so bekämpfen müssen wie es die Union jetzt mit der AfD tut. Sonst wird sie irgendwann als linke Volkspartei gänzlich abgelöst. Die Zahnarztgattin mit E-Roller und der Hochschullehrer der im Bioladen einkauft werden nie die Sozis wählen.
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