Kommunales

29.07.2011

Rathaus statt Ruhestand

Arbeiten jenseits der 65? Was Oberbürgermeistern in Bayern (noch) gesetzlich verboten ist, ist anderswo längst Alltag

Wulf Segebrecht ist seit fast 30 Jahren Germanistik-Professor an der Uni Bamberg. Auf dem Schild an seiner Bürotür prangt hinter seinem Titel die Abkürzung „em“. Das steht für Emeritus und bedeutet, dass sich der 76-Jährige im Teil-Ruhestand befindet. Mit 65 muss an deutschen Unis also längst nicht Schluss sein. Das Hochschulrahmengesetz erlaubt es Professoren seit 1976, auch nach Eintritt ins Rentenalter am Institut zu bleiben. Hochschullehrer müssen sich als Emeritierte nicht mehr um die lästige Verwaltung des Instituts kümmern. Sie dürfen aber, wenn sie das wollen, weiterhin Lehrveranstaltungen halten. Sie können ihr Dienstzimmer behalten. Nach Belieben auch weiter forschen. „Warum aufhören?“, sagt Segebrecht, der im Kopf fitter ist und schneller denkt als manch junger Kollege. Sein Beruf sei Berufung – auf Lebenszeit.
Auch in der freien Wirtschaft wird der Stift in der Regel nicht mit Überschreiten einer gewissen Altersgrenze fallen gelassen. Unternehmensbesitzer schalten und walten oft bis zum Lebensende. Auch in anderen Branchen ist üblich, was bislang Oberbürgermeistern und Landräten in Bayern versagt bleibt: weiterarbeiten, auch wenn sie das 65 Lebensjahr überschritten haben. Für Freiberufler und Künstler gilt, wie übrigens auch für viele Politiker auf Landes- und Bundesebene: Aufgehört wird erst, wenn die Kräfte versagen – und das kann bei immer fitteren Alten erst im achten Lebensjahrzehnt sein oder – siehe Helmut Schmidt – noch später.
Bei der von der Staatsregierung geplanten Anhebung des Renteneintrittsalters bei kommunalen Wahlkandidaten lohnt ein Blick in andere Bundesländer: Beim Nachbarn Baden-Württemberg ist es so geregelt, dass Oberbürgermeister bis 68 in den Rathäusern sitzen dürfen. Keinen Tag länger. „Der Oberbürgermeister wird bei uns auf acht Jahre gewählt. Ein Kandidat kann sich kurz vor seinem 65 Geburtstag wählen lassen, muss aber mit 68 sein Amt niederlegen“, heißt es im baden-württembergischen Innenministerium. „Weil wir eine gewisse Professionalisierung voraussetzen und davon ausgehen, dass ein 70-Jähriger den Belastungen, die das Amt mit sich bringt, nicht mehr gewachsen ist.“
Das sehen die Nordrhein-Westfalen anders. Dort wurde im Oktober 2007 mit dem „Gesetz zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung“ das Alterslimit für Oberbürgermeister komplett aufgehoben. „Davor lag das Höchstalter bei 68“, heißt es im Ministerium für Inneres und Kommunales in NRW.
Die Statistik zeigt, wie alt die Chefs der Gemeinden und Landkreise wirklich sind: In Bayern ist ein OB im Schnitt 54 Jahre alt, ein Landrat 57. Ende dieses Jahres sind 27 der 71 Landräte in Bayern 60 Jahre oder älter. Bei den 1102 hauptberuflichen Bürgermeistern der kreisangehörigen Gemeinden zählen 261 Rathauschefs zur Altersgruppe 60plus.
Viele Amtsinhaber, die körperlich und geistig fit sind und noch immer Lust auf ihren Beruf verspüren, dürften mit Spannung die Lockerung dieser als unzeitgemäß empfundenen Regelung erwarten. Von Diskriminierung ist die Rede. Denn: Was für Ehrenamtliche gilt – sie dürfen bei Gemeinden mit maximal 10 000 Einwohnern bis ins hohe Alter tätig sein – soll ebenso für Hauptamtliche gelten.
Dass ein Rathaus-Chefposten durchaus längerfristig Spaß machen kann, bewies Hartwig Reimann (SPD). 1970 war er als 31-Jähriger gewählt worden. Als er 2008 nach 38 Regierungsjahren in Schwabach aus dem Amt schied, war er der dienstälteste Oberbürgermeister Deutschlands. 2008 wäre er wohl nochmals angetreten, wäre er nicht mit 69 Jahren für das Amt zu alt gewesen.
Diskutiert wird im Landtag derzeit neben dem Kabinettsentwurf (maximal 67 Jahre, aber erst ab dem Jahr 2020) ein Vorschlag des Landkreistags als Stufenmodell (66 Jahre bei der Wahl 2014, 67 Jahre ab 2020) sowie der Vorschlag des Deutschen Städtetags, der die komplette Aufhebung der Altersgrenze begrüßen würde. Dass das Vorhaben der CSU/FDP-Koalition durchgeht, gilt als sehr wahrscheinlich. Der Opposition wäre es aber lieber, das Alterslimit komplett zu streichen.
Der Präsident des Bayerischen Landkreistags, Jakob Kreidl (CSU), könnte als Landrat im Kreis Miesbach irgendwann auch von der Neuregelung profitieren. „Ich bin zuversichtlich, dass im Zuge der Gleichbehandlung von Ministern und Abgeordneten auch für kommunale Wahlkandidaten die Altersgrenze fällt“, sagt Kreidl. „Ich finde, es sollte dem Wähler überlassen bleiben, wen er im Amt bestätigen will. Wenn er aktive, erfahrene Kandidaten will, warum nicht?“
Auch Bürgermeister Michael Sedlmair (FWG) findet die aktuelle Gesetzeslage einfach nur diskriminierend. „In der freien Wirtschaft, bei Freiberuflern und Künstlern würde man das völlig abwegig finden“, sagt der zweite Vorsitzende des Bayerischen Städtetags.
Der Landtag plant zugleich, dass auch ganz junge Kandidaten ins Amt dürfen. Kommunale Nachwuchstalente sollen auf Vorschlag der FDP künftig schon mit 18 Jahren als Landrat oder Bürgermeister kandidieren können. Bisher liegt die Altersgrenze bei 21. Das heißt: Man öffnet sich auch nach unten.
Dass das jemand wie Michael Adam (SPD) gut findet, ist nicht verwunderlich. Der heute 26-jährige wurde 2008 mit 23 Jahren in Bodenmais Bayerns jüngster Bürgermeister. Adam sagt: „Kompetenz ist keine Frage des Alters. Es gibt Kollegen, die können es auch mit 60 nicht.“ Es sei eher die Frage, ob man das wolle: 45 Jahre im Rathaus sitzen. „Mein Tag hat oft 16 Stunden.“
Grundsätzlich begrüßt der Jungbürgermeister die Anhebung der Pensionsgrenze: „Wir haben Bundestagsabgeordnete, die 90 sind. Warum also keine 70-jährigen Bürgermeister? Wir kegeln kompetente Menschen aus ihren Ämtern raus. Warum? Ich sehe weder menschlich noch betriebswirtschaftlich darin einen Sinn. Die Altersgrenze ist einfach Blödsinn.“
(Claudia Schuh)

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