Kommunales

Ein Polizeiauto parkt unweit des Augsburger Rathauses. Der dortige OB Kurt Gribl (CSU) wurde bereits von Extremisten attackiert. Foto: dpa/Hildenbrand

28.06.2019

„Rechtsextremismus im Keim ersticken“ - Zahl der Übergriffe gegen Politiker bleibt auch in diesem Jahr hoch

Vor allem Kommunalpolitiker sind Attacken oder Pöbeleien oft schutzlos ausgeliefert – der Innenminister fordert, „Umtriebe im Netz konsequent anzuzeigen“

In den ersten fünf Monaten gab es im Freistaat offiziell 54 politisch motivierte Straftaten gegen Parteirepräsentanten, -mitglieder, Amtsträger sowie Mandatsträger. Das geht aus Zahlen des bayerischen Innenministeriums hervor, die der BSZ exklusiv vorliegen. Elfmal seien diese rechts- und achtmal linksextrem motiviert gewesen. Fünf Fälle wurden der Gewaltkriminalität zugerechnet. Ältere Zahlen aus anderen Bundesländern, die der BSZ vorliegen, zeigen zudem, dass die Zahl der Delikte gegen Politiker vor allem auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise explodierte.

Es war ein beeindruckender Empfang, den die Augsburger im Juni vergangenen Jahres den zum Bundesparteitag der AfD angereisten Delegierten bereiteten. Rund 5000 Menschen demonstrierten weitgehend friedlich in der Innenstadt. Es sprachen auch Vertreter diverser Parteien – darunter der Oberbürgermeister der Fuggerstadt Kurt Gribl (CSU). Doch nicht jeder Demonstrant zeigte sich als anständiger Demokrat. Offenbar wegen der Haltung seiner Partei in der Flüchtlingsfrage warfen einige Antifa-Aktivisten mit Tomaten, Eiern und leeren Plastikflaschen auf den christsozialen Kommunalpolitiker – rasch wurden sie von anderen Protestierenden und Polizisten zurückgedrängt, bevor Schlimmeres passierte. Doch der Vorfall zeigte aus Sicht vieler Politiker und Beobachter: Das Klima, in dem Lokalpolitiker arbeiten, wird rauer.

Seit der im Stile einer Hinrichtung inszenierten Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, mutmaßlich verübt durch einen Rechtsterroristen, diskutiert ganz Deutschland über eine mutmaßliche Zunahme an Attacken gegen Politiker. Sowohl der bayerische Gemeindetag als auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) berichten von zunehmenden Beleidigungen und Bedrohungen. Neben den verbalen häuften sich auch die körperlichen Attacken. Dies sei eine Gefahr für die lokale Demokratie.

Doch stimmt das? Nehmen Übergriffe und Pöbeleien tatsächlich zu? Über offizielle Zahlen, wie viele Kommunalpolitiker in den vergangenen Jahren angegriffen wurden, verfügen weder Sicherheitsbehörden auf Landes- noch auf Bundesebene.

„Umtriebe im Netz nicht länger hinnehmen“

Doch kommunale Verbandsvertreter können unter anderem auf die Ergebnisse seriöser Erhebungen verweisen. In einer aktuellen Umfrage der Zeitschrift "Kommunal" antworteten fast acht Prozent der befragten Bürgermeister, in ihren Kommunen seien seit 2015 Lokalpolitiker oder Verwaltungsmitarbeiter körperlich angegriffen worden. In einer ähnlichen Befragung im Jahr 2017 hatten nur sechs Prozent der befragten Rathauschefs von Gewaltvorfällen gesprochen.

Das Bundeskriminalamt (BKA) hat keine expliziten Zahlen zu strafbaren Handlungen zu Lasten von Politikern oder gar ausschließlich Kommunalpolitikern. Das BKA registrierte bundesweit im vergangenen Jahr jedoch 1256 Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger wie Abgeordnete oder Richter. Im Vergleich zu 2016 ist diese Zahl um 30 Prozent zurückgegangen. Und auch im Freistaat sank die Zahl solcher Delikte – von 227 im Jahr 2016 auf 173 im vergangenen Jahr. Zu einem kleinen Teil geht der Rückgang wohl auf eine statistische Änderung zurück. Doch es gab auch einen realen Rückgang. Vor allem rechtsextrem motivierte Stratftaten gegen Amts- und Mandatsträger nahmen in Bayern deutlich ab – in nur zwei Jahren um 57 Prozent auf 50 im Jahr 2018.

Ist also alles halb so wild? Mitnichten – denn der Bund erfasst ebenso wie Bayern Übergriffe oder andere Delikte gegen Politiker oder Amtsträger explizit erst seit 2016. Dabei war vor allem 2015 und 2016 das politische Klima hierzulande aufgrund der Flüchtlingskrise so aufgeheizt wie seit vielen Jahren nicht.

Analysiert man die Zahlen anderer Bundesländer aus den Jahren vor 2016, ergibt sich ein klares Bild: In acht von zehn Bundesländern, in denen zumindest für Teilbereiche des politischen Lebens Statistiken zu Übergriffen vor dem Jahr 2016 existieren, war die Zahl der Attacken 2015 – teils dramatisch – gestiegen. So gab es in Nordrhein-Westfalen 2015 dreimal so viele Angriffe auf Parteieinrichtungen wie noch im Jahr zuvor.

In Brandenburg hatte die Zahl der politisch motivierten Angriffe auf die Büros von Parteien und Politikern sowie deren Mitarbeiter sich 2015 im Vergleich zu 2014 in etwa versiebenfacht, in Sachsen-Anhalt mehr als verdreifacht. In Sachsen registrierten die dortigen Behörden 2015 sogar elfmal so viele Straftaten gegen Bürgermeister und Abgeordnete wie noch 2014. Erfasst wurden dort Straftaten, die in Zusammenhang mit der Asylpolitik standen.

In diesem Licht sind die Zahlen des BKA ganz anders zu deuten. Vieles spricht dafür, dass Übergriffe und andere strafbare Handlungen gegen Politiker oder Parteibüros zwar nach 2016 im Zuge des Abflauens des Flüchtlingsstreits tatsächlich bundesweit zurückgingen – jedoch von einem bundesweit wohl historisch hohen Niveau. Genau lässt sich dies aber nicht sagen, da die Zahlen, die aus zahlreichen Ländern vor 2016 vorliegen, aufgrund anderer Parameter nicht eins zu eins mit denen des BKA von heute vergleichbar sind. Die Definition der erfassten Übergriffe und erfassten politischen Institutionen war zum Teil von Land zu Land unterschiedlich. Aber der besagte Trend lässt sich daraus eindeutig ablesen.

Überdies wurden auch seit 2016 zweimal die Definitionen der Erfassung der Deliktzahlen gegen Politiker auf Bundesebene geändert. So soll künftig exakter die Zahl der tatsächlichen Delikte gegen Politiker ermittelt werden können. Es wurde ein neuer Katalog geschaffen, wie es seitens des bayerischen LKA heißt. Seit Januar dieses Jahres werden politisch motivierte Straftaten gegen Parteirepräsentanten, -mitglieder, Amtsträger sowie Mandatsträger erfasst. Diese sind mit den Zahlen aus den Vorjahren nur bedingt vergleichbar.

"Hohe Dunkelziffer"

Doch klar ist: Die Lage bleibt ernst. In den ersten fünf Monaten gab es im Freistaat offiziell 54 politisch motivierte Straftaten gegen Parteirepräsentanten, -mitglieder, Amtsträger sowie Mandatsträger. Das geht aus Zahlen des bayerischen Innenministeriums hervor, die der BSZ exklusiv vorliegen. Elfmal seien diese rechts- und achtmal linksextrem motiviert gewesen. Fünf Fälle wurden der Gewaltkriminalität zugerechnet.

Überdies: Spricht man mit Vertretern kommunaler Verbände, berichten diese unisono, dass viele Lokalpolitiker Drohungen oder Beleidigungen gegen sie insbesondere in sozialen Medien offenbar nur sehr selten zur Anzeige bringen. „Es ist von einer hohen Dunkelziffer an Delikten auszugehen“, heißt es etwa beim Gemeindebund.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) bleibt alarmiert: „Der schreckliche Mord am Kassler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ist eine neue Dimension des Rechtsextremismus in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.“ Klar ist für ihn: „Wir müssen den Rechtsextremismus bereits im Keim ersticken. Gerade auch das Internet ist kein rechtsfreier Raum, in dem beliebig gehetzt und gestänkert werden darf.“ Er forderte Politiker und Bürger auf, „Umtriebe im Netz konsequent anzuzeigen.“ (Tobias Lill)

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