Kommunales

Es gibt einige innovative Vorreiter unter den Kommunen beim Thema Social Media, viele verhalten sich aber noch abwartend. (Foto: dpa)

13.10.2017

Social Media fristet in vielen Rathäusern noch ein Schattendasein

Beim diesjährigen Kongress Kommunale Kommunikation in Hemau ging es um die digitale Zukunft in den Stadt- und Gemeindeverwaltungen

Der diesjährige Kongress Kommunale Kommunikation im oberpfälzischen Hemau beschäftigte sich mit der Frage: „Ist unsere Kommune fit für die digitale Zukunft?“ Bei den Entscheidern in den bayerischen Rathäusern besteht zwar Aufgeschlossenheit. Es herrscht aber – speziell bei den Social-Media-Aktivitäten – auch Skepsis hinsichtlich der praktischen Umsetzung.

Fast alle Spitzenpolitiker im Bund tun es, um ihre Sicht der Dinge zu aktuellen Ereignissen schnell und prägnant zu vermitteln; bei den Landespolitikern schaut es schon distanzierter aus und die meisten Bürgermeister machen einen großen Bogen darum: Twittern. Ausnahmen – auch ziemlich erfolgreiche – gibt es natürlich: etwa der grüne Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer.

Aber bei den meisten Bürgermeistern scheint sich das Kommunizieren in maximal 140 Zeichen – angeblich sollen es ja bald 280 sein – nicht mit der Würde des Amts zu vereinbaren. Doch dadurch lassen sie ohne Not einen höchst effektive Draht zu ihren Bürgern und Wählern brach liegen. „Denn immerhin 33 Millionen Menschen in Deutschland nutzen regelmäßig die sozialen Medien – neben Twitter vor allem Facebook, Instagram und WhatsApp“, sagte der bei der Veranstaltung als Referent auftretende Lutz M. Hagen, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Technischen Universität Dresden. Seine These: Während sich Facebook inzwischen aber eher zu einem Medium für die mittelalte Generation wandelt – und der totale Hype darum wohl langsam zurückgehe – sind die Jüngeren momentan bevorzugt bei Snapchat unterwegs.

Die Lokalzeitung ist für die meisten Bürgermeister das Medium Nummer eins


Viele Bürgermeister, das war im Publikum zu erfahren, verlassen sich bei der Kommunikation mit ihren Einwohnern und Wählern immer noch fast ausschließlich auf die jeweilige lokale Tageszeitung im Ort. Grundsätzlich sei das auch nicht falsch, denn das garantiere in der Regel Professionalität und Fairness. Nur verlieren diese Lokalzeitungen eben durch ein geändertes Mediennutzungsverhalten der Menschen kontinuierlich Leser. Darauf reagieren sie dann notgedrungen mit Personalabbau. Was wiederum zur Folge hat, dass der einzelne Lokalredakteur noch weniger Zeit hat, den Bürgermeister ausführlich – etwa zum Für und Wider der Turnhallensanierung oder des Kitaneubaus – zu befragen. Ein Teufelskreis.

„Lokale Themen prägen die sozialen Medien“, ist Professor Hagen überzeugt. „Es gibt dabei den Trend zu immer mehr Zielgruppen auf immer mehr Kanälen. Ursache dafür ist vor allem der geringe finanzielle Aufwand.“ Der Wissenschaftler aus Dresden hat dafür auch ein Beispiel aus seiner Heimatstadt parat: die Pegida-Demonstrationen, die ja zunächst als rein lokales Phänomen begannen. „Treffpunkte und Marschrouten, Losungen, Reaktionen auf aktuelle Ereignisse – all das wurde über Facebook organisiert.“ Und zwar im Wesentlichen von nur einer Person, Lutz Bachmann. Die Stadtverwaltung war irgendwann nicht mehr in der Lage, darauf angemessen zu reagieren.“

Ein Vorreiter in Europa ist die belgische Stadt Gent


Das mag vielleicht auch damit zu tun haben, das Social Media in den meisten Stadtverwaltungen derzeit noch eine untergeordnete Rolle spielt. Und wenn, dann wird erwartet, dass sich darum eben das traditionelle Personal kümmert. „Ich denke, das erledigen mein Pressesprecher oder meine Sekretärin“, meinte der Bürgermeister einer rund 10 000 Einwohner zählenden kreisangehörigen bayerischen Stadt leicht verwirrt auf die Frage, wer denn in seinem Haus der Social-Media-Beauftragte sei.

„Völlig falsch gedacht“, kritisiert der Journalist Hannes Burger, der sich mit dieser Thematik schon länger beschäftigt. Pressesprecher hätten andere Aufgaben. Die würden dann am Ende zu kurz kommen, und professionell erledigt wäre die neue Problematik trotzdem nicht. Man kann es auch mit einem anschaulichen Vergleich aus der Medizin erläutert: Der Chirurg wertet die Röntgenaufnahme mit dem gebrochenen Bein zwar aus – aber es ist nicht sein Job, sich vorher um das korrekte Röntgen und die Wartung des Geräts zu kümmern.

Wie es erfolgreich funktionieren kann, demonstriert die belgische Kommune Gent. Obwohl keine Weltstadt und mit knapp 260 000 Einwohnern nur etwa so groß wie Augsburg, leistet sich das Genter Rathaus vier Social Media Beauftragte und 125 sublokale Netzwerkadministratoren. Sie informieren regelmäßig über aktuelle Projekte der Verwaltung und kommunizieren direkt, also live, mit dem Bürger. Neben Twitter nutzen die Belgier dafür verstärkt auch Youtube – wo der Bürgermeister sich etwa bei Terminen und Ratssitzungen begleiten lässt.

Hohe Medien-, aber geringe Nachrichtenkompetenz


In Silkeborg, einer nur 44 000 Einwohner zählenden dänischen Kommune, stehen im Stadthaushalt alljährlich eine Viertelmillion Kronen (etwa 35 000 Euro) für außerordentliche Social Media-Aktivitäten bereit. Freilich beginnt auch in einigen deutschen Städten ein Umdenken, so hat etwa Frankfurt/M. vor einiger Zeit eine Twitter-Community gegründet und Nürnberg erstellt bei Facebook anlassbezogene Fan-Seiten.

„Allen Machern und Kommunalpolitikern muss aber klar sein: Journalistische Kriterien spielen bei der Auswahl in Social Media eine untergeordnete Rolle“, warnt Professor Hagen. Vor allem Menschen mit eher geringer Bildung würden in ihren Ansichten in den sozialen Netzwerken – wo sie sich ja vorrangig mit Gleichgesinnten austauschen – eher noch bestärkt als zur Reflektion angehalten. „Die Medienkompetenz mag hoch sein, aber die Nachrichtenkompetenz ist gering“, bilanzierte Lutz M. Hagen. Zum Wutbürger dringt in Social Media eben am besten vor, wer am lautesten schreit. Die Unterschiede zum ausgewogenen Bericht mit den Stellungnahmen aller Beteiligten in der guten alten Lokalzeitung sind immens.

Die Skepsis bei den Bürgermeistern und Verwaltungsmitarbeitern überwiegt. „Wird das alles denn auch im nächsten Kommunalwahlkampf 2020 eine Rolle spielen?“, wollte ein Anwesender von dem Wissenschaftler wissen. Antwort des Professors: „Auf jeden Fall und viel mehr als noch bei der letzten Kommunalwahl im Jahr 2014.“ Und auszuschließen sei auch längst nicht mehr, dass auch auf kommunaler Ebene in den sozialen Medien Wahlbeeinflussung mittels sogenannter Trolle (Pöbler und Verleumder) und Bots (künstliche Accounts) betrieben werden wird. Vielleicht nicht gleich in jedem Dorf, aber möglicherweise schon in einigen Großstädten. Ein noch so kompetenter Bürgermeister, der über einen längeren Zeitraum hinweg in den sozialen Medien gebasht wird, dürfte es schwer haben, wenn er nicht von Anfang an erfolgreich dagegen steuert.

"Sollen wir jetzt alle wie wild twittern?"


„Also sollen wir jetzt alle wie wild twittern?“, wollte ein anderer Anwesender wissen. „Wir sind keine große Verwaltung und müssen uns ja auch noch um die eigentliche Arbeit kümmern“, fügt er noch leicht genervt hinzu. Der Kommunikationswissenschaftler hat auch darauf eine klare Antwort: „Entweder man macht es  professionell – oder man lässt es besser ganz. Und das Büro darf auch nicht völlig losgelöst vom Chef agieren, da muss schon eine gewisse Rückkopplung mit dem Bürgermeister bestehen.“ Inwieweit die Bayern eine solche (Kommunal-)politik möchte samt aller damit verbundenen soziokulturellen Änderungen in ihren Städten und Gemeinden – das freilich bleibt abzuwarten.

Ebenfalls unter den Referenten in Hemau war der aus Passau gebürtige Politikwissenschaftler Florian Hartleb, der seit 2016 in der estnischen Hauptstadt Tallinn lebt und arbeitet. Er forscht unter anderem, wie Verwaltungsprozesse durch Digitalisierung beeinflusst und verändert werden. Montgelas 3.0 – der vom Heimatministerium angestoßene Transformationsprozess in den Ämtern – sei derzeit ja großes Thema. „Aber im Alltag hängen wir in unseren Rathäusern hinter Estland noch arg weit zurück“, so Hartleb, der es im Frühjahr persönlich erlebte: Als er seinen neugeborenen Sohn registrieren wollte, waren dazu in Tallinn nur einige Klicks daheim am Computer notwendig. In Bayern dagegen – das Kind hat beide Staatsbürgerschaften – waren mehrere persönliche Besuche auf verschiedenen Ämtern notwendig und dazu ein Berg an Papieren.

Es gibt einige Gründe dafür“, erläuterte der Passauer. „Unter anderem gibt es vor allem in den meisten kleinen und mittleren Behörden immer noch keinen Chief Digital Officer, also einen Mitarbeiter, der die Hauptverantwortung für die Digitalisierung trägt. Dann sind in Bayern die Datenschutzbedenken gegenüber dem Staat sehr groß und werden von einigen Politikern und Medien auch gezielt befeuert. Und drittens gibt es eine gewisse Verweigerungshaltung in den Ämtern, vor allem bei älteren Kollegen. Die haben Angst vor einer höheren Stressbelastung, wenn sie sich darauf einlassen.“ Manchmal sei es auch nur drollig, was sich einige Beamte unter dem Begriff Digitalisierung vorstellten: „Einfach nur ein PDF mit einem zehnseitigen Antrag auf der Website der Gemeindeverwaltung hochzuladen, das man sich dann daheim ausdrucken kann, ist es sicher nicht“, so Hartleb schmunzelnd. (André Paul)

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