Kommunales

Ein Waldarbeiter bei der Entsorgung von Schadholz nach einem Sturm: Für immer mehr Menschen wird sein Berufsstand zum Feindbild. (Foto: dpa/Andreas Arnold)

28.08.2020

Sogar mit Prügeln wird gedroht

Im Raum Nürnberg gehen immer mehr Menschen hasserfüllt auf Waldarbeiter los

Von den Fallstricken der Wahrnehmung kann Johannes Wurm ein Lied singen. „Ein Holzhaus finden alle toll. Einen Holzfußboden auch. Nur den Waldarbeiter bei der Forstwirtschaft finden immer weniger Leute toll“, ärgert sich Wurm, Forstbetriebsleiter der Bayerischen Staatsforsten in Nürnberg, über die seiner Meinung nach fatale Verteufelung von Äxten und Sägen im Wald.

„Kettensägen-Paradoxon“ hat Wurm das naive Denkmuster der vermeintlichen Waldschützer getauft, mit der seine Waldarbeiter immer häufiger konfrontiert würden. Das Ausmaß der widersprüchlichen Waldvergötterung – Holz ist gut, Holzfäller sind schlecht – erreiche inzwischen abstruse Dimensionen. „Meine Kollegen bekommen teilweise sogar Schläge angedroht“, erzählt Wurm und berichtet von immer mehr Pöbeleien, die sich seine Männer mit den Kettensägen bei der Arbeit im Holz von selbsternannten Wald-Liebhaber*innen gefallen lassen müssten.

Radfahrer blockiert dem Forstauto die Weiterfahrt

„Persönlich ist mir das mittlerweile auch schon häufiger passiert. Neulich hat mich ein Radler zum Beispiel auf einem Waldweg nicht mit dem Auto vorbeifahren lassen“, erzählt Wurm und versucht, die Ursachen der wachsenden Wutwelle auf fränkische Waldarbeiter zu ergründen. Die Hauptursache könnte in der fehlende Distanz zwischen Wald und Mensch rund um die alte Reichsstadt liegen. „Unser Nürnberger Reichswald schmiegt sich an den fränkischen Ballungsraum an.“

Diese Tatsache liegt in der Natur seiner Geschichte begründet. Der Wald um die Frankenmetropole gilt als ältester Kunstforst der Welt. Bereits 1368 hat der Nürnberger Unternehmer Peter Stromer großflächig Tannensamen im Reichswald gesät, um den grassierenden Holzmangel im Mittelalter durch die gezielte Aussaat von Nadelhölzern zu bekämpfen. Durch die räumliche Nähe zwischen Wald und Stadt würden sich Holzfäller und Bürger in dem heute noch rund 24 000 Hektar großen Reichswald viel häufiger als andernorts über den Weg laufen, ist sich Wurm sicher.

Borkenkäfer und Coronavirus

Zwei Faktoren befeuern aktuell den Konflikt: der Borkenkäfer und das Coronavirus. Durch die Corona-Krise würden sich derzeit einfach mehr Menschen im Reichswald aufhalten. Egal ob Jogger, Radler oder Wanderer – durch den Lockdown sei der Reichswald fast schon zum Freizeitpark mutiert. Durch die zuletzt extrem heißen und trockenen Sommer würden sich Schädlinge wie der Borkenkäfer seit zwei Jahren zudem massiv ausbreiten. Um die Bäume vor den gefräßigen Tierchen zu schützen, müssten Wurm und seine Arbeiter viel häufiger und intensiver den Wald nach den gemeinen Käfern durchforsten. Und dadurch laufen sich Personal und Bevölkerung im Wald aktuell viel häufiger als früher über den Weg. Zu allem Überfluss würden sich die Holzkäfer besonders gerne in der Nähe der menschlichen Behausungen ausbreiten.

Was zunächst kurios klingt, liegt in der kulturgeografischen Tatsache begründet, dass die Städte rund um den Reichswald wie Erlangen oder Nürnberg in den etwas tiefer gelegenen Flussniederungen historisch gewachsen sind. In den Waldgebieten an den Rändern der Städte sei es deshalb noch etwas heißer und trockener als in den höheren Lagen abseits der City. Bedeutet im Klartext, dass sich der Borkenkäfer ausgerechnet in Sichtweite des Menschen am besten vermehren kann.

„Seit 2018 haben wir massive Schäden. Im letzten Geschäftsjahr haben wir 80 Prozent Schadholz eingeschlagen“, berichtet Wurm. Der vermehrte Holzeinschlag sorgt für Zündstoff im Reichswald. Die bösen Briefe hätten sich in der letzten Zeit fast verdoppelt, sagt Wurm, und verweist auf einen weiteren Brennpunkt im fragilen Verhältnis zwischen Forstbetrieb und Stadtmensch: Aufgrund zahlreicher Infrastrukturmaßnahmen wie Brückenneubauten habe auch der Schwerlastverkehr auf den rund 800 Kilometern Forstweg im Reichswald zuletzt stark zugenommen. Spurrillen und verstaubte Pisten würden die Waldfreunde zusätzlich auf die Palme bringen und insgesamt wohl „den falschen Eindruck hinterlassen, die Bayerischen Staatsforsten würden den Nürnberger Reichswald bis auf die letzte Fichte ausbeuten“ wollen.

Neue Mischwälder als Mittel gegen Klimawandel

Wurm versichert, dass das Gegenteil richtig sei. Im Schutz der Altbäume würde der neue Mischwald herangezogen, damit der Reichswald die Klimaerwärmung besser verkraften könne. Damit jedoch dieser Plan gelingt, müssten die aktuellen Borkenkäferschäden begrenzt werden. Doch helfe gegen die Schädlinge unter der Baumrinde nur die Kettensäge. Nur wenn die befallenen Bäume rasch gefunden, gefällt und zügig aus dem Wald gebracht werden, könne der Reichswald nachhaltig geschützt werden. (Nikolas Pelke)

Kommentare (1)

  1. voa zua am 02.09.2020
    Das Problem ist die Ahnungslosigkeit unserer immer mehr verstädterten Gesellschaft.
    Sie sind weg vom Leben und der Realität. Sie wissen es nicht besser. Und leider schreien die selbsternannten Experten von BUND, NABU, PETA, .... am Lautesten. Und die werden gehört. Nicht die mit den besseren Argumenten.

    Das geht auch Landwirten, Jägern, Fischern so. Und jetzt auch den Förstern. Alles böse Menschen, weil sie die Natur kaputt machen.

    Unwissenheit... ist das Problem.
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