Kommunales

Bisher waren Bürger der nach 2006 der EU beigetretenen Länder in Deutschland nicht gleichberechtigt, Hartz IV zu erhalten. Eine Entscheidung des Bundessozialgerichts stellt das infrage. (Foto: DPA)

08.02.2013

Soziale Grauzone

Die Rechtsansprüche in Not geratener Rumänen und Bulgaren an Bund und Kommunen könnten sich ausweiten

Wirtschaftsmigranten und die damit verbundenen Kosten für den deutschen Sozialstaat: Das ist politisch dünnes Eis. Und die Gefahr, mit einer missverständlichen und kritischen Formulierung darin einzubrechen, entsprechend hoch. Dessen scheint man sich auch beim Deutschen Städtetag bewusst zu sein. Hintergrund: Der Spiegel berichtete in seiner letzten Ausgabe von einem internen Papier des kommunalen Spitzenverbands. Darin klagt man über die in den letzten Jahren deutlich gestiegene massive Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien – darunter viele Roma und Sinti, die meisten schlecht oder gering qualifiziert. Die habe sich in manchen Kommunen seit dem Beitritt der beiden osteuropäischen Länder zur Europäischen Union im Jahr 2007 versechsfacht. „Die soziale Balance und der soziale Friede sind in höchstem Maße gefährdet“, bangen die Bürgermeister. Das Papier blieb bisher nicht ohne Grund intern. Den Vorwurf des „Schürens von Ängsten“ und der „populistischen Stimmungsmache“ will man sich ungern machen lassen.
Doch Anfang Februar erging ein Entscheid des Bundessozialgerichts in Kassel. Geklagt hatte Lazarinka R. aus Bulgarien gegen die Stadt Stuttgart. Die baden-württembergische Landeshauptstadt hat verloren und muss Lazarinka R. Hartz IV nachzahlen. Diese Leistung hatte die Kommune vorher abgelehnt.
Die Sache ist juristisch ziemlich vertrackt. Für Bulgaren und Rumänen gilt in Deutschland – anders etwa als beispielsweise für Österreicher, Tschechen oder Holländer – eine nur eingeschränkte Arbeitnehmerfreizügigkeit, damit sind sie zunächst erst mal von Hartz IV ausgeschlossen. Wenn sie sich aber mehr als ein Jahr irgendwie durchschlagen – und wohnen dürfen sie als EU-Bürger in Deutschland ungehindert – dann gilt diese Regelung nicht mehr, weil sie eben keine so genannte Neueinreisenden mehr sind. Lazarinka R. hat die ersten Monate schwarz gekellnert, doch dann wurde sie schwanger, der Kindsvater ließ sie sitzen, kein Job, kein Geld, große Not. Zu diesem Zeitpunkt hätte sie aber bereits uneingeschränkt arbeiten dürfen, war ja auch nicht mehr auf Arbeitssuche, sondern nur aufgrund des Babys nicht mehr in der Lage zu arbeiten. Damit stünde ihr Hartz IV also zu.
Die Juristen im Dienste der Kommunen können jetzt auf Nachfrage natürlich detailliert und auch belastbar erklären, warum Lazarinka R. selbstverständlich ein ganz spezieller Einzel- und alles andere als ein Präzedenzfall ist und sich aus ihrem Schicksal keine Signalwirkung für andere Bulgaren und Rumänen ableiten lässt. Beim Deutschen Städtetag heißt es nur : „Kein Kommentar“ und auch der Deutsche Landkreistag hält den Ball bewusst flach.


"Gestrandete Glücksritter"


Womöglich ist das aber auch nur ein Pfeifen im Walde, denn Sozialverbände und Flüchtlingsrat wollen die Signalwirkung des Kasseler Richterspruchs durchaus erkennen. Immerhin existiert beim Bayerischen Städtetag seit geraumer Zeit eine Arbeitsgruppe, die sich mit genau diesen Themen beschäftigt. Konkrete Ergebnisse wurden bisher aber noch nicht bekannt gegeben. Der Freistaat Bayern wiederum kann darauf verweisen, dass dies primär eine Angelegenheit von Bund und Kommunen ist.
Jenseits dieser eher abstrakten Beschäftigung mit dem Thema versucht man in bayerischen Großstädten ganz praktisch mit den Herausforderungen fertig zu werden, die sich aus dem verstärkten Zuzug von Rumänen und Bulgaren ergeben. Ganz ihrem Schicksal überlassen könnten sie selbst die Kaltherzigsten nicht. Denn bereits 1953 hatte auch Deutschland ein europäisches Fürsorgeabkommen unterzeichnet, das es verpflichtet, in Not geratene Ausländer zu unterstützen. So bekommt etwa auch ein kranker Bulgare oder Rumäne medizinische Behandlung, wenn er hungert etwas zu essen und im Fall der Obdachlosigkeit ein Bett für die Nacht. „In den Unterkünften findet inzwischen schon ein Verdrängungswettbewerb mit der einheimischen Klientel statt“, berichtet Nürnbergs Sozialamtsleiter Dieter Maly.
Der Verwaltungsmann kann Schockierendes erzählen, etwa von bis zu 20 Rumänen, die zusammengepfercht in Zwei-Zimmer-Wohnungen leben oder häufig nicht einmal die Dumpinglöhne von ihren Arbeitgebern erhalten. In den ersten Jahren habe sich noch die rumänisch-orthodoxe Kirche um die „gestrandeten Glücksritter“ unter den Landsleuten gekümmert, ihnen die Heimfahrt bezahlt, aber inzwischen, habe der Metropolit wissen lassen, werden es einfach zu viele. „Wir faxen dann die Kostenübernahme für den Fernbusses an die Gemeinde“, berichtet Maly. Der fährt inzwischen wöchentlich nach Bukarest, zirka fünf bis zehn Menschen sitzen drin, die aufgeben und nach Hause fahren. Ob ihre Zahl künftig sinkt oder steigt, hängt auch davon ab, welche Konsequenz das Urteil im Fall von Lazarinka R. haben wird.
(André Paul)

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