Kommunales

Die ehemaligen Angestellten lassen ihrem Unmut auf der Bühne freien Lauf. Foto: DDP

05.02.2010

Theater als Therapie

Ehemalige Quelle-Mitarbeiter verarbeiten ihren Frust über die Unternehmenspleite in einem Bühnenstück

Wenn sich eine große menschliche Katastrophe vor der Tür ereignet, muss das Theater reagieren“, sagt Johannes Beissel, Theaterpädagoge in Fürth. Das Ende von Quelle ist so eine Katastrophe. Also hat Beissel, 37, ehemalige Quellemitarbeiter dazu eingeladen, Texte zur Gestaltung eines Theaterabends zu schicken, Gedichte, Lieder, Persönliches. Am Montag dieser Woche war es dann so weit. Der unprätentiöse Titel der Aufführung: „Die Menschen von Primondo/Quelle“.
Rappelvoll ist der schöne, rot und golden funkelnde Theatersaal an diesem Abend. Viele ältere Damen sitzen im Publikum, so manche, die sonst nicht den Weg ins Theater finden, schon gar nicht jetzt, nach der Abwicklung der Quelle, wo das Geld knapp ist, die Stimmung gedrückt und über allem die Frage schwebt: Wie geht es weiter? Man winkt sich zu, vom Parkett in den ersten Rang, vom ersten Rang in den zweiten. Das Fernsehen ist da und ganz viel Presse, auch das ist ungewohnt in diesem kleinen Stadttheater. Mit so viel öffentlicher Aufmerksamkeit hat keiner im Haus gerechnet.
Aber dass der Saal mit seinen 730 Plätzen voll sein würde: das war den Veranstaltern klar. Tausende hier in Fürth haben schließlich ihren Job verloren. Isolde Leibelt und ihre Mutter Ilse Bortlik waren beide jahrzehntelang bei der Quelle und natürlich ist der graue Pullunder, den Leibelt trägt, von der Quelle und der rote Schal, den sie um den Hals geschlungen hat, ist von der Quelle und ihre Mutter glaubt, dass auch der helle Pullover, den sie heute anhat, irgendwann mal ein Quellepullover war, aber sie erinnert sich nicht genau. Die beiden sitzen oben im Rang und sind gespannt. Sicher, sagt Isolde Leibelt, „ist da sehr viel Emotionalität auf der Bühne“. Und so ist es dann auch. Im Grunde hat Johannes Beissel, der Theaterpädagoge, getan, was er immer tut: Die Wirklichkeit und das Theater ineinander gewoben. Den Leuten gezeigt, dass Theater nichts Fernes, Entrücktes, Erhabenes sein muss, sondern mitten im Leben stattfindet. Und das Leben mitten im Theater. Noch bis Mai vergangenen Jahres war Quelle einer der größten Sponsoren des Hauses, sie versorgte Hauptschulkinder mit kostenlosen Tickets und förderte das Kinder- und Jugendtheater und die Theaterpädagogik.
Jetzt ist alles aus. Freistellung, Kündigung, Arbeitssuche. Beissel sagt: „Es ist nie zu spät, einem Menschen einen Teil seiner Würde zurückzugeben.“ Zehn Ex-Mitarbeiter haben Beissel Texte geschickt. „Mir war klar“, sagt Beissel, „dass die meisten Texte recht pur sein würden. Sehr biographisch. Das hatte ich erwartet. Aber ich finde sie erstaunlich gut geschrieben.“ Fast drei Wochen lang hat Beissel mit den Laien geprobt, zuletzt täglich, um diesen einen, großen Theaterabend zu stemmen. Unter den Autoren ist auch Josef Bößl, 57, gelernter Bilanzbuchhalter und Industriekaufmann, 31 Jahre lang Sachbearbeiter bei der Quelle. Er hat seinen Text gleich mehrfach geschickt, per Mail und per Post, damit er auch wirklich ankommt.
Zwei Wochen vor der Aufführung sitzt Bößl im Probenraum. Alles ist schwarz, die Wände, die Decke, der Boden, der Tisch, auf dem das Manuskript liegt. Bößl hat sich entschieden, seinen Text nicht selbst zu lesen, darum ist zur Probe auch der Nürnberger Schauspieler Hannes Seebauer gekommen, ein ruhiger, weißhaariger Mann mit väterlicher Stimme. Alle Beteiligten, erklärt Theaterpädagoge Beissel, werden am Anfang auf der Bühne sitzen – auf Quellekatalogen. Das Theater hat sich gleich im Oktober 500 davon gesichert, je 15 aufeinandergestapelt ergeben einen schönen Hocker.

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