Kommunales

Der Einfluss der SPD auf kommunaler Ebene schrumpft seit Jahren. Ob am 15. März 2020 die Trendwende gelingt – fraglich. (Foto: DPA/Kay Nietfeld)

10.02.2020

"Traditionelle Wählerschichten brechen uns weg"

Der oberbayerische SPD-Bezirksvorsitzende Florian Ritter über die Perspektiven seiner Partei bei der bayerischen Kommunalwahl

Fünf Wochen vor der bayerischen Kommunalwahl liegt die SPD in Umfragen im einstelligen Bereich. In Oberbayern ist die Lage der Partei besonders angespannt: Sie stellt keinen Landrat mehr, und die Zahl der Bürgermeister rangiert hinter jenen der CSU und Freien Wähler. Bezirkschef Florian Ritter erklärt, warum er trotzdem Hoffnung hat.

BSZ Herr Ritter, als der Ministerpräsident kürzlich die Grünen und die Freien Wähler zu Hauptgegnern für den Kommunalwahlkampf ausrief – waren Sie da nur gekränkt oder haben Sie das auch als einen Aufruf zur Selbstmotivation verstanden?
Florian Ritter (lacht) Markus Söder weiß eben, wie er mit einer kurzen Schlagzeile in die Presse kommt! Und es ist ja gerade auch ein wenig angesagt, die SPD runterzumachen. Aber wenn ich mir anschaue, wie viele gute und erfolgreiche Bürgermeister wir in Oberbayern haben und welche breite Unterstützung sie erfahren – ich nenne da beispielsweise den Thomas Herker in Pfaffenhofen mit seiner Bunten Koalition –, dann bin ich zuversichtlich. Für mich klingt die Äußerung von Söder eher danach, dass es die CSU in diesen Städten schon aufgegeben hat.

BSZ Dafür hat er angekündigt, dem Münchner Oberbürgermeister künftig einen eigenen Regierungspräsidenten vor die Nase zu setzen. Wie sauer sind Sie?
Ritter Sauer ist nicht die richtige Kategorie. Das Thema ist eine Schnapsidee, typisch Söder: etwas am grünen Tisch in der Staatskanzlei raushauen und es vorher nicht mit den Praktikern absprechen – weder mit der Regierungspräsidentin noch mit dem Bezirkstagspräsidenten.

BSZ Deshalb muss es ja keine schlechte Idee sein, oder?
Ritter Ist es aber, Söder richtet damit eine Katastrophe an. Wenn man beispielsweise die Arbeit des Bezirks Oberbayern in den vergangenen Jahren verfolgt hat, dann sieht man, wie stark die schon Einrichtungen dezentralisiert haben. Diese sozialen Strukturen besser zu vernetzen wäre wichtig. Wenn man dagegen die gewachsenen Strukturen auflöst, erweist man ihnen einen Bärendienst. Ich nenne als Beispiel die Bezirksumlage der Stadt München für Oberbayern. Natürlich würde die Kommune damit etwa 100 Millionen Euro pro Jahr einsparen. Aber dafür müsste ein eigenständiger neuer Bezirk München komplett neue eigene Strukturen aufbauen. Selbst viele CSU-Leute wie der Landrat von München sind dagegen.

BSZ Der Bezirk wäre ja auch erst der zweite Schritt, zunächst steht schließlich nur der Regierungsbezirk an.
Ritter Dort ist es genauso falsch. Wenn es beim Regierungsbezirk irgendwo hakt, dann liegt das daran, dass da Fachkräfte fehlen. Die suchen händeringend nach Personal und finden niemand. Für die neue Regierung von München bräuchte es zusätzliche Mitarbeiter, wo sollen die alle herkommen? Und man kann eine Verwaltung auch nicht einfach halbieren, in der Praxis läuft es darauf hinaus, dass aus zwei Planstellen drei werden.

BSZ In vielen anderen bayerischen Bezirken freut man sich gerade über die von der Staatsregierung angekündigte Behördenverlagerung. Oberbayern, wo es ja auch einige schwächere Regionen gibt, hat davon nichts abbekommen – zu Recht?
Ritter Viele Verlagerungen sind völlig in Ordnung, aber für Oberbayern hätte man auch einiges tun können. Die letzten 20 Jahre waren geprägt von Zentralisierung, beispielsweise bei den Finanzämtern und Gerichten. Wir brauchen aber eine bürgernahe Verwaltung und Gerichtsbarkeit: mehr Angebote vor Ort und Stärkung der vorhandenen Einrichtungen, die oft überlastet sind. Doch nicht alle Verlagerungen erscheinen sinnvoll.

BSZ Zum Beispiel?
Ritter Ich denke da an die Verlagerung der Finanzschule von Herrsching nach Kronach. Das wird noch eine Menge Probleme verursachen. Die haben an dieser Schule zwei Stützen, die haupt- und die nebenamtlichen Dozenten. Letztere sind vielfach Praktiker aus der Steuerverwaltung, die unterrichten dann beispielsweise zu Spezialgebieten wie dem Steuerstrafrecht. Wo will man die im Raum Kronach herbekommen? Vor sieben Jahren wurde schon mal angekündigt, 200 Studienplätze nach Kronach zu verlegen. Bis heute gibt es da nicht mehr als ein unbebautes Grundstück.

BSZ Kommen wir noch mal zur Situation der SPD im Bezirk Oberbayern. Sie haben vorhin die erfolgreichen Bürgermeister angesprochen, aber Tatsache ist, dass Ihre Partei inzwischen keinen einzigen oberbayerischen Landrat mehr stellt.
Ritter Ja, das ist eine schwierige Situation, die sich nicht erst seit der Kommunalwahl 2014 angebahnt hat. Uns sind traditionelle Wählerschichten weggebrochen und wir konnten das bisher noch nicht wettmachen. Wir haben viele engagierte Mitglieder auf Kreisebene, aber bei den Kommunalwahlen muss man sich die Situation in jedem Landkreis genau anschauen, um sagen zu können, wo es konkret hakt.

BSZ Liegt es vielleicht auch an den Kernthemen, die die SPD im Kommunalwahlkampf propagiert? Die Grünen setzen primär auf Umwelt und sind damit ersichtlich sehr erfolgreich. Das Thema Wohnen der SPD scheint nicht ganz so zu ziehen.
Ritter Der Klimawandel ist dramatisch, keine Frage. Wobei wir da mit unserem Umweltfachmann Florian von Brunn gut aufgestellt sind, besser als die Grünen. Denn wir behalten auch den sozialen Aspekt etwa bei der Energiewende im Auge. Gleiches gilt für die Mobilitätswende, wir brauchen mehr und besseren öffentlichen Nahverkehr, der aber auch bezahlbar sein muss. Und das Thema Wohnen ist wichtig – aber mit regionalen Unterschieden. In Oberfranken beispielsweise sind die Preise für ein Eigenheimgrundstück ähnlich wichtig wie die Höhe der Mieten.

BSZ Mit seinem Plan einer Kommunalanleihe zum Kauf mietgebundener Wohnungen hat Münchens OB Dieter Reiter ja gerade ein wichtiges Zeichen gesetzt – nur eben arg spät. Muss er jetzt mühsam aufarbeiten, was unter seinem Vorgänger und Parteifreund Christian Ude jahrelang vernachlässigt wurde?
Ritter Nein, Vernachlässigung war es nicht. Vieles, was wir heute für den Wohnungsbau tun können, ist nur möglich, weil man vor 20 Jahren unter Christian Ude den Schuldenstand der Stadt abgebaut hat. Und er hat damals den Stimmen aus allen Ecken – auch von Sozialdemokraten – widerstanden, Wohnungen im Eigentum der Stadt zu verkaufen. Zudem wäre die Lage auf dem Wohnungsmarkt deutlich entspannter, wenn die Staatsregierung wesentlich früher ausreichend Geld für geförderte Wohnungen bereitgestellt hätte – oder keine kontraproduktiven Maßnahmen getroffen hätte wie im Jahr 2003 die Abschaffung des Wohnraumüberwachungsgesetzes, das Überbelegung und die Vermietung von ungeeignetem Wohnraum verbot. Übrigens mit den Stimmen von CSU und Grünen im Bayerischen Landtag.

BSZ Wenden wir den Blick von München in die zweitgrößte Stadt des Bezirks, nach Ingolstadt. Dort sind, vor allem aufgrund der Krise bei Audi, wohl die guten Zeiten erst einmal vorbei – eine Möglichkeit für die SPD, im OB-Wahlkampf zu punkten?
Ritter Wir müssen jetzt nicht immer erst dann ran, wenn es eine Krise gibt. Aber der Zuspruch für unseren OB-Kandidaten Christian Scharpf zeigt, dass es die Leute der CSU nicht zutrauen, die Herausforderungen für die Region zu meistern. Die Frage ist nun, wer die überzeugenderen Konzepte für die Zukunft hat. Die CSU setzt eher auf die Beschwörung einer angeblich tollen Vergangenheit. Das gilt übrigens auch für München, das Konzept der Christsozialen ist total rückwärtsgewandt. Es reicht nicht, wenn Söder rausgeht und Behörden verlagert. Darin liegt nicht die Zukunft Bayerns.(Interview: André Paul)

Bildunterschrift zu Foto im Text: Florian Ritter sitzt seit 2003 für seine Partei im Landtag und ist dort digitalpolitischer Sprecher. (Foto: BSZ)

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