Kommunales

Foto:Anlage in Augsburg. dpa

29.05.2019

Verbrennen statt vermeiden

Alle reden über Umweltschutz, aber Bayerns Müllverbrennungsanlagen laufen auf Hochtouren

Recycling ist in aller Munde. Doch wirtschaftliches Wachstum hat seinen Preis, die Müllmenge im Freistaat ist extrem hoch. Die meisten Verbrennungsanlagen in Bayern sind komplett ausgelastet, können die Nachfrage längst nicht mehr bedienen. Müll wird ins Ausland exportiert. Wie passt das zum neuen grünen Image des Freistaats?

Abfall zu vermeiden gilt als oberstes Gebot in der Kreislaufwirtschaft. Gepredigt wird dies schon seit Jahren. Beherzigt nicht. Weshalb die Müllmengen weiter steigen. Vom Ideal eines „Zero Waste“ ist man in Bayern noch meilenweit entfernt. Auch gibt es nur sehr langsame Fortschritte in puncto Recycling. Aus diesem Grund sind die mitunter als „Auslaufmodell“ bezeichneten Müllverbrennungsanlagen nach wie vor nicht wegzudenken. Was Gewerbeabfälle anbelangt, steigt die Nachfrage sogar massiv an.

Ob die Müllverbrennung, von den Betreibern gerne thermische Abfallbehandlung genannt, im 21. Jahrhundert noch eine nennenswerte Rolle zukommt, beantwortet Alexander Kutscher, Geschäftsleiter beim Zweckverband Abfallwirtschaft Raum Würzburg, mit einem klaren Ja. 2018 wurde im Würzburger MHKW sogar mehr Hausmüll verbrannt als zwei Jahre zuvor. Etwa zehn Prozent betrug die Steigerung. Insgesamt wurden 215 000 Tonnen Müll thermisch verwertet. Der Abfall stammt aus acht Kommunen, in denen 900 000 Menschen leben. Drei Kommunen, nämlich die Stadt und der Landkreis Würzburg sowie der Kreis Kitzingen, betreiben das Müllheizkraftwerk über den Zweckverband Abfallwirtschaft. Fünf weitere Kommunen, die keine eigene Anlage haben, liefern Müll zum Verbrennen an: Neustadt Aisch-Bad Windsheim, Weißenburg-Gunzenhausen, Ansbach, Bad Kissingen und den Ostalbkreis. Zu den aktuell 175 000 Tonnen Hausmüll aus den acht Kommunen kommen 40 000 Tonnen frei gehandelter Abfall. „Die Nachfrage danach ist viel höher als unsere Kapazität“, sagt Kutscher. Theoretisch könnte das MHKW die doppelte Menge Gewerbemüll annehmen.

Damit stellt Würzburg keine Ausnahme dar. Momentan erstickten die meisten der 14 bayerischen Anlagen im Müll, erklärt Peter Baj, Werkleiter des Coburger Zweckverbands für Abfallwirtschaft. Im Coburger MHKW werden derzeit 135 000 Tonnen Müll pro Jahr verbrannt.

Die Abfälle kommen aus der Stadt Coburg, den Landkreisen Coburg, Kronach und Lichtenfels sowie zum Teil aus der Stadt Erlangen und dem Landkreis Erlangen-Höchstadt. Zwischen 2010 und 2015 gingen die Müllmengen leicht zurück. Baj: „Danach stiegen sie unaufhaltsam stark.“ Derzeit müssten größere Mengen abgewiesen werden. Garantiert werde in jedem Fall die Verbrennung der Abfälle aus den Privathaushalten.

Inhalt des gelben Sacks wird zum Großteil verbrannt

Verbrannt wird bei weitem nicht nur, was sich in der grauen Tonne tummelt, erklärt Bajs Nürnberger Kollege Gerold Wittek. Auch der Inhalt des Gelben Sacks landet zu etwa 70 Prozent in Verbrennungsanlagen. „Dass etwas gesammelt, sortiert und getrennt wird, heißt noch lange nicht, dass es auch recycelt wird“, sagt der Abfallexperte. Nur 30 Prozent dessen, was im Gelben Sack steckt, sei derzeit mit vertretbarem Aufwand stofflich verwertbar.

Die neue Nürnberger Anlage war 2001 die letzte, die in Bayern ans Netz ging. Rund 240 000 Tonnen werden hier pro Jahr verbrannt. Der Abfall stammt aus Nürnberg und den umliegenden Gebietskörperschaften. Anders als in Würzburg gibt es in Nürnberg keine eigenen Turbinen zur Stromerzeugung. Der in den Kesselanlagen produzierte Dampf wird an ein benachbartes städtisches Kraftwerk verkauft. Von dort geht er ins Fernwärmenetz der Stadt.

Der in Bayerns Müllheizkraftwerken erzeugte Strom ersetzt erhebliche Mengen an Energie aus fossilen Quellen und spart auf diese Weise Hunderttausende Tonnen an Kohlendioxid ein. „Wir erzeugten 2018 fast 60 000 Megawattstunden Fernwärme und 89 000 Megawattstunden Strom“, informiert Alexander Kutscher aus Würzburg. Das MHKW könnte noch effizienter sein, gäbe es mehr Fernwärmeanschlüsse. Auch moderne Klimatechnik könnte zu Effizienzgewinnen führen, wäre es doch prinzipiell möglich, an heißen Sommertagen mittels Fernwärme Gebäude zu kühlen.

Auch wenn Müllverbrennungsanlagen helfen, Erdgas und Erdöl zu sparen, stellt sich die Frage, warum es nicht gelingt, das Müll-aufkommen zu reduzieren. Gerold Wittek hat darauf eine einfache Antwort: „Es wird immer mehr konsumiert.“ Das sei politisch auch so gewollt. Schließlich heißt Konsum „Wirtschaftswachstum“. Und das gelte allen Postwachstumsideen zum Trotz immer noch als Dogma.

Verbrennungsanlagen erzeugen viel Energie

„Die Politik scheut das Thema ‚Konsumverzicht’ wie der Teufel das Weihwasser“, beobachtet der Bereichsleiter Entsorgungsanlagen des Nürnberger Abfallwirtschaftsbetriebs. Auch für Irene Lindner, Geschäftsleiterin des Zweckverbands Müllverwertungsanlage Ingolstadt (MVA), hat die wachsende Nachfrage nach thermischer Müllverwertung damit zu tun, dass die Wirtschaft brummt. „Die anhaltend gute Konjunktur hat einen höheren Anfall von Abfällen zur Folge“, sagt sie. Eben das sollte eigentlich nicht sein, gibt ihr Würzburger Kollege Alexander Kutscher zu bedenken: „Doch wie man das Abfallaufkommen von der Wirtschaftsleistung entkoppeln kann, ist bis heute eine ungelöste Frage.“

In Ingolstadt werden jedes Jahr rund 250 000 Tonnen verbrannt. Die Hälfte besteht aus Siedlungsabfällen der Stadt Ingolstadt sowie der Landkreise Eichstätt, Neuburg-Schrobenhausen, Pfaffenhofen, Kelheim und Roth. Daneben werden zu zehn Prozent Siedlungsabfälle von Gebietskörperschaften ohne eigene Behandlungsanlage entsorgt. „Die pro Einwohner anfallenden Mengen an Siedlungsabfällen sind weitgehend konstant“, so Lindner.

Knapp 40 Prozent der Kapazität stellt der Zweckverband Gewerbekunden zur Verfügung. Auch in Ingolstadt verzeichnet man hier einen „starken Anstieg“: „Die Anfragen übersteigen deutlich die vorhandene Kapazität.“ Das liegt nicht zuletzt daran, dass China den Plastikmüllimport stoppte. Aus dem in Ingolstadt verbrannten Müll gingen im vergangenen Jahr 79 000 Megawattstunden Strom und 200 000 Megawattstunden Wärme hervor. Weil in Ingolstadt viele Materialien biogenen Ursprungs verbrannt werden und weil die erzeugte Energie konsequent verwertet wird, werden durch die Müllverbrennung mehr klimaschädliche Emissionen vermieden als bei der Verbrennung erzeugt. Lindner: „2018 konnte das Klima durch unsere Anlage um 69 639 Tonnen Kohlendioxid-Äquivalente entlastet werden.“

China hat den Import von Plastikmüll gestoppt

Eine 2017 veröffentlichte Analyse des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (UMSICHT) bestätigt, dass die Müllverbrennung ein wichtiger Baustein der Abfalbehandlung bleibt. Und zwar auch vor dem Hintergrund der Vision einer Kreislaufwirtschaft ohne Abfall. Indem thermische Müllbehandlungsanlagen Strom und Wärme produzieren und Metalle aus den anfallenden Schlacken des Verbrennungsprozesses recyceln, leisteten sie einen „relevanten Beitrag“ zur Ressourcenschonung und zum Klimaschutz. Was Peter Baj aus Coburg bestätigt. Schadstoffe würden in der Anlage gebunden und unschädlich gemacht. So würde zum Beispiel das toxische Schwermetall Quecksilber aus der Umwelt herausgeholt. (Pat Christ)

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