Kommunales

Mit Echtzeit-Daten soll ein bayerisches Forschungsprojekt helfen, Touristen weg von überfüllten Hotspots hin zu weniger bekannten Orten zu lenken. (Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand)

27.07.2020

Vom Ticker zur Cloud

Wie Datenströme Ausflügler lenken sollen

Die Sonne scheint, die Sommerferien beginnen, die Parkplätze bei Oberstdorf sind voll. Schon vor Corona gehörte die Gemeinde im Oberallgäu mit 1,5 Millionen Tagestouristen im Jahr zu den Hotspots im Alpenraum. Mit der Pandemie ist die Zahl der Besucher und der Autos noch mal gestiegen. Tourismusdirektor Frank Jost empfiehlt Gästen, für "ein Naturerlebnis ohne viele Menschen" vor 10.00 oder nach 18.00 Uhr loszuwandern.

Der Ansturm der Tagesgäste in Corona-Zeiten befeuert die Debatte über digitale Möglichkeiten zur Besucherlenkung. Auf der einen Seite sind Touristenorte auf Gäste wirtschaftlich angewiesen, auf der anderen Seite mehren sich Beschwerden über zugeparkte Straßen, Wildcamper und Staus am Wochenende. "Sehr viele Leute wollen jetzt einfach raus", sagt Tourismus-Professor Alfred Bauer von der Hochschule Kempten. Das eigene Auto sei eine "Sicherheitszelle" bei der Anreise. Das erhöhe den Druck auf Straßen, Parkraum und Natur.

Das bayerische Wirtschaftsministerium will Tagestouristen deshalb zu Stoßzeiten schon vor der Abfahrt sanft in Richtung anderer Ziele im Freistaat stupsen. "Nudging" nennt Guido Sommer diesen Prozess. Er ist als Professor für Betriebswirtschaftslehre und Marketing im Tourismus an der Entwicklung der Bayern Cloud Tourismus beteiligt, einem vom Freistaat mit 700.000 Euro geförderten Forschungsprojekt.

Daten-Drehscheibe

"Das ist nicht die nächste App, sondern eine Daten-Drehscheibe", erklärt Sommer. Öffnungszeiten, belegte Parkplätze, gesperrte Wanderwege: All diese Informationen sollen aus allen Teilen Bayerns automatisch in die Bayern Cloud und von dort zu verschiedenen Anbietern und Online-Plattformen fließen. "Damit könnten Suchwege und Frustrationen vermieden werden", sagt Sommer. Möglich sei auch die Empfehlung alternativer Ziele. "Das funktioniert aber nur, wenn ich die Gäste auch erreiche."

Eine eigene Besucherlenkungs-App für jede einzelne Region werde daher "niemals funktionieren".
Doch das bayernweite Projekt mit der Modellregion Allgäu muss zwei große Hürden überwinden. Da ist einerseits ein Daten-Salat, der vereinheitlicht werden muss: Hotels, Gemeinden, Tourismus-Büros und Seilbahn-Betreiber speichern Informationen über ihre Auslastung und Öffnungszeiten derzeit oft an unterschiedlichen Orten und in verschiedenen Formaten. Damit die Cloud funktioniert, sind einheitliche Strukturen und Lizenzen nötig. "Die größte Herausforderung wird es sein, die Bayern Cloud mit Daten zu füllen", heißt es auch vom bayerischen Wirtschaftsministerium.

Zum anderen sind manche Tourismusverantwortliche und Kommunalpolitiker vom Mehrwert des Projekts nicht überzeugt. "Ich muss die Menschen vor Ort motivieren, diese Daten zur Verfügung zu stellen", sagt Tourismus-Professor Bauer. "Viele verstehen es aber mittlerweile." Von Oberstdorfs Tourismusdirektor Jost und seinem Füssener Kollegen Stefan Fredlmeier kommen positive Signale. "Dass Datenpflege immer einen Aufwand darstellt, ist bekannt", sagt Fredlmeier. An anderer Stelle könnten so aber Zeit gespart und eine höhere Qualität der Daten gesichert werden.

Team aufstocken

Betreiben soll die Daten-Drehscheibe ab Ende des Jahres eine vom Wirtschaftsministerium eingerichtete "Kompetenzstelle Digitalisierung" in Waldkirchen im Bayerischen Wald. Das Team von zwei bis drei Mitarbeitern solle 2021 auf zehn aufgestockt werden, heißt es vonseiten des Ministeriums. Angegliedert werde die Stelle an die Bayern Tourismus Marketing GmbH, weil diese bei den Beteiligten "hohes Vertrauen" und Glaubwürdigkeit genieße.

"So eine neutrale Stelle ist wichtig", sagt Martin Soutschek, Forschungsleiter der Outdooractive GmbH. Der Freizeit-App-Entwickler aus Immenstadt im Allgäu könnte von den freien Datenströmen im Tourismus profitieren und ist an der Entwicklung der Cloud beteiligt.

"Welche Anwendung damit am meisten Erfolg hat, entscheidet letztendlich aber der Nutzer", sagt Soutschek. Und ein freier Zugang für verschiedene Entwickler durch die Bayern Cloud sei in jedem Fall besser als die aktuelle Situation: "Bisher hat zum Beispiel nur Google umfangreiche Daten über aktuelle oder zu erwartende Besucherzahlen - und gibt sie natürlich nicht heraus."

Ausflugs-Ticker

Um kurzfristig Abhilfe zu schaffen, hat das Ministerium den "Ausflugs-Ticker Bayern" vorgestellt. Mit der Resonanz sei man zufrieden, sagt eine Sprecherin. Trotz eines schwerwiegenden Makels: Stellen wie Touristen-Informationen müssen Hinweise zu Staus und überfüllten Parkplätzen derzeit selbst in den Ticker eingeben. "Dadurch kann es vorkommen, dass die Informationen nicht stündlich aktuell sind", sagt eine Sprecherin des Vereins Tourismus Oberbayern München. Das zu automatisieren sei "das große Ziel" für künftige Versionen des Tickers.

Nachgefragt werden die Informationen dennoch: In knapp zwei Monaten verzeichneten die zwölf oberbayerischen Ausflugsticker insgesamt rund 970.000 Zugriffe. "Diesen Weg zu gehen ist unabdingbar", sagt Sommer. "Aber die Bayern Cloud ist nichts, was übermorgen ausgerollt werden kann." Und auch dann müssten die Touristen aus den digitalen Tipps noch die richtigen Schlüsse ziehen. Denn dass es an schönen Wochenenden in Oberstdorf voll wird, ist schon heute ohne die entsprechenden Daten eigentlich ein logischer Schluss.
(Frederick Mersi, dpa)

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