Kommunales

Wir jemand aus einer psychiatrischen Klinik erntlassen, ist diese verpflichtet, die Entlassung der Polizeidienststelle zu melden. (Foto: dpa)

17.04.2018

„Warum wir als Mediziner das neue Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz kritisieren“

Von Professor Thomas Kallert, Leitender Ärztlicher Direktor der Gesundheitseinrichtungen des Bezirks Oberfranken

Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie haben eine 28-jährige Tochter, bislang unbescholten, gesund, mit abgeschlossenem Hochschulstudium, verheiratet. Im Lehramtsreferendariat wird sie schwanger und bringt einen prächtigen Stammhalter zur Welt. Familienglück pur!

Doch sechs Wochen nach der Geburt schlägt die Krankheit zu: Binnen Tagen ist sie völlig wesensverändert, wähnt sich verfolgt, ist hoch misstrauisch, angstvoll, halluziniert optisch und akustisch, verkennt Situationen und greift schließlich mit einer Axt den Ehemann an. Der ruft in seiner Not die Polizei und den Notarzt. Diagnose: Wochenbettpsychose. Mit Verbringung unter Zwang wird Ihre Tochter in die nächstgelegene psychiatrische Klinik gebracht und am Tag darauf erfolgt die dortige richterliche Unterbringung.

Bei einem Ihrer Besuche werden Sie verdächtigt, illegale psychosefördernde Drogen mitgebracht zu haben. Die Tochter wird durchsucht, weitere Besuche werden nun videoüberwacht. Sie sind empört, aber machtlos. Fünf Wochen nach der Aufnahme hat sich die Situation entspannt, die Symptome sind erfolgreich behandelt, die Entlassung befürwortet und die Weiterbehandlung ist geklärt.

Klinik muss Entlassung an die Polizei melden


Aber: Die Klinik ist verpflichtet die Entlassung der Polizeidienststelle zu melden. Zudem werden die persönlichen Daten der Tochter, inkl. Diagnose, Aufnahmegrund und -befund, an eine landesweit operierende Zentralstelle weitergeben, dort fünf Jahre gespeichert und stehen dem Zugriff diverser staatlicher Organe zur Verfügung.

Alles rechtens? Ja, gemäß dem aktuellen Entwurf des neuen bayerischen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes schon. Psychiatrische Fachwelt, Bayerischer Bezirketag, Datenschützer, Betroffenenverbände etc. sind entsetzt, die Stellungnahmen sind geharnischt und die von Vielen geleistete Vorarbeit für das Gesetz ist konterkariert. Die sich offenbarende Haltung gegenüber schwer psychisch Kranken ist fachlich nicht hinnehmbar und steht Fundamenten ärztlich-psychiatrischen Denkens und Handelns diametral entgegen.

Was ist die Hauptkritik? Seit Jahren sind die Charakteristika der Patienten, die in psychiatrischen Kliniken untergebracht werden, bekannt: Es handelt sich um schwer erkrankte und zum gegebenen Zeitpunkt nicht selbstbestimmungsfähige Personen, die bereits erhebliche soziale Benachteiligungen erlitten haben und in punkto autonome Wahrnehmung eigener Rechte eine hoch schützenswerte Klientel darstellen. Und es handelt sich nicht, wie vom Gesetzesentwurf suggeriert, um künftige Straftäter oder in Maßregelvollzugseinrichtungen strafrechtlich untergebrachte Patienten.

Zudem zeigen Studien, dass unter diesen Bedingungen durchgeführte Behandlungen effektiv sind, insbesondere je klarer und umfassender das zugrunde liegende Gesetz Patienteninteressen wahrt. Per se ist eine solche Unterbringung für diese Patienten Belastung genug – und betrifft zehn Prozent der Patienten einer psychiatrischen Klinik.

Deren Durchführung nun mit einer Strafvollzugspraxis zu überziehen und persönlichste Daten des Patienten in einem Register zu speichern, führt zu einer massiven Grundrechtseinschränkung. Medizinethische Prinzipien sind aufs Gröbste verletzt.

Kriminalisierung der Patienten verhindern


Einer Kriminalisierung, Entrechtung und lang anhaltenden strukturellen Stigmatisierung dieser Patienten muss ganz entschieden entgegengetreten werden. Künftig werden, so der Entwurf Bestand hat, Patienten nicht nur über ihre Erkrankung und Behandlung aufgeklärt, sondern auch über Sammlung, Weitergabe und Verwendung gespeicherter Daten.

Dies insbesondere Patienten mit psychotischen Symptomen wie etwa Verfolgungswahn oder durch technische Apparate verursachte Ich-Grenzstörung zu vermitteln, ist natürlich ärztliche Aufgabe – aber das Werben um Behandlungsakzeptanz wird deutlich erschwert und im Falle der wiederhergestellten Selbstbestimmungsfähigkeit werden Patienten ermutigt, einer Weitergabe und Speicherung ihrer Daten zu widersprechen. Behandlung auf Augenhöhe, partizipative Entscheidungsfindung, Trialog, Strategien zur Compliance-Förderung: All dies hat in die psychiatrische Klinikbehandlung Einzug gehalten und ist gerade in Krisensituationen wie der Unterbringung ein auch von höchster Rechtsprechung gefordertes hohes Gut.

Im Entwurf dargelegte patientenbezogene Restriktionen sowie den Psychiatern zugewiesene überholt geglaubte kustodiale Funktionen werden dieses Gut nachhaltig beschädigen. Der Unterbringungsteil des Entwurfs kann nur als Diskreditierung des Bemühens diversester Fachgesellschaften, Organisationen und Behandler um Entstigmatisierung und soziale Inklusion von psychisch Kranken gewertet werden.

Ein besseres Bild der Psychiatrie in der öffentlichen Wahrnehmung wird aus diesem Entwurf nicht resultieren. Vielmehr werden sich Psychiater als außerhalb des sonstigen Medizinkontextes Stehende, als Erfüllungsgehilfen staatlicher Willkür etc. apostrophieren lassen müssen - und das Selbstverständnis als Patientenanwalt und Anbieter moderner Medizin wird auf eine harte Probe gestellt. Bleibt nur die Forderung nach grundlegender Überarbeitung des aktuellen Entwurfs unter Berücksichtigung diverser Stellungnahmen! 

Kommentare (8)

  1. johannes am 21.04.2018
    Datenschutz in Deutschland (vielleicht auch anderswo) bedeutet:

    Jener, der meine Daten benutzt wird davor geschützt, dass ich erfahre, wie er an meine Daten gekommen ist und was er alles damit macht. Da nutzen auch die Datenschutzgesetze nichts!
  2. fibeamter am 20.04.2018
    Hier fehlt de rumfasende Begriff einer psychischen Krankheit. Der Psychotherapeut Dan Casriel unterscheidet 3 verschiedene Krankheitsbilder: Psychosen, Neurosen, Charaktergestörte Persönlichkeiten
    Ich zitiere verkürzt aus seinem Buch:"Wiederentdeckung der Gefühle" Seite 135 -156:
    Psychosen: a) orgnaische: Hirnschädiugngen durch Verletzungen ,Vergiftungen
    b) nichtorganisch: Schizophrenie, manisch-depressiv
    Neurosen: a) ängstliche Unruhe. übertriebene Angst
    b) depressive Reaktionen - durch unterdrückte 'Gefühle, Verlust eines Liebes-Objekts
    c) besessene Zwnaghaftigkeit, - Putzfimmel , Waschzwang etc.
    Charakterstörung: meist durch Drogensuchz, Alkoholsucht verursacht.
    Geschlossene Anstalt dürfte daher nur bei starker! Shizopühreni und/oder hoher Suchtkrankheit in Frage kommen. Alles andere ist medizinisch ambulant behandelbar.
  3. no restraint am 20.04.2018
    Hier ein entspannter, erhellender und solidarischer Bericht eines erfahrenen Verfahrenspflegers, der ohne Fachsimpelei und für die Erlebniswelt des Normalbürgers verständlich aufzeigt, welche Dramen sich teils unter erzwungenen Behandlungen auftun, welche die Landes-PsychKGs ermöglichen. http://www.theeuropean.de/heinrich-schmitz/9072-zwangseinweisung-in-die-psychiatrie. Ferner der Link http://www.arbeitskreis-gewaltpraevention.de/Kontakt/kontakt.html

    Leider ist es ein Trugschluß, dass die gesetzliche Festlegung des Verfahrens dazu führt, dass immer Recht und Ordnung auf den Stationen herrschen, denn bereits mit der ersten Minute der Ingewahrsamnahme beginnt - ohne dass dies je irgendwo rechtlich fixiert würde - das Behandlungsrecht noch vor der richterlichen Anhörung. AMTSHILFE zwischen Psychiatrie und Gerichten und der Polizei hat es schon immer gegeben, da die zwangsweise Zuführung zur Behandlung nur durch die Polizei erfolgen darf.

    Auch das könnte den Bürger alles noch beruhigt schlafen lassen, wenn nicht in der durchgeplanten Stationswelt der Patient grundsätzlich als Einzelner gegenüber stets mehreren, also zur Zeugenschaft berechtigten, Angestellten immer im Nachteil ist und also Einschüchterungen ausgesetzt werden kann, die das Gesetz eigentlich nicht zuläßt. Bereits die Androhung von Zwangsmassnahmen erzeugt das "freiwillige" Annehmen medizinischer Massnahmen. Die Verträglichkeit bestimmter Medikamente und neurologische Vorschädigungen wird nicht im Einzelfall geprüft, so dass mitunter Patienten unter Sedierung oder sogar Fixierung hilfslos leiden. Das immer wieder so genannte "letzte Mittel" ist nun einmal auch Routine in der deutschen Psychiatrie. Krankenpfleger und Schwestern erlernen Sicherheitstechniken wie den Kreuzfesselgriff. Und die haben in den langen Schichten "auch mal schwache Nerven".

    Das eigentliche Problem ist der ZWANG, und bereits der englische Arzt John Conolly formulierte das Ziel NO RESTRAINT auch für deutlich behandlungsbedürftige Menschen. Es ist der Zwang und das Verbergen der Behandlungsmassnahmen, es sind geschlossene Türen und DAS FEHLEN NEUTRALER BESUCHSDIENSTE, welche der Psychiatrie den Nimbus des Schreckensortes verliehen hat. Zu Unrecht in vielen Fällen, aber es gibt zu denken, dass auch über die Humanisierung der Psychiatrie und Elemente wie Psychoedukation (das Erzeugen von Krankheitseinsicht und Gesundheitsmanagement aus Patientensicht) der Normalbevölkerung so gut wie nichts bekannt sind. Das Stigma verhindert sogar den Transport positiver Nachrichten. Unterschätzt ist, dass sogar Psychiater unter dem Stigma Psychiatrie leiden und bei "Pannen" in eine Art Abwehrzauber verfallen.

    Damit nicht noch mehr Schrecken verbreitet wird, nehme doch bitte der neue bayrische Ministerpräsident all seine Ministerialen und die ganze psychiatrische Zunft an die Hand, um ein wirklich gutes, alle Grauzonen ausschaltendes Gesetz auf den Weg zu bringen, das nicht nur - endlich auch in Deutschland - der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte entspricht, sondern auch alle Menschen in Krisen- und Krankheitsfällen ermutigt, sich Hilfe zu holen. Das wäre doch mal in die Zukunft strahlendes bayrisches "law and order".

    Gäbe es unter den medial ausgeschlachteten Fällen psychisch kranker Täter (Winnenden, Germanwings, Münster) einen, bei dem davon die Rede sein kann, dass das Sammeln und Vernetzen psychiatrischer Daten aus klinischen und ambulanten Behandlungen zu Prävention und schneller Aufklärung geführt hätte, dann könnte man bekannte Gefährdungen durch einzelne Suizidale für das Datensammeln ins Feld führen. Dazu müßten aber Psychiater nicht nur bereit sein, Gutachten am laufenden Meter zu schreiben und Behandlungsdaten zu speichern, sondern auch qualifiziert und engagiert jeden Vorfall reflektieren und sich mit den Mitbehandlern ins Benehmen setzen, wer wo Risiken falsch eingeschätzt hat.

    Ein RISIKO in Fällen von Fremdgefährdung ist das einzige, was berechtigterweise das Sammeln von Daten rechtfertigt. Da gibt es einen sträflichen Nachholbedarf in allen Bundesländern. Wenn ein Mensch erweiterte Suizide oder gar Mordphantasien als solche äußert, gehört das als Straftatbestand in polizeiliche Akten. Auf welchem Stern leben wir, wenn jemand zu mehreren Ärzten oder in mehrere Kliniken geht und das Ergebnis Unterlagen in der Schublade sind. Fürsorge und Prävention müssen denselben Geist atmen im Interesse aller.

    Aber grundsätzlich gehört DIE GESUNDHEITSAKTE eines Menschen, der sich in Behandlung begibt, NICHT IN DEN DATENTRANSFER. Wir brauchen ENTSTIGMATISIERUNG UND ERMUTIGUNG für die Patienten der psychiatrischen Behandlungsfelder, keine Steilvorlage für Denunzianten.

    Aus einem Lied nach 9/11:
    "Wer dem andern Angst macht und weiß, dass es so ist,
    ist in seinem Herzen schon ein Terrorist"
    Wenn die Menschen VOREINANDER Angst haben, strukturell und unausweichlich, ist das auch eine Form des staatlichen Angsteinflössens. Es betriff ja auch die ganzen Familien, deren Gefüge über Gebühr gestört wird. Eine Datenspeicherung zu einer Psychiatrie-Diagnose hat Auswirkungen wie ansteckende Erkrankungen, macht Personen auf lange Zeit erpreßbar oder erzeugt Duckmäuserei.

    Wir brauchen keine Angst voreinander, wir brauchen Hilfe und Menschenliebe. Ich bin sehr froh, dass Fachärzte gemeinsam mit den Petenten argumentieren. Es ist Zeit, dass Patienten und Ärzte an einem gemeinsamen Strang ziehen. Es geht um unser aller Freiheit.
  4. einer mehr am 19.04.2018
    Dieser Gesetzesvorschlag stellt eine allgemeine Diskriminierung dar, weil das, was damit erreicht werden soll, bereits jetzt Ärzten o.ä. gesetzlich vorgeschrieben ist, nämlich akut angedrohte Gewalt noch vor der Tat der Polizei zu melden. Jede pauschale Erweiterung ist ein unbegründeter Verdacht, der nicht zu nachteiligen Maßnahmen führen darf.
  5. ThoGul am 19.04.2018
    Sowohl als schon 39 Jahre in der Pflege tätiger sowie seit 6 Jahren auch als psychisch erkrankter (schwere Depression) Mensch geht mir dieser Gesetzentwurf fast schon in die Richtung die die Psychiatrie in der NS Zeit einschlug.
    Ich hoffe im Interesse aller psychisch erkrankter dass dieses Gesetz nie eingeführt wird.
    Für meine Person kann ich nur sagen dass ich im Falle einer Einführung dieses Gesetzes ich beim Bundesverfassungsgericht eine Klage einreichen werde.
  6. Alphabet am 18.04.2018
    Ich kann die Ausführungen von Prof. Kallert nur unterstützen.
    Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Frau Huml umgehend zurücktreten sollte.
  7. Sybille G am 18.04.2018
    Mal abgesehen von dem Bericht und der Aussage, steht dort Psychose nicht Depression. Nur zur Berichtigung.
  8. Gernot Türkheim am 18.04.2018
    Bei allem Respekt Herr Professor,
    aber ohne eine Vorerkrankung führt auch eine Wochenbettdepression nicht dazu, mit der Axt auf andere loszugehen. Da spräche schon die massive Antriebsminderung dagegen.
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