Kommunales

Der Grüne Jens Marco Scherf ist Landtrar von Miltenberg. (Foto: dpa)

09.10.2018

Wo in Bayern schon jetzt ohne CSU regiert werden kann

Im bayerischen Landtag regiert noch die CSU. In den meisten Städten und Landkreisen des Freistaats auch. Es gibt aber auch Orte, in denen spielt sie - zumindest theoretisch - keine Rolle

Wir befinden uns im Jahre 2018 nach Christus. Ganz Bayern wird von der CSU (mit)regiert... Ganz Bayern? Nein! Eine von unbeugsamen Unterfranken bevölkerte Region schafft es, auch ohne die Union politische Mehrheiten zu bilden, Entscheidungen zu treffen: der Landkreis Miltenberg. Hier regiert seit Mai 2014 ein Grüner - und die CSU sitzt quasi in der Opposition - wenn es denn im Kreistag eine gäbe, denn dort werden nach der Wahl keine Koalitionen festgelegt.

Landrat Jens Marco Scherf ist theoretisch nicht auf die Stimmen der Union angewiesen, um Mehrheiten zu bilden. Von 61 Sitzen im Kreisrat hat die CSU nur 23 inne. Aufgestellt wurde Scherf von den Grünen, SPD und ÖDP; die FDP unterstützte ihn ebenfalls. Sein Stellvertreter ist von den Freien Wählern. Die CSU müsste also im Grunde keine Rolle spielen. Mitspielen dürfe sie trotzdem, sagt der 44-jährige Scherf.

Er ist einer von zwei grünen Landräten in Bayern, 2014 waren sie die ersten grünen Landräte in Deutschland. Der andere regiert im oberbayerischen Landkreis Miesbach: Wolfgang Rzehak. Auch dort hat die CSU mit nur 21 von 61 Sitzen keine Mehrheit. Die Wahl der beiden Grünen wurde bundesweit als Sensation empfunden. Scherf wiegelt bei allem Stolz ab. "Wir sind deshalb keine grüne Hochburg."

Am Ende zählt seiner Meinung nach ohnehin nicht die Parteizugehörigkeit, sondern das Ergebnis für die Bürger. "Ich will ja auch ein guter Landrat für die Leute sein, die SPD-Anhänger und überzeugte Christsoziale sind", sagt Scherf. Im politischen Alltag werden deshalb im Kreistag je nach Thema auch mal wechselnde Mehrheiten gesucht. In neun von zehn Fällen entscheide der Kreistag sogar einstimmig. "Die Demokratie so zu leben, ist ein Politikstil, der die Menschen mit einbindet und stark über Parteigrenzen hinweg denkt. Es ist ein Modell, das auch zweifelnde Menschen wieder von der Demokratie überzeugen kann", ist der Landrat überzeugt.

Kommunalgremien sind speziell, sagt ein Wissenschaftler

Mit diesen Gedanken im Hinterkopf beobachtet Scherf auch die aktuelle Entwicklung im Freistaat so kurz vor der Landtagswahl am 14. Oktober. Auch hier könnte - rein rechnerisch - die nächste Regierung ohne die CSU gebildet werden - und die Grünen hätten einen großen Anteil dran. Der jüngsten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap zufolge kommt die CSU nur noch auf 33 Prozent, die Grünen liegen bei 18 Prozent, SPD und Freie Wähler bei 11, die AfD bei 10 und die FDP bei 6 Prozent. Grüne, SPD, Freie Wähler und FDP könnten gemeinsam eine knappe Mehrheit der Sitze erreichen. Ähnlich wie in Miltenberg.

Parteienforscher Heinrich Oberreuter will dennoch beides nicht vergleichen oder miteinander in Verbindung bringen. "Ich warne davor, die Kommunalpolitik auf eine hohe politische Ebene zu heben. Kommunalgremien sind Gremien der Selbstverwaltung. Die sollten parteipolitisch nicht instrumentalisiert werden", sagt der Politikexperte der Universität Passau. Die Zusammenarbeit in Kreis- und Bezirkstagen sei nicht partei-, sondern sachorientiert. "Das lässt sich nicht auf die Landesebene übertragen."

Deutlich zu erkennen sei jedoch auch auf Landesebene ein Trend weg von der CSU hin zu den Grünen. Ein Grund dafür liegt laut Oberreuter bei der Union selbst. "Die CSU hat durch ihre Flüchtlingspolitik den Erosionsprozess der Volksparteien für sich persönlich beschleunigt." Vielen liberal-konservativen CSU-Wählern gefalle die Linie der Partei seit 2015 nicht mehr so gut. "Die CSU verliert aus den gleichen Gründen nach links und nach rechts Stimmen. Den einen ist sie nicht hart genug, den anderen nicht human genug", erklärt er. Mit Blick auf die Flüchtlingspolitik würden sich viele CSU-Wähler aus dem liberal-konservativen Milieu von der Partei abwenden. "Und die gehen nicht zur SPD und schon gar nicht zur AfD, sondern zu den Grünen."

Ob die CSU am Ende mit den Grünen koalieren wird, hängt zunächst vom Wahlergebnis ab. Die CSU werde wohl zuerst mit den Freien Wählern und der FDP verhandeln, wenn Letztere es in den Landtag schafft, sagte Oberreuter. "Falls die Grünen Koalitionspartner werden, wird die CSU schon einige Kompromisse machen müssen. Flächenfraß, Nationalpark, dritte Startbahn, Energiepolitik - bei diesen grünen Kernthemen wird die CSU sich bewegen müssen", so Oberreuter. Lange dauern darf das nicht, denn innerhalb von vier Wochen muss die neue Staatsregierung stehen. "Da ist nicht viel Zeit für taktisches Geplänkel."

Dem Miltenberger Landrat Scherf fällt am Ende trotzdem noch etwas ein, das sich alle künftigen Politiker im Münchner Maximilianeum bei den Kommunalpolitikern abschauen sollten: "Würde es den Menschen in Bayern nicht sogar mehr zusagen, wenn die Parteien nicht nur übereinander sprechen, sondern sich auch mal zuhören, miteinander reden und unterschiedliche Perspektiven unter einen Hut bringen?". (dpa)

Kunterbunte Kombinationen in den deutschen Ländern
Bei Parlamentswahlen in Deutschland holt nur selten eine Partei die absolute Mehrheit der Sitze. Meist regieren in Bund und Ländern Koalitionen.

Sie werden gern nach den Parteifarben benannt: Schwarz steht für die Christdemokratie, Rot für die Sozialdemokraten und die Linkspartei, Gelb für die Liberalen, Grün für die Grünen und Blau für die AfD.

Jahrelang waren CDU/CSU-FDP (Mitte-rechts) und SPD-Grüne (Mitte-links) die gängigen Varianten. Heute finden die Wunschpartner aber kaum noch eine Mehrheit, weil die großen Parteien schwächeln und die Zahl der Parteien zugenommen hat. Derzeit gibt es in den 16 Ländern 13 verschiedene Regierungsformen. Ein Überblick:

SCHWARZ:
In BAYERN gibt es die einzige Ein-Parteien-Regierung auf Länderebene in Deutschland. Doch nach allen Umfragen dürfte die CSU mit Ministerpräsident Markus Söder die absolute Mehrheit verlieren.

SCHWARZ-GELB:
Mit einer christlich-liberalen Koalition regierte Bundeskanzler Helmut Kohl (1982-1998) 16 Jahre. Derzeit gibt es sie nur in NORDRHEIN-WESTFALEN mit Ministerpräsident Armin Laschet (CDU).
ROT-GRÜN: Rot-Grün war unter Kanzler Gerhard Schröder (1998-2005) die Bundesregierung. Heute werden nur noch HAMBURG und BREMEN unter den SPD-Bürgermeistern Peter Tschentscher und Carsten Sieling so regiert.

SCHWARZ-ROT:

Mit einem Bündnis aus Christ- und Sozialdemokraten regiert Kanzlerin Angela Merkel. Große Koalitionen unter CDU-Führung gibt es im SAARLAND und in SACHSEN mit den Regierungschefs Tobias Hans und Michael Kretschmer.

ROT-SCHWARZ:
Mit der SPD als größerem Partner regieren die Volksparteien in NIEDERSACHSEN (Ministerpräsident Stephan Weil) und MECKLENBURG-VORPOMMERN (Manuela Schwesig).

AMPEL:
So heißt in Deutschland nach den Parteifarben die Verbindung Rot-Gelb-Grün. In RHEINLAND-PFALZ schloss Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) nach der Wahl 2016 ein Bündnis mit FDP und Grünen.

JAMAIKA:

Für die Verbindung Schwarz-Gelb-Grün musste die Fahne einer Tropeninsel als farbliches Vorbild herhalten. Im ganz unkaribischen SCHLESWIG-HOLSTEIN regiert Daniel Günther (CDU) mit FDP und Grünen.

KENIA:
Schwarz-Rot-Grün ist die Fahne Kenias - und seit 2016 auch die Regierung in SACHSEN-ANHALT. Wegen der Schwäche der SPD holte Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) die Ökopartei mit ins Boot.

SCHWARZ-GRÜN:
Früher waren Christdemokraten und Grüne erbitterte Gegner. Seit 2013 regieren sie im wirtschaftsstarken HESSEN unter Regierungschef Volker Bouffier (CDU) einträchtig miteinander.

GRÜN-SCHWARZ:
In BADEN-WÜRTTEMBERG ist Winfried Kretschmann seit 2011 erster grüner Ministerpräsident Deutschlands. 2016 verlor sein roter Partner SPD massiv Stimmen, aber mit den Schwarzen reichte es.

ROT-ROT-GRÜN I:
Seit 2014 stellt die aus der DDR-Staatspartei SED hervorgegangene Linke erstmals einen deutschen Ministerpräsidenten. Bodo Ramelow regiert in THÜRINGEN mit SPD und Grünen.

ROT-ROT-GRÜN II:

Rot-Rot-Grün unter SPD-Führung gibt es in BERLIN mit dem regierenden Bürgermeister Michael Müller.
ROT-ROT: In BRANDENBURG regieren Sozialdemokraten und Linke einträchtig unter Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD).

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