Kommunales

Vor zehn Jahren noch eine sterbende Kommune, jetzt eine Boomtown mit deutschlandweiter Vorbildfunktion: In der Nähe des Selber Bahnhofs entstand ein neuer Stadtteil. (Foto: Selbwerk)

21.03.2023

Zieht aufs Land!

Angesichts der Aussichtslosigkeit, in Metropolen ausreichend Wohnraum zu schaffen, wirbt der Städte- und Gemeindebund für einen Umzug im großen Stil

Wegen der Wohnungsnot in den großen Städten hat der Deutsche Städte- und Gemeindebund dazu aufgerufen, wieder mehr aufs Land zu ziehen. Es werde kaum beachtet, dass „über 1,3 Millionen marktfähige Wohnungen, insbesondere in ländlichen Regionen, leer stehen“, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg. „Mit dem Ruf nach immer preiswerteren Mieten oder sogar einer Verstaatlichung von Wohnungsbaugesellschaften kommen wir dem Ziel leider nicht näher.“ Gerade in den Metropolen wird die Nachfrage auf lange Sicht das Angebot übersteigen.

Im oberfränkischen Selb war der Leerstand schon vor 20 Jahren das bestimmende Thema. Hintergrund: Nach dem endgültigen Niedergang der jahrzehntelang die örtliche Wirtschaft bestimmenden Porzellanindustrie im Jahr 2003 standen plötzlich viele Mietwohnungen leer; zahlreiche arbeitslos gewordenen Menschen hatten Selb verlassen. Bis 2019 sank die Bewohnendenzahl von Selb von 19 000 auf knapp 15 000. Doch gegen Ende der zweiten Dekade wendete sich das Blatt: Inzwischen sind in der Kommune an der Grenze zu Tschechien wieder mehr als 16 500 Menschen daheim.

In dieser Zeit legte das Bundesbauministerium das Programm Forschungsfeld Stadtumbau West auf, in das Selb aufgenommen wurde. Die Stadt leistete fortan im gesamtdeutschen Maßstab Pionierarbeit, um die teils desolaten Zustände durch ein innovatives Konzept zum integrierten Stadtumbau wieder in den Griff zu bekommen.



Vermietende melden leere Wohnungen im Rathaus an


Im Jahr 2009 wurde die Selb-Werk GmbH gegründet. Sie sollte die Nachfolge der früheren Wohnungsbaugesellschaft antreten. Für die Kommunalpolitik stand fest: Selb braucht, um Zuziehende anzulocken, neue Wohnungen – aber eben nicht auf der sogenannten grünen Wiese, sondern innerorts. Von Anfang an sollten die Möglichkeiten der Bebauungspläne sowie die Infrastruktur in der City genutzt werden – mittels Nachverdichtung statt neuem Flächenverbrauch. In ein neues Mehrfamilienhaus in der City zieht bald das neue Kino ein.

Heuer wird dazu ein neuer Stadtteil in Selb fertig. In der Nähe des Bahnhofs gelegen, bietet er unter anderem einen Park, ein Café, Einkaufsmöglichkeiten sowie eine Kita. Und für weitere Häuser mit Mietwohnungen ist immer noch genug Platz. Das Besondere an den neuen Wohngebäuden: Sie sind bereits gut an den Klimawandel angepasst. Es gibt etwa ein begrüntes Atrium samt Wasserbecken. Die Fassaden sind begrünt, die Bauweise besteht aus einer Mischung aus Holz und Beton und auf dem Dach befinden sich ein Spielplatz, ein Gewächshaus und mehrere Hochbeete. Seit einiger Zeit bietet das Rathaus einen besonderen Service: Vermietende können ihre Wohnung bei der Stadt in ein Verzeichnis eintragen lassen. Bei Anfragen werden die Daten an Interessierte weitergegeben, die sich direkt an den Vermietenden wenden können.

Auch in der Stadt Hof tut sich diesbezüglich etwas. Gemeinsam mit den Landkreisen Hof und Wunsiedel sowie der Region Bayreuth bildet man seit 2019 die Kooperation Leerstandsmanagement, gefördert durch das bayerische Wirtschaftsministerium. Vor allem für junge Familien soll der Weg zur sanierten Immobilie erleichtert werden. „Besonders das niederschwellige Angebot der Sanierungserstberatung findet großen Anklang“, lautet die Einschätzung seitens der kommunalen Kooperationspartner.

 

400 000 neue Wohnungen pro Jahr? "Kaum erreichbar!"


Das Ziel der Bundesregierung, 400 000 neue Wohnungen pro Jahr fertigzustellen, ist aus Sicht des Städte- und Gemeindebunds „kaum erreichbar“. Es fehle an Grundstücken und ausführenden Baufirmen und die Baupreise stiegen deutlich. Das steigende Zinsniveau erschwere obendrein die Finanzierung; die zunehmenden Anforderungen zur energetischen Sanierung verteuerten das Bauen zusätzlich.

Nachdem in den vergangenen Jahrzehnten ländliche Regionen vor allem mit Abwanderung in die Großstädte zu kämpfen hatten, zeichne sich nun eine Trendwende ab, heißt es in der aus dem Jahr 2022 stammenden Studie Landlust neu vermessen, die vom Berlin-Institut für Bevölkerung im Auftrag der Wüstenrot-Stiftung erstellt wurde. Das Wanderungssaldo von Landgemeinden lag demnach im Zeitraum von 2008 bis 2010 bei einem Minus von 3,8 pro tausend Einwohner. In den vergangenen Jahren ging es dagegen in ein Plus von 4,2 über.

Das Saldo von Großstädten, das jahrelang nur einen ungebrochenen Anstieg kannte, schrumpfte hingegen innerhalb eines Jahrzehnts von 3,2 auf 2,5 pro tausend Bewohnende. Die Bilanz sehe nach den Berechnungen des Berlin-Instituts noch düsterer aus, hätten sich die zahlreichen Flüchtlinge der vergangenen Jahre nicht überwiegend in den großen Städten niedergelassen. Die Datenauswertung ergab, dass vor allem die 18- bis 25-Jährigen der Großstadt treu geblieben sind. Auch die Generation der über 50-Jährigen hatte wenig Lust auf einen Umzug. Vor allem von der er Stadt in Richtung Land zu ziehen, war vor allem bei jungen Familien ein Wunsch. Häufiges Motiv: Der Nachwuchs soll auf dem Dorf und nicht im Gedränge der Stadt aufwachsen.

 

Langfristig braucht es aber bessere Bahnanbindungen und schnelleres Internet



Üblicherweise ließen sich Eltern ab dem 30. Lebensjahr im Speckgürtel einer Großstadt nieder. Doch der ist ihnen inzwischen wohl nicht mehr idyllisch genug oder insgesamt zu teuer geworden. In München sei diese Entwicklung, den Speckgürtel zu meiden, vor der in anderen Ballungszentren zu beobachten gewesen, so die Studienautor*innen Frederick Sixtus und Lilian Beck . Der Trend zum Landleben sei seit 2017 – also bereits vor der Corona-Pandemie, erkennbar gewesen – sagten sie.

Damit aber noch mehr junge Familien in den preisgünstigen ländlichen Raum ziehen und dort im Homeoffice tätig sein können, muss sich aber noch einiges tun: „Es wäre sinnvoll, diese Regionen mit guten Verkehrsverbindungen, etwa durch neue oder reaktivierte Bahnstrecken, besser zu erschließen“, mahnt Gemeindebundchef Landsberg. Und auch die Verfügbarkeit von schnellem Internet ist eine unverzichtbare Vorraussetzung. (André Paul)

 

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