Kultur

Schrecken und Angst ebenso wie die Entfremdung von der Welt stehen den Menschen ins Gesicht geschrieben im Stummfilm Das Cabinet des Dr. Caligari (1920, Drehbuch: Hans Janowitz, Carl Mayer, Regie: Robert Wiene). (Foto: Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung)

23.12.2022

Allumfassendes Grauen

Das Museum Georg Schäfer in Schweinfurt vergleicht die bildende Kunst und Filme des Expressionismus

Bildende Kunst und Film während des Expressionismus: Diesem Vergleich widmet sich das Museum Georg Schäfer in Schweinfurt in einer Ausstellung.

Der frühe Expressionismus, etwa der Künstlergruppen Brücke und Blauer Reiter, war noch auf der Suche nach einer „Urkunst“, wollte sich ablösen vom Akademismus und der bürgerlichen Hochkultur, sah im vermeintlichen Paradies der Naturvölker und in der körperlichen Nacktheit einen Zugang zum Urzustand des Menschen. Das Aufbegehren gegen die Gesellschaft war hervorgerufen durch die sozialen und politischen Umbrüche in der Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg und drückte sich schließlich später aus in einer neuen Formensprache mit kantigen Konturen, starken Kontrasten, Deformationen und surrealen Kombinationen.

Dies fand seine Entsprechung auch in bedrängenden, verstörenden Bildern des frühen deutschen Stummfilms. Dieser thematisierte die Gefährdung des Menschen, seine Ängste und Traumata in bedrohlichen, bewusst schockierenden Bildern ab 1920 in Horrorfilmen wie Das Cabinet des Dr. Caligari (1920), Nosferatu – eine Symphonie des Grauens (1922) bis hin zu Fritz Langs Meisterwerk Metropolis (1927) über die Schrecken und Zwänge der Großstadt und das irritierende Verhältnis zwischen Mensch und Maschine.

Filmstills neben Gemälden

Das Museum Georg Schäfer in Schweinfurt stellt die Zeugnisse der bildenden Kunst und die Filme dieser Zeit vergleichend gegenüber, zeigt so die stringenten Bezüge zwischen Expressionismus in Kunst und Film (Ausstellungstitel) auf. Dazu dienen Ausschnitte aus zwölf frühen Filmen sowie Filmstills (Standbild) und über 100 originale Gemälde und Grafiken von Künstlerinnen und Künstlern. Museumsleiter Wolf Eiermann sah sich letztlich geradezu überrollt von den Gemeinsamkeiten beider Genres in den Motiven und geriet fast an technische wie finanzielle Grenzen, wie er sagt. Der Aufwand lohnt: Es entstand eine äußerst spannende Zusammenschau.

Der erste Ausstellungsraum führt ein in typische Zeugnisse expressionistischer Malerei und Grafik. Man erlebt bei den Bildern von Paula Modersohn-Becker den Ausdruck von Hilflosigkeit, sieht bei der kulissenartigen Landschaft von Alexander Kanoldt, wie sich die Wahrnehmung verschiebt, bei Otto Müllers Mädchen den Verlust von individuellen Zügen, bei Gabriele Münters Stillleben die Auflösung von Einzelheiten in Flächen, bei den kantig-schroffen Holzschnitten von Max Pechstein und Erich Heckel geradezu abweisende Gesichter. Bedrohungen lassen sich ablesen bei dem stürzenden Haus von Wilhelm Lachnit und bei deformierten Brücken. Gestört ist auch das Zusammenleben von Menschen: Sie sind einsam, was man an den Bildern mit Straßenszenen ablesen kann.

In den folgenden Museumsräumen kann man solche angsteinflößenden Aussagen weiterverfolgen: zum Beispiel in Werken von George Grosz, wo man eine gewalttätige Szene mit nackten Frauen und einem Mann in Blau mit einem Messer sieht.

Ähnlicher Motivfundus

Oft werden expressionistische Bilder begleitet von ähnlichen Motiven in Filmstills. Armut und Aussichtslosigkeit, die Bedrohung durch den Tod begegnen einem bei Käthe Kollwitz. Themen sind auch die Angst vor Trennung, die Flucht in eine Scheinwelt wie bei Josef Scharls Komödianten, in die Vergnügungsindustrie der Großstadt, in die schauerliche Welt von Sex and Crime, der wohl auch die Frau mit rotem Haar von Lyonel Feininger zuzuordnen ist.

Schließlich löst sich alles prismatisch auf wie beim Bild in Blau von Arthur Goetz oder ganz in eine abstrakte Form wie beim Gesicht von Alexej Jawlensky. Diese Furcht vor dem Verschwinden, der Vernichtung in nicht verifizierbaren Konstruktionen mit schiefen Wänden und seltsamen Zeichen ist schon zu sehen im Film Dr. Caligari, bei den übereinandergestapelten Gebäuden in Metropolis, ähnlich wie bei den aus der Senkrechten geratenen Gebäuden auf expressionistischen Bildern.

Der maskenhafte Gesichtsausdruck in vielen Grafiken findet sich wieder in Filmen: in hypnotisierenden Augen bei Dr. Mabuse oder dem schrecklichen Blick beim Golem, den man auch im Selbstbildnis von Wilhelm Morgner entdecken kann. Der Gefangene in Nerven entspricht einer Grafik von Christian Rohlfs als Erinnerung an den Krieg. Die Bedrohung durch den Tod im Film Von morgens bis mitternachts, der Geschichte eines bestechlichen Bankangestellten, die mit dessen Suizid endet, ist ähnlich zu verfolgen an der düsteren Lithografieserie von Bernhard Kretzschmar und lässt sich auch an einem Frauenkopf von August Macke ablesen.

Die auf die strenge Form reduzierten Holzschnitte von Karl Schmidt-Rottluff, sogar das Gemälde Selbstbildnis mit Muse von Otto Dix weisen darauf hin, da ss der Mensch in seiner Lebendigkeit der Darstellung immer mehr entgleitet. Der Mensch wirkt wie erstarrt bei einer Bronzefigur von Rudolf Belling. Und so ist es nicht mehr weit bis zur bestürzenden Erschaffung eines künstlichen Menschen in Metropolis. Verstärkt zeigt sich hier die Abneigung gegenüber einer immer mehr technisierten Welt. Albträume wie die unheimliche Gestalt des Spielers Mabuse, Szenen mit Gewalt an Frauen, Halluzinationen von dämonischen Figuren, von gruseligen Effekten belegen im Film die nervenaufreibende, beunruhigende Zeit der 1920er-Jahre, was in der Ausstellung in der Gegenüberstellung von expressionistischen Bildern und Filmstills noch deutlicher wird. (Renate Freyeisen)

Bis 12. Februar. Museum Georg Schäfer, Brückenstraße 20, 97421 Schweinfurt. www.museumgeorgschaefer.de
 

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