Kultur

Ein enges Vertrauensverhältnis besteht zwischen Tom Fährmann und Söhnke Wortmann (rechts). Sie haben viele Filme gemeinsam gemacht – hier sind sie beim Dreh zum bildgewaltigen Historiendrama „Die Päpstin“. (Foto: privat)

08.01.2016

"Angst killt Kreativität"

Seit Dezember ist Tom Fährmann Professor an der Hochschule für Fernsehen und Film München. Was er dort vorhat.

Die moderne Kameratechnik lässt manchen glauben, dass jeder heute filmen kann. Ein Heer von Autodidakten – der Druck auf Profi-Kameraleute steigt. Sie müssen beweisen, dass sie mehr drauf haben. Tom Fährmann coacht den Nachwuchs. Der neue Professor an der Hochschule für Fernsehen und Film erzählt, auf was es dabei ankommt. „Das Filmgeschäft ist hierarchisch und nicht ganz demokratisch“: Eine bittere Wahrheit für den, der gerne an die „Traumfabrik“ glauben möchte – doch wenn Tom Fährmann das sagt, klingt es wie eine homoöpathisch sanft verpackte Wahrheit. Er ist geprägt von den auslaufenden 68ern – diesen Bezug stellt der 59-Jährige oft her, wenn er von seiner beruflichen Philosophie erzählt: „Ich weiß, dass ich nicht die ganze Welt zu einem besseren Planeten machen kann. Aber in meinem Umfeld kann ich einiges bewirken. Zu allererst gehört dazu, mit Menschen auf Augenhöhe zu kommunizieren.“

Keine Diktatoren am Set

Hierarchie beim Film sollte deshalb inhaltlich bedingt und kein Werkzeug sein, persönliche Ticks auszuleben. Von Diktatoren am Set hält er nichts. „Wenn mein Kameraassistent eine gute Idee zu einer Einstellung hat, dann verschenke ich mir nichts, die auch zuzulassen.“ Seine Studenten werden das gerne hören. Tom Fährmann ist seit Dezember Professor an der Hochschule für Fernsehen und Film in München (HFF) – in der Abteilung Kamera. Logisch: Er ist selbst Kameramann – ein renommierter, der schon etliche Preise abgeräumt hat: Zum Beispiel für Das Wunder von Bern, Die Päpstin, Frau Müller muss weg. Jetzt ist er obendrein Lehrer – mit Leib und Seele und nicht nur nebenbei: „Ich werde für die Studenten voll da sein.“ Das mag den zeitlichen Aspekt tangieren: „Ich mache eh meistens nur einen Film pro Jahr, das passt schon.“ Außerdem ist er Fotograf – Ausstellungen mit seinen Arbeiten hat man heuer zum Beispiel in Augsburg gesehen.

Studenten persönlich coachen

Doch das mit dem Dasein für die Studenten ist auch inhaltlich gemeint: „Mir liegt sehr viel an der individuellen Förderung. Ich bitte die Studenten, dass sich jeder einzelne auf die Suche begibt, welches Mosaiksteinchen er in der Filmgeschichte einmal sein will. Das klingt zwar pathetisch, soll aber signalisieren, dass wir hier an der HFF keine bloßen Bildhandwerker ausbilden, sondern dass wir Talente entdecken wollen. Ich helfe jedem, seinen unverwechselbaren Charakter zu professionalisieren. Ich werde jeden Studenten persönlich coachen.“ Tom Fährmann ist überzeugter Pädagoge. Das kommt nicht von ungefähr: Er studierte Kunst und katholische Religionslehre fürs Lehramt, hat ein Diplom in Pädagogik und an der Filmakademie Ludwigsburg, an der Fachhochschule Salzburg und an der HFF München gelehrt.

Sehnsucht nach dem verbotenen Gral

Während seines eigenen Studiums an der Uni in Münster (er ist im niederrheinischen Xanten aufgewachsen) engagierte er sich im hochschuleigenen Video- und TV-Studio: „Plötzlich schoss da etwas von der Seite rein, was ich nicht kannte“, erinnert er sich und es klingt, als wäre der Virus, der ihn damals befallen hat, noch höchst aktiv: Das Kamerafieber hatte ihn befallen. Es brach umso heftiger aus, weil alles, was mit Film zu tun hatte, ihm wie ein „verbotener Gral“ vorkam. Er war 15 Jahre alt, als ein Schwarzweißfernseher zuhause Einzug hielt: „Es war ein Karfreitag. Mein erster Film, den ich überhaupt in meinem Leben gesehen habe, war Der alte Mann und das Meer mit Spencer Tracy. Ein umwerfendes Erlebnis war das, als ich sah, wie Bilder, die ich vom Lesen her im Kopf hatte, auf einmal sichtbar gemacht werden konnten.“ Doch die Eltern (der Vater ist Jugendbuchautor) waren pädagogisch streng: Zwei ausgewählte Sendungen pro Woche, mehr nicht. Eine restriktive Medienerziehung – die mangelnde Filmerfahrung machte seine unbändige Neugier wett. „Ich habe später oft mit Kollegen darüber gesprochen. Vielen meiner Generation erging es genauso.“

„Und dafür werde ich auch noch bezahlt“

Infiziert an der Uni Münster – zur Explosion, sagt er, kam es dann an der HFF in München: Dort hängte Tom Fährmann sein zweites Studium an und schon gleich nach seinem ersten Übungsfilm wollten drei Studenten ihre Abschlussfilme mit dem Drittsemestler machen. Filme fürs Fernsehen und fürs Kino folgten Schlag auf Schlag, er hat mit Nico Hofmann (Der Sandmann) ebenso wie mit Sönke Wortmann (fast alle Filme seit Das Superweib), Jo Baier (Wambo), Isabell Kleefeld (Das Gespenst von Canterville) oder Volker Schlöndorf (Ulzhan, das vergessene Licht) zusammengearbeitet. „Jede Faser in meinem Körper war am richtigen Ort. Dieses Gefühl hat mich bis heute nicht verlassen. Ich gehöre zu den vermutlich wenigen Menschen, die mit Leib und Seele ihren Beruf genießen“, sagt er und geradezu spitzbübisch nebenbei: „Und dafür werde ich auch noch bezahlt.“ Er schätzt die Autonomie, fühlt sich wohl im amerikanischen DOP-Konzept (Director of Photography), wenn sich der Regisseur auf den Kameramann verlässt, wenn er nicht seine eigenen Bilder exakt umgesetzt sehen will. „Wer sich als Kameramann nur auf den technischen Aspekt beschränkt, wird kein großer Kameramann. Bei uns hier geht es um die Kreativität“, lautet eine seiner Lehrsätze für die HFF-Studenten (die natürlich auch Kameratechnik lernen, und zwar bei Peter C. Slansky).

De, Team vertrauen

Filme entstehen im Team – Tom Fährmann möchte eine seiner wichtigsten Erfahrungen dem studentischen Nachwuchs vermitteln: „Jeder hat für seinen Bereich große Kompetenz. Ich muss aber erkennen und akzeptieren, wo meine aufhört und die eines anderen anfängt.“ So wie der Regisseur und die Schauspieler dem Kameramann vertrauen, müsse er das andererseits zum Beispiel beim Cutter tun. Sein Berufsstand hat indes gerade einen großen Kampf im Filmgeschäft auszufechten: „Wir drohen die Hoheit übers Bild zu verlieren.“ Und meint damit: Im digitalen Dreh rutscht die Verantwortung für das Bild immer mehr in die Postproduktion hinüber. Wer als Kameramann aber die Verantwortung über seine Bilder behalten will, muss sich in der Postproduktion besser denn je auskennen. Als Das Wunder von Bern abgedreht war, hat Tom Fährmann neun Monate bei der Postproduktion mitgemacht – „ohne Vertrag, also unbezahlt.“ Auch bei der Päpstin hat er das so gemacht. Freilich hatte er Glück: Beide Male honorierten das die Produzenten ungefragt im Nachhinein.

Mysterium des Analogen

Auch wenn er noch vom „Mysterium der analogen Bildfindung in der Dunkelkammer“ schwärmt: Tom Fährmann hat den Wandel zum digitalen Film von Anfang an mitgemacht: Das Wunder von Bern war der erste Film in Deutschland mit digitaler Postproduktion, Das Gespenst von Canterville der erste Fernsehfilm mit einem animierten Charakter in Deutschland. „Ich war immer fasziniert vom Neuen, vom Dazulernen. Das gilt auch heute noch. Ich gehöre nicht zu den Kollegen in der Branche, die nach 30 Jahren keine Lust mehr haben, sich umzustellen.“ Bislang wurde an der HFF hybrid produziert – „aber Sie finden kaum noch Labore, die das Material entwickeln.“ Auch wenn Starregisseur Quentin Tarantino am analogen 65 mm-Film festhalten möchte: „Er muss erst mal Kinos finden, wo seine Filme noch abgespielt werden können.“ Tom Fährmann schaut hinaus aus seinem Professorenzimmer in der HFF auf den vorbeifließenden Verkehr: „Zum Oktoberfest fahren ja auch noch Pferdekutschen. Aber sehen Sie hier eine?“

Wie sich die Geschichte der Bildablichtung anfühlt

Ja, schade sei es schon, dass mit der Digitalisierung eine Dematerialisierung des Mediums einher gehe, dass Zusammenhänge zwischen Vorher und Nachher einer Fixierung auf den aktuellen Moment weichen. Der Pädagoge Fährmann hat sich einen Trick für seine Studenten überlegt: Sie sollen eine Lochkamera selbst bauen und damit ein Selbstporträt machen. Den Kasten zimmern, dann eine Stunde davor sitzen und schließlich die Abzüge selbst machen: „Ich möchte, dass sie wissen, wie sich 150 Jahre Bildablichtungsgeschichte anfühlen.“ Im Vordergrund dessen, wofür er seine Studenten fit machen möchte, steht freilich die digitale Bildfindung mit ihren spezifischen Anforderungen. Heute wird sehr viel partiell gedreht, vor Green-screen, der Kameramann muss sich das homogene Erzählgefühl oft imaginieren. Und dann muss er sich eben mehr denn je mit Visual und Special Effects und der Postproduktion auskennen: „Optimal, dass die HFF eigens einen VFX-Lehrstuhl eingerichtet hat“, freut sich Tom Fährmann. Visual Effects lehrt Michael Coldewey – und mit dem hat Tom Fährmann unter anderem Das Gespenst von Canterville gemacht.

Intimes Verhältnis zu Schauspielern

Jenseits neuer technischer Bedingungen: Der Kameramann ist zunehmend menschlich gefordert. „Früher, beim analogen Dreh, hat man den Regisseur neben sich atmen hören. Heute sitzt er meist irgendwo abgedunkelt vor einem Monitor, um das Gedrehte zu verfolgen.“ Das bedeutet, dass das Verhältnis zwischen Kameramann und Schauspieler intimer geworden ist – gerade auch unter dem Diktat kürzerer Drehzeiten: „Ich bin derjenige, der unmittelbar beobachtet und auch noch in Bildern für ein riesiges Publikum dokumentiert, wie sich ein Schauspieler verwandelt. Dabei muss ich ihm immer das Gefühl geben, dass ich ihn gut aussehen lassen werde. Für den Schauspieler ist der Dreh wie das Stage Diving, mir muss er vertrauen können, dass ich ihn auffange, dass er nicht durchfällt.“ Natürlich ist es ein diffiziler Balanceakt: „Ich muss zwar Nähe, Empathie zum Schauspieler aufbauen, aber nur soviel, dass ich nicht dem Regisseur reinfunke.“ Der Beruf des Kameramanns erfordert viele Skills, die Psychologie gehört wesentlich dazu. „Wie man mit Menschen umgeht, möchte ich unbedingt in meiner Uniarbeit verankern. Das kann man nämlich tatsächlich lernen, ich kenne noch ein paar ganz gute Übungen von meinem Pädagogikstudium.“

Handverlesene Truppe an der HFF

Wenn Tom Fährmann erzählt, wie er seine Studenten auf die Finessen ihres künftigen Berufs vorbereiten will, dann klingt das stets sehr liebevoll beschützend – nein, ein väterlicher Typ ist er dabei aber keineswegs, eher der Mentor, der kumpelhaft und voller Elan motiviert. „Die Studenten sollen sich mit Freude auf die Kreativität konzentrieren, nicht auf Sorgen. Angst killt Kreativität.“ Freilich führt Tom Fährmann sie nicht ins Tal er Ahnungslosigkeit: Der Druck an der HFF ist hoch. Wer dort studiert, gehört zu einer handverlesenen Truppe. Und die muss in Zeiten des digitalen Filmens beweisen, das sie besser ist als nichtprofessionelle Autodidakten.. „Die haben natürlich auch ihre Berechtigung, der Bedarf an visuellen Medien ist heute ungeheuer hoch“, beeilt sich der HFF-Prof einzuwerfen, unterscheidet aber: „Den Autodidakten fehlt meist die tiefe Verbindung zu den Inhalten, die erzählt werden sollen. Bei uns geht es aber nicht um irgendwelche Bilder, sondern um die richtigen.“ (Karin Dütsch) Abbildung:
Tom Fährmann ist Pädagoge, Kameramann und Fotograf – und jetzt auch HFF-Professor.   (Foto: privat) BSZ-Artikel über HFF-Professoren und ihre Arbeit: • Die Geschichtenerzählerin: Karina Ressler über Montage
http://www.bayerische-staatszeitung.de/staatszeitung/kultur/detailansicht-kultur/artikel/die-geschichtenerzaehlerin.html • Der Dreh danach: Michael Coldewey über VFX/Visual Effects
http://www.bayerische-staatszeitung.de/staatszeitung/kultur/detailansicht-kultur/artikel/der-dreh-danach.html • Von Geheimdiensten lernen: Andreas Gruber über das Verhältnis von Regisseur und Schauspielern.
http://www.bayerische-staatszeitung.de/staatszeitung/kultur/detailansicht-kultur/artikel/von-geheimdiensten-lernen.html Tag der offenen Tür am 16. Januar. Hochschule für Fernsehen und Film, Bernd-Eichinger-Platz 1, 80333 München. www.hff-muc.de


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