Kultur

Rund 100 Statisten posieren in Andreas Kriegenburgs wunderbarer Inszenierung als Rhein-Wellen. (Foto: Hösl)

10.02.2012

Anschwellende Wellentöne des Rheins

"Rheingold": Der Münchner Auftakt zu Wagners Ring-Tetralogie gerät zum spannendsten Nagano-Abend seit Langem

Weltentstehungsmusik: Der Vorabend von Wagners Vierteiler Der Ring des Nibelungen etabliert ein Welten-Gleichnis: Aus dem Nichts anschwellende Wellentöne des Rheins, Nixen und unentdecktes Rheingold, ein frustrierter, machtfixierter Schwarzalbe. Dann wolkige Höhen, göttergleiche Lichtalben, eine von Riesen gebaute Götterburg namens Walhall, schreckliche Goldbergwerke der Nibelungen-Zwerge, ein Goldhort und -ring als Weltmacht im Kontrast zur Liebesgöttin Freia, Liebesfluch und erster Ring-Mord, entlarvend bombastische Selbstinszenierung der Götter mit Walhall-Einzug als Event.
1852 bis 53 hat Wagner dies in die Theater-Kleider des germanischen Mythos eingehüllt, aber – wie schon 1898 George Bernard Shaw in seinem brillanten Wagner-Brevier feststellte – die Zeit des Industrie-Kapitalismus gemeint. Folglich trifft Wagners Ring auch ins Zentrum unseres hemmungslosen Finanz-Kapitalismus: Göttervater Wotan als einer der „Masters of the Universe“ aus Tom Wolfes Fegefeuer der Eitelkeiten.


Schüchterne Buhs


Regisseur Andreas Kriegenburg und seinen Bühnenbildner Harald Thor hat nun mehr die Psychologie des Ring-Personals, weniger eine Welt-Erfindung für dieses Gleichnis interessiert. Ihr Einheitsraum aus vier glatten, hellen Holzwänden, die sich samt auffahrenden Türen und Bodenluken heben und senken, ist von Anfang an offen. Hinzuerfundenes Zentrum sind rund hundert Bewegungsstatisten, die sich nach kurzem Dunkel parallel zur Musik mit blauer Farbe bemalen und dann als flutendes Rheinwasser agieren. Später sind sie Hilfskräfte für den Auftritt der Riesen oder die erschlafften Götter. Sie mimen die ausgebeuteten Nibelungen, deren Arbeitstote sofort verbrannt werden.
All das hat Zenta Haerter verständlich strukturiert und teils choreographiert. Zunächst wirkt diese Erfindung Kriegenburgs, doch da er das von einem Menschlein dargestellte Rheingold, eine Kröte und die Nibelungen-Knechtung nicht dramaturgisch vertieft, verflacht diese Zutat zunächst dekorativ, dann zum Brechtschen Verfremdungseffekt: Bitte keine Illusion, wir spielen Euch vor!
Dem stehen positiv die höchst gelungenen Riesen-Auftritte auf Menschen-Würfeln und viele kleine Züge differenzierter Personenregie gegenüber. Doch Kriegenburgs Figuren fehlen Gleichnis-Größe und dramatische Fallhöhe: Bis auf zwei Ausnahmen berühren und entlarven diese Figuren nicht. So konnte Münchens Premierenpublikum, neben einigen schüchternen Buhs, unverstört jubeln.
Verdienter Jubel umbrandete den Generalmusikdirektor Kent Nagano und das Staatsorchester: klar konturierter, transparenter Wagner-Klang, oft sängerfreundlich mit gedehnten Tempi, dann zupackend und im Riesen-Auftritt, in Nibelheim, zu Alberichs Fluch und dem Einzug der Götter zu dramatischer Wucht hochgesteigert – einer der spannendsten Nagano-Abende seit Langem.
Das Sänger-Ensemble um den noblen, souverän tönenden Wotan von Johan Reuter besaß bis zum giftigen Mime von Ulrich Reß und den groß tönenden Riesen von Thorsten Grümbel und Phillip Ens Staatsopern-Niveau. Stefan Margita erntete den ersten Solo-Jubelsturm: ein gleißend heller Charakter-Tenor und berechnend eitles Fatzken-Gehabe für den zwielichtigen Feuer-Gott Loge, der nebenbei auch den Dolch zum Riesen-Mord reicht – auf der Höhe großer Münchner Rollenvorgänger.

Brutale Herrschaftswut


Etliche Phon lauter toste der Jubel für den Frankfurter Star-Gast Johannes Martin Kränzle. Mit seiner darstellerischen Intelligenz und Präsenz machte er den zurückgewiesenen und daraufhin zum Rachefeldzug gegen die Welt aufbrechenden Alberich zur Zentralfigur der Rheingold-Problematik: erst Mitgefühl, dann Mitleid und schließlich furchterregend. Dazu versteht Kränzle seinen Bariton mal schmeichelnd, mal höhnisch, dann auch beißend scharf und giftig zu färben. Gustav Neidlinger: wüste Hoffnungslosigkeit, die zu brutaler Herrschaftswut aufsteigt und in gespenstischer Rachegier gipfelt. In Kränzles Schwarzalben erreichte der Abend jenes Musiktheaterniveau, das diese Kunstgattung bislang unsterblich macht.
(Wolf-Dieter Peter)

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