Kultur

Das Ende scheint unausweichlich. Szene mit der Tänzerin und Choreografin Adriana Mortelliti in der Rolle des Deus. (Foto: Jan-Pieter Fuhr)

14.04.2022

Apokalyptisches Oratorium

Am Staatstheater Augsburg schöpfte die spartenübergreifende UA-Produktion „Das Ende der Schöpfung“ aus dem Vollen

Die Finsternis hat sie, die Menschen, nicht mehr nötig …“ – wo kein Gras, kein Baum, kein Leben mehr, wo selbst dem Schöpfer im Totentanz mit dem bleichen Gerippe die Luft ausgeht, scheint das finale Black-out die einzig logische Konsequenz. Das war auf der Bühne im Martinipark mitzuerleben. Nichts weniger als die menschengemachte Megakrise, das Ende der Zivilisation, verhandelt die in sich schlüssige musiktheatralische Neuschöpfung des Staatstheaters Augsburg, die sich André Bücker als Regisseur und (Teil-)Librettist zur Chefsache gemacht hatte. Mit der bei Bernhard Lang in Auftrag gegebenen Komposition The End of Creation. Anthropocene als assoziative Fortschreibung von Haydns Schöpfung klang die Theater-Dystopie ins apokalyptisch-schwarze Nichts hinein aus.

Beklemmend, ausweglos

Das war musikalisch beklemmend. Das Schlagwerkarsenal generierte Spannung, eine flirrend scharfe, stark orchestrierte Ausweglosigkeit brach sich Bahn. Unter Verwendung der Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab (Jean Paul) sowie dem Byron-Poem Darkness schrieb Bücker für dieses letzte Kapitel ein Libretto, dessen Drastik angesichts der aktuellen Kriegs- und Krisenlage nichts hinzuzufügen war.

Chaosfernes Spitzenlevel erreichte unter Führung des ersten Kapellmeisters Ivan Demidov das Philharmonische Orchester, das mühelos den Stilistik-Schalter umlegte und von Haydns frühklassischer Strahlkraft (teils mit Originalklanginstrumenten) nach der Pause auf zeitgenössisch schaltete. Agil der erweiterte Opernchor, der in virensicherer Schutzkleidung manch szenische Albernheit absolvieren musste. Hochkarätig liehen die Sopranistinnen Katja Stuber sowie Evgeniya Sotnikova aus dem Orchestergraben heraus der erkälteten Jihyun Cecilia Lee, die als Erzengel Gabriel vorerst nur mimisch präsent war, ihre mit Substanz geführten Stimmen und retteten so diese Premiere. Mehr als überzeugend auch Pascal Herington als Uriel sowie Young Kwon, der als Gast geschmeidig in die Tiefen seiner Raphael-Partien hinabstieg.

Die Idee zu dieser Uraufführung ist dem Umstand geschuldet, dass sich im bestehenden Repertoire keine Oper fand, die dem spielzeitbeherrschenden Phänomen „Klimawandel“ und zugleich den Ansprüchen der Augsburger Theatermacher entsprach. So entschied man sich für ein zeitgemäßes szenisches Upgrade von Haydns lebensfrohem, mit feurigem Halleluja-Glanz überzogenen Oratorium. Es wurde im ersten, clean-weißen Teil des Abends zum Schöpfungsfundament, das Bühnenbildner Felix Weinold mit einem überdimensionalen Regal stabilisierte. Von dessen Höhe schlich sich „Deus“ ins kommende Weltgetriebe ein, auf den Regalböden fanden sich in bunt beleuchteten Kisten allerlei menschliche Urbedürfnisse archiviert, aber auch Amazon und verheerender Konsumwahn durften assoziiert werden.

Den Verzicht auf die originalen Rezitative in den beiden ersten Schöpfungsteilen machten die sieben Schauspieldialoge aus der Feder des Science-Fiction-affinen Autors Dietmar Dath wett, die das musikalische Geschehen frech unterbrachen. Mit erkenntnisphilosophischem Augenzwinkern wurde die Kehrseite der Schöpfungsmedaille, die Dialektik von Aneignung und Enteignung, so lange auf die Spitze getrieben, bis selbst dem billigen Whisky der Korken platzte.

Teuflisch der Genuss, mit dem Hanna Eichel, Paul Langemann und Nadine Quittner in diesen „sehr bösen Bilder[n] von den Verhältnissen zwischen dem Geschaffenen und dem Zerstörten“ ihre geschlechterwechselnden Ego-Befindlichkeiten austobten. Im apokalyptischen Finale blieb das infernalische Trio als passiver Beobachter des Grauens so lange präsent, bis die Zeit reif schien, sich in schwarzen Plastiksäcken für das kühle Jenseits zu wappnen. Nicht selten hatten diese drei Wortgewaltigen zuvor Nerven und Geduld der dezent aus dem Hintergrund waltenden Deus-Figur strapaziert.

Virtuos und körpersprachlich kommentierte Tänzerin und Choreografin Adriana Mortelliti den verhängnisvollen Lauf, den Geschichte und Geschöpfe nahmen. (Renate Baumiller-Guggenberger)

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