Kultur

Musikalisches Gehör hat Valery Gergiev – aber für sein Wirken im Westen muss er erst noch sensibilisiert werden. (Foto: dpa)

04.04.2014

Auf Kuschelkurs

Valery Gergiev unterstützt Putin öffentlich, doch in München will man den Aufruhr einfach aussitzen

Valery Gergiev, ein Star-Dirigent mit musikalischem Gehör, soll „sensibilisiert“ werden. So will es der Philharmonische Rat in München – als Reaktion auf den neuerlichen Ärger, den der Russe provoziert hat. Von 2015 bis 2020 soll er die Münchner Philharmoniker leiten. Nun sollen der Münchner Kulturreferent Hans-Georg Küppers und der Intendant der Münchner Philharmoniker Paul Müller einmal mit Gergiev sprechen, bei seinen nächsten Besuchen an der Isar. „Ziel ist es, ihm die aktuelle Diskussion über seine Äußerungen darzustellen und ihn für die daraus resultierende Situation des Orchesters zu sensibilisieren“, heißt es in einer Pressemitteilung.
Hintergrund sind Interviews von Gergiev in Russland: Er hatte den nationalistischen Kurs des russischen Präsidenten Vladimir Putin sowie die Annexion der Krim durch Russland öffentlich verteidigt. Zudem hat Gergiev mit anderen russischen Künstlern einen Appell für die Ukraine-Politik seines Freundes Putin unterzeichnet.
In München wurde das kontrovers diskutiert, zumal mit dem ukrainischen Kiew eine Städtepartnerschaft besteht. Manche Politiker plädierten für eine Auflösung des Vertrags mit Gergiev, er hatte ja schon einmal für politischen Wirbel gesorgt, als er im vergangenen Dezember die homophobe Politik Putins öffentlich relativierte, man hat auch schon des öfteren nationalistische Äußerungen von ihm gehört. Bereits 2008 hatte Gergiev im Georgien-Konflikt eifrig für Putins Politik geworben. Und 2011 hatte er während einer Pressekonferenz in München den Stalin-Kult unter Putin relativiert. Damals ging es um die Ankündigung eines Konzertzyklus’ mit allen Sinfonien von Dmitri Schostakowitsch, eines Künstlers, der unter Stalin verfolgt wurde: Da geht es um die Frage nach der Glaubwürdigkeit in der Kunst. Just nach diesem Zyklus war Gergiev vom Orchester und vom Stadtrat einstimmig gewählt worden.
Der Philharmonische Rat hat beide Positionen diskutiert: Da das Recht auf freie Meinungsäußerung – dort die Verantwortung in einer exponierten Position im Münchner Kulturleben. Was wiegt mehr?
Als einstige „Hauptstadt der Bewegung“ Hitlers hat München eine besondere historische Verantwortung. Jegliches nationalistische Getöse stehen München und Deutschland nicht gut. Zudem werden die Münchner Philharmoniker als Orchester der Stadt mit Steuergeldern subventioniert. Als Chefdirigent der Philharmoniker ist Gergiev faktisch der bestbezahlte Angestellte der Stadt. Mehr noch als bei jedem anderen Angestellten muss sich sein Verhalten mit den Grundsätzen und Werten seines Arbeitgebers, der Stadt München, decken – was hier nicht der Fall ist.

Grassierende Blauäugigkeit

Zwar hatte sich Gergiev nach der Münchner Pressekonferenz im Dezember in einem offenen Brief zum Grundsatz bekannt, wonach niemand diskriminiert werden dürfe. Er sei ein Künstler und kein Politiker, hatte Gergiev im Dezember vor der Münchner Presse erklärt. Trotzdem hat er weiterhin eifrig Wahlkampf für Putin und dessen Ukraine-Politik gemacht.
Gründlich blamiert haben sich nun jedoch vor allem das Orchester und die Stadt, denn: Neu ist Gergievs Gepolter doch wirklich nicht gewesen. Die Blauäugigkeit von Stadtrat, Kulturreferat, Philharmoniker-Intendanz und des Orchesters ist staunenswert. Warum entschieden sich alle seinerzeit für Gergiev? Wohl, weil man sich erhofft hatte, die Münchner Philharmoniker mit diesem Stardirigenten noch internationaler aufstellen zu können – mit Tourneen und Aufnahmen.
Aber kann diese Rechnung überhaupt aufgehen? Mittlerweilen ist Gergiev in weiten Teilen der westlichen Klassik-Welt ungern gesehen. Wo er auftaucht, wird protestiert. Die Reaktionen der westlichen Presse auf die Causa Gergiev sind für ganz Bayern wenig schmeichelhaft. Schon der Weggang von Christian Thielemann war für München und die Philharmoniker peinlich – das Orchester hätte endlich einmal wieder eine politisch unbeschadete Ära verdient, in der es an seiner musikalischen Qualität feilen kann, und nicht wegen der politischen Bekenntnisse seines Frontmanns am Pranger steht. Wie steht es um einen versierten Dirigenten, der für die Situation (s)eines Orchesters erst „sensibilisiert“ werden muss?
Trotzdem herrscht wohl in der Stadt ebenso wie beim Orchester die Devise: Aussitzen! Ohnehin: Eine Vertragsauflösung wäre rechtlich heikel und teuer.
Das Beste wäre: Gergiev tritt selbst vom Vertrag zurück. Das wäre besser auch für ihn und seinen künstlerischen Ruf: Denn die ernsthafte Auseinandersetzung mit seiner Arbeit tritt in München wohl in den Hintergrund. Das muss man ihm klar machen. (Marco Frei)

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