Kultur

Das Bayerische Rundfunkorchester in Zagreb. (Foto: Tugomir Hrabric)

26.02.2020

Aufarbeitung mit Aussöhnung

Gastspiel des Bayerischen Rundfunkorchesters in Zagreb

Manchmal ist Geschichte hautnah spürbar. Sie ist präsent, als Gefühl und Stimmung. Auf diese Weise kreiert sie Großereignisse, so wie am vergangenen Wochenende in Zagreb. Die Hauptstadt Kroatiens war aus dem Häuschen, überall Kameras und Journalisten. Ein Gastspiel aus Bayern war der Grund. Das Münchner Rundfunkorchester (MRO) konzertierte mit dem BR-Chor im Konzertsaal „Vatroslav Lisinski“.

Für sich genommen ist das keine Sensation, zumal das MRO mit seinem Chefdirigenten Ivan Repusic´ bereits im vorigen Jahr in Zagreb gastierte. Jetzt aber drehte sich alles um ein ganz besonderes Werk: das Kroatische glagolitische Requiem von Igor Kuljeric´. Der 1938 geborene und 2006 verstorbene Komponist war eine Art Nationalheld: nicht nur in seiner Heimat Kroatien, sondern im gesamten Ex-Jugoslawien.

Inspiriert vom
Italiener Luigi Nono

Sein Schaffen steht für eine kulturelle Öffnung. Frühzeitig lässt sich Kuljeric´ von dem italienischen Avantgardisten Luigi Nono inspirieren. Später betont er mit seiner Musik die kulturellen Identitäten der jeweiligen Völker Jugoslawiens: nicht immer zum Wohlgefallen der Zentralregierung in Belgrad. Das 1996 uraufgeführte Kroatische glagolitische Requiem von 1996 ist ein besonderer Fall im Schaffen Kuljeric´s.
Das Glagolitische verweist einerseits auf das Christentum in Osteuropa. Gleichzeitig ist die Glagolizia die erste slawische Schrift überhaupt: erfunden von dem Slawenapostel Kyrill von Saloniki. Sie wurde bald vom Kyrillischen überholt. In dieser Lesart würdigt das Requiem eben nicht nur das lange Ringen der kroatischen Nation um die Unabhängigkeit. Vielmehr gedenkt Kuljeric´ allen Opfern des grauenvollen Balkankriegs in den 1990er-Jahren.

Umso größer waren die Erwartungen beim jetzigen Gastspiel aus Bayern, denn: Allein diese Besetzung führte eine weitere historische Komponente in das Werk ein. Bekanntlich zählte Deutschland 1991 zu den ersten Ländern, die die Unabhängigkeit Kroatiens anerkannten. Dass nun ein Chor aus Deutschland eigens die kroatische Sprache einstudiert hat, wurde als besondere Geste aufgefasst.

Gleichzeitig aber ist die MRO-Besetzung ausgesprochen „ex-jugoslawisch“. So stammt der MRO-Chefdirigent Repusic´ aus Zagreb. Dagegen ist Konzertmeister Stanko Madic´ ein gebürtiger Serbe aus Belgrad. In Zagreb wurde diese Besetzung breit diskutiert: als gelebte Verständigung und Aussöhnung zwischen Völkern. Noch dazu hat das Gastspiel aus Bayern aus sich heraus auf ein Thema aufmerksam gemacht, das in Kroatien gerne verschwiegen wird.

Im Zweiten Weltkrieg war nämlich Kroatien unabhängig, allerdings als Vasallenstaat von Nazi-Deutschland. Diese vielschichtige Geschichte schwang mit, als das Requiem ertönte. Die Musik klingt vielfach nach der Carmina Burana von Carl Orff, mit einem Schuss pazifistischen Engagement im Stil des Canto sospeso von Nono. Im Sommer soll eine CD mit diesem Werk erscheinen.

Ob Kristina Kolar (Sopran), Annika Schlicht (Mezzosopran), Eric Laporte (Tenor) Ljubomir Puskaric´ (Bariton) oder die BR-Choristen: Der komplexe Vokalstil wurde zu einem fesselnden Hörerlebnis. Alles changiert zwischen einstimmigen und mehrstimmigen Gesang, Lautakrobatik oder Sprechgesang. Großer Beifall mit Bravo-Rufen: „Dieser Abend zwingt uns zum Nachdenken“, sagte eine ältere Konzertbesucherin auf Englisch. Sie lächelte mehrdeutig. (Marco Frei)

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