Kultur

Bedrohlich ziehen sich die Wolken zusammen: Emil Noldes „Hülltoft Hof“ (hier ein Ausschnitt) wurde von der Fondazione Gabriele e Anna Braglia ans Franz-Marc-Museum entliehen. (Foto: Linda Inconi-Jansen)

11.08.2017

Bedrohliche Gewitterstimmungen

Das Franz-Marc-Museum zeigt Bilder deutscher Expressionisten, die sonst in einem Museum am Luganer See zu sehen sind

Sonst sind die Bilder in der Fondazione Braglia am Luganer See – jetzt hängen sie im Franz-Marc-Museum am Kochelsee. Es ist durchaus ein Kunst-Coup, dass man die Sammlung von Gabriele und Anna Braglia über die Alpen gelotst hat. Denn die Bilder mit Schwerpunkt deutscher Expressionismus sind bisher nur zuhause präsentiert worden. Und nun kann man sie für ein halbes Jahr im bayerischen „blauen Land“ sehen. Ergänzt durch andere Bestände sind es oft Ikonen jener Epoche. Cathrin Klingsöhr-Leroy, die Direktorin des Franz-Marc-Museums, freut sich: „Wir konnten aus dem Vollen schöpfen.“ Sie fragt zugleich: „Kann man diese Moderne par excellence überhaupt noch sehen?“ Die Antwort gibt die Ausstellung überzeugend: Sie gliedert die Exponate in neun Kapitel und in Themen, die vor rund 100 Jahren die bildende Kunst und die Literatur beschäftigt haben. Deshalb verknüpft die fulminante Schau in Kochel auch Texte und Bilder: „Ein assoziativ-experimenteller Ansatz“, meint Cathrin Klingsöhr-Leroy, integriert sind „Texte, die ich kenne, die ich liebe und gelesen habe.“ Im Katalog-Vorwort fragt der Schriftsteller Michael Kumpfmüller: „Gibt es irgendetwas Neues in Sachen deutscher Expressionismus?“ Er spricht von den Bildern als einer „bunten Truppe alter Bekannter“, jedem Ausstellungs- wird ein quasi poetisches Kapitel zugesellt. So führt Kumpfmüller in die „Kinderspiele“ ein: Die Kinder auf den Bildern der Expressionisten seien Zeugen der Barbareien in der ersten Jahrhunderthälfte gewesen, der Blick verdüstere sich mehr und mehr. „Kinderspiele“ ist eine Abteilung, die am wenigsten von den großen bekannten Bildern lebt und durchaus neue Blicke ermöglicht: weniger wissenschaftlich, kunsthistorisch als persönlich. Wie auch der Walter-Benjamin-Text aus „Berliner Kindheit um neunzehnhundert“ (allerdings erst 1932-34 erschienen).

Kinder mit leeren Blicken

Ohne Probleme des Zugangs erschrickt man hier spontan über die Gegensätze von Oskar Kokoschkas Mädchenporträt (1922) und den Grafiken von Max Beckmann oder Erich Heckel: hier die penibel geflochtenen Zöpfe, große erstaunte Augen, gefällige Farben – dort die Kinder am Fenster, und Kinder am Ofen in düsteren Hinterhöfen und armseligen Stuben. Bei manchen Bildern wie bei Franz Marcs Drei Mädchen mit weißen Haarschleifen (1914) und ordentlich oberbayrisch gekleidet, aber steif in der Haltung und voll ungewisser Erwartung ebenso wie bei Heckels Fränzi fragt man sich: Sind das nicht Projektionen der Welt, Sicht und Erwartungshaltungen von Erwachsenen? Kaum ein Kinderbild, das nichts Fremdartiges hätte: etwa das Kind mit Luftballon, das Heinrich Campendonk in ein kleines Oval presst, mit Gebäude, Natur, Spielzeug und in vielen Farben. Oder die Arbeiten von Paula Modersohn-Becker: Kinder mit verschatteten Augen, leeren Blicken. Aus dieser Perspektive scheint der gegensatzhaltige Titel der Ausstellung Blaues Land und Großstadtlärm gut gewählt. Dass die Braglia-Sammlung Momente von Melancholie, Depression oder Verzerrung weitgehend ausblende, möchte man in Frage stellen. Nicht in allen Sälen und Kabinetten des Marc-Museums ist das eine erwärmende Sommerausstellung: Es gibt auch solche Gewitterstimmungen aus sich drohend zusammenballenden Farbclustern wie von Alexej von Jawlensky (1916) oder solche Texte wie der Ausschnitt aus Theodor Fontanes Stechlin, wo es über den Garten der Tante Adelheid heißt: „etwas primitiv, aber wundervolles Obst“, und über die Stiftsdamen: „Es sind aber nur ihrer vier, und wenn welche gestorben sind … so sind es noch weniger.“ Ein Traumland, wie eines der Ausstellungskapitel heißt, ist diese großartige Expressionistenschau auf jeden Fall. (Uwe Mitsching) Information: Bis 3. Oktober. Franz Marc Museum, Franz Marc Park, 82431 Kochel. Di. bis So. 10-18 Uhr.

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