Kultur

Das mit der Goethe-Nachfolge, wie sie sich der König ausgedacht hat, klappte zwar nicht – trotzdem avancierte Paul Heyse schnell zum Münchner Szene-Star. (Foto: BSB)

16.05.2014

Beliebter Netzwerker

Die Bayerische Staatsbibliothek zeigt Paul Heyse als Zentralgestalt des europäischen Literaturbetriebs

Er wirkte 60 Jahre lang in München, war dort ungemein populär und beliebt – seine Villa in der Luisenstraße wurde zum hoch geschätzten Anziehungspunkt für nationale und internationale Größen des Literatur-und Kunstbetriebs: Paul Heyse (1830 bis 1914) als erster deutscher Schriftsteller mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet, war „ein Liebling der Musen“, wie ihn der befreundete Theodor Fontane nannte. Modern ausgedrückt war der polyglotte, promovierte Romanist als Lyriker, Dramen- und Novellenschreiber, Übersetzer und Interessenvertreter seines Genres, ein „Global Player“, mit den führenden Köpfen in diesem Metier und auf dem Buchmarkt im In- und Ausland vernetzt.
Und dennoch: Der ursprünglich mit dem Anspruch eines Goethe-Nachfolgers vom bayerischen König Max II. 1854 nach München gelockte Berliner Schriftsteller ist heute weithin vergessen. Der Münchner kennt allenfalls noch die Auspuffgas verpestete Paul-Heyse Unterführung hinterm Hauptbahnhof, weiß in der Regel aber nicht, wer der Namensgeber ist – geschweige denn, was dieser Mann geschrieben hat.
Die Bayerische Staatsbibliothek ist mit einer Ausstellung in ihrer Schatzkammer angetreten, den Dichter anlässlich seines 100. Todestages ins Gedächtnis der Münchner zurückzuholen. Es ist nach 1930 und 1981 die dritte Präsentation seines literarischen Schaffens. Die Bibliothek kann aus dem Vollen schöpfen, verwahrt sie doch den umfangreichen Nachlass, den seine Witwe Anna ihr übergeben hat und der sukzessive weiter ausgebaut wurde.
Trotz des knappen Platzangebots in der Schatzkammer gewinnt der Besucher anhand des geschickt ausgewählten Archivmaterials einen guten Einblick in die schöpferische Vielfalt des künstlerischen Multitalents.
So lernt man von den in Glasvitrinen chronologisch arrangierten Exponaten auch Seiten des Dichters kennen, die sonst kaum bekannt sind: wie seine Tätigkeit als Librettist für zwei Komische Opern und seine persönliche Verbindung zu zeitgenössischen Komponisten wie Peter Cornelius und Joseph Gabriel Rheinberger. Nicht nur sie, auch Hugo Wolf, Robert Schumann und Johannes Brahms nahmen Heyses Gedichte immer wieder als Vorlagen für Vertonungen her.
Enge Beziehungen pflegte der Schriftsteller auch zu den Repräsentanten der bildenden Kunst. Mit Adolph Menzel, Arnold Böcklin und besonders Franz von Lenbach verband ihn eine lebenslange Freundschaft. Er selbst war ein begabter Amateurzeichner. Davon zeugt sein ausgestelltes Buch mit 25 Porträtskizzen Münchner Literaten.
Im Mittelpunkt der Präsentation steht allerdings sein Werdegang zum späteren „Literaturpapst“, der seinen Ausgang als kulturpolitischer Berater und „poeta laureatus“ bei seinem Mentor König Max II. in den wöchentlichen Symposien am Münchner Hof nahm. Schon kurz nach seiner Ankunft in der Residenzstadt gründete er zusammen mit seinem väterlichen Freund Emanuel Geibel den Dichterkreis „Die Krokodile“, der sich ganz bewusst die Integration von Einheimischen und Nichtbayern zum Ziel gesetzt hat, um der Feindseligkeit gegen die vom König nach München geholten auswärtigen „Nordlichtern“ Paroli zu bieten. Eine Fotografie zeigt Heyse inmitten einer Gruppe von 17 seiner Mitglieder.
Verbildlicht ist auch seine Mitgliedschaft bei der „Zwanglosen Gesellschaft“ auf einem farbigen Cartoon Franz von Poccis, der ihn als Apoll mit der Leier karikierte. Dieser bayerische „Stammtisch“ aus Schriftstellern, Künstlern und Wissenschaftler gewährte auch Nichtbayern, unabhängig von Stand und Konfession, Zutritt.
Doch dies war nur die Spitze des Eisbergs der Beziehungswelt des „Netzwerkers“ Heyse. Nicht nur der gewaltige Umfang seiner in alle europäischen Sprachen übersetzen Novellen, Dramen und Gedichte, sondern auch seine umfassende Tätigkeit als Übersetzer, Literaturkritiker und Herausgeber zahlloser Anthologien deutscher, aber auch ausländischer Dichter, die hier beispielhaft zu sehen sind, lassen ihn zu einer Zentralfigur des europäischen Literaturbetriebs werden. Dies bezeugen nicht zuletzt die Originalurkunden seiner zahlreichen Ernennungen und Ehrungen, zu denen als Höhepunkt der 1910 an ihn vergebene Literaturnobelpreis zählt – übrigens das einzige Original einer Nobelpreisurkunde in der Bayerischen Staatsbibliothek. (Reiner Oelwein)
(Bis 22. Juni. Bayerische Staatsbibliothek, Schatzkammer, 1. Stock, Ludwigstraße 16, 80539 München. Mo., Mi., Fr. 10 – 17 Uhr, Di., Do. 10 – 20 Uhr. www.bsb-muenchen.de) (1910 erhielt Paul Heyse den Literatur-Nobelpreis; göttergleich: Heyse als Apoll in einer Pocci-Karikatur - Fotos: BSB)

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