Kultur

Nicht dem König, sondern den Göttern leistet Antigone (Sarah Horak) Gehorsam und wird so zur „Verbrecherin aus Pflichtgefühl“. (Foto: Jochen Klenk)

01.03.2019

Beratungsresistenter Herrscher

„Antigone“ in Ingolstadt zeigt, dass Theater noch immer ein demokratischer Sinnenschärfer ist

Der einzige Ausweg aus dem Leben ist das Grab. Im Vordergrund sieht man das frisch ausgehobene der verblichenen Kämpen im Kampf um die Vorherrschaft im Stadtstaat Theben, des feindlichen Brüderpaars Eteokles und Polyneikes. Nach hinten versetzt ist die Gruft der Antigone, in der sie sich laut Schiedsspruch des autokratischen Herrschers Kreon dem Tod entgegendarben muss, und sich dort erhängt.

Den Grundton des Geschehens in Sophokles’ Antigone prägt Tragik, die Inszenierung des Stücks aus dem Jahr 442 v. Chr. durch Kathrin Mädler am Stadttheater Ingolstadt folgt dieser Tragik in bitterer Unausweichlichkeit.

Kathrin Mädler, die als Intendantin aus dem Landestheater Schwaben in Memmingen einen spannenden, quicklebendigen Spielort gemacht hat, durchkämmt in ihrer Ingolstädter Gastregie die Handlung streng, klar und präzise. Die Bühne (Ausstattung: Frank Albert) ist riesig, Holzplanken am Boden, Spiegelwände an den Seiten, Neonröhren oben, eine Videoprojektionsfläche hinten bestimmen den Raum, in dem die Menschlein klein wirken in all dem Geschick, durch das sie purzeln, sich rammen, fallen. Die Kostüme sind gehalten im Braun der Erde, Rot des Blutes, Schwarz des Todes. Das Licht wechselt zwischen Großszenen und intimen Momenten des Zwiegesprächs.

Unmenschliches Urteil

Darin eingebettet der klassische Grundkonflikt dieses genau deswegen so gern und viel gespielten Klassikers: Nur einer der beiden Brüder, der Theben verteidigende Eteokles, darf nach dem Krieg beerdigt werden, der andere, Angreifer Polyneikes, darf es bei Todesstrafe nicht. Im Glauben der alten Griechen war das gleichbedeutend mit einem Urteil zum Jenseitsverlust. Es ist ein unmenschliches Urteil des neuen Königs Kreon, dem sich Antigone widersetzt: eine „Verbrecherin aus Pflichtgefühl“.

Zeitlos wirkt die Inszenierung, einige Videoeinspielungen verbinden die Geschehnisse mit der jüngeren deutschen Zeitgeschichte: Es geht um ein Menschheits-, um ein Menschlichkeitsproblem.

Denn verhandelt wird die Frage: Darf ein Staat alles von seinen Bürgern verlangen, selbst wenn daraus Unmenschlichkeit wird? Oder gibt es ein Recht auf Ungehorsam?

König Kreon hat in Sophokles’ Version des Geschehens – das der Dichter einer alten griechischen Legende entliehen hat, um die Zuschauer über Staatsformen nachdenken zu lassen – durchaus erst einmal einleuchtende Gründe für seine Entscheidung. Es zeigt sich aber, dass sie falsch sind, dass er aber als beratungsresistenter Alleinherrscher seinen Staat und seine Familie moralisch zugrunde richtet, dass Hass in der Politik schlussendlich nie zielführend ist. Sondern dass – im demokratischen Athen – eine rationale Entscheidung der Vielen tragfähiger ist.

Sarah Horak als Antigone und Matthias Zajgier als Kreon sind die zentralen Gegenspieler: sie ganz unheroisch konzentriert auf ihre Pflicht als Schwester, er erst kühn, dann immer grimmiger in seinem außer Kontrolle geratenden Selbstbewusstsein eines Potentaten. Miteinander reden die beiden so gut wie nie, und wenn, dann interpretiert er ihre moralische Haltung als oppositionellen Affront. Theater hat im alten Athen schon als demokratischer Sinnenschärfer gedient. Heute gilt das genauso. (Christian Muggenthaler)

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