Kultur

Özkan Ayik lässt als Zampanò die Muskeln spielen. (Foto: Marie-Laure Briane)

20.07.2018

Bewegte Skulpturen

Mit „La Strada“ hat sich das Ballett am Gärtnerplatz, angelehnt an Fellinis Film, ein Juwel ins Repertoire geholt

Man hat die Bilder im Kopf: ein fahrendes Gaukler-Paar, der Kettensprenger Zampanò und seine wie eine Leibeigene gehaltene Assistentin Gelsomina, in diesen morbid-schönen Schwarz-Weiß-Szenerien italienischer Landschaften und ärmlicher Zirkuswelt. Federico Fellinis neorealistisches Meisterwerk La Strada von 1954, das mit Anthony Quinn und Fellinis Ehefrau Giulietta Masina Filmgeschichte schrieb, hat Marco Goecke fürs Münchner Gärtnerplatztheater vor Ährenfeld und Dünen in ein großes Breitwand-Ballett übersetzt.

Goecke (ab 2019/20 Tanzchef in Hannover, bis jetzt Stuttgarter Hauschoreograf und auch in München schon Gast) choreografiert jenseits von Klassik und Modern Dance, jenseits auch der scheinbar gelenklosen, hyperelastischen zeitgenössischen Formen. Sein hauptsächlich auf den Oberkörper konzentrierter, marionettenhaft ruckender, winkeliger Stil schickt die Tänzer wie bewegte Skulpturen in den Raum.

In der sich ergebenden komplexen Sprache der Gesten erzählt er, ungewöhnlich genug, sehr lesbar die Geschichte von zwei Abgehängten: von Zampanò, der in existenzieller Not gefühlsarm geworden ist. Er kauft die geistig schlichte, aber sensible Gelsomina ihrer Familie für 10 000 Lire ab und richtet sie wie einen Hund ab. Erst nach Jahren, allein und ausgebrannt, empfindet er ihren Tod als Verlust.

Irrwitzig rasender Kosmos

Özkan Ayik ist großartig in seinem bewusst bis zur Erstarrung getriebenen Muskelspiel als Gefühlsverweigerer Zampanò. Wunderbar ist die naive Lebensfreude, das liebenswert Clowneske von Verónica Segovias Gelsomina. Auch Isabella Pirondi als Gelsominas Mutter, Rita Barão Soares und Chiara Viscido als Zampanós flüchtige Sex-Partnerinnen, Javier Ubell als Gelsomina Zuwendung schenkender Seiltänzer Matto und David Valencia als Zirkusdirektor: Sie alle beuten ihre Tanzleidenschaft regelrecht bis über die Grenzen aus in diesem irrwitzig rasenden Goecke-Kosmos. Arme runden sich zu großen Zangen, schießen wie Messer aus ihren Kugelgelenken heraus, zersägen, zerhacken die Luft. Wirbelsäulen biegen sich. Finger, Hände flattern, schütteln, kreisen. Das alles bei Partner-Begegnungen auch noch ineinandergreifend, sich verhakend, verknäulend.
Goecke schafft rein aus der Bewegung heraus ein Drama, das die Innenspannung der beiden so gut wie sprachlosen Protagonisten fiebrig nach außen entlässt.

Der Neorealismus dieser von Fellini und Tullio Pinelli aus harter Nachkriegszeit erdachten Geschichte ist ausgespart. Stattdessen mag man in Goeckes gestisch dichter, beschleunigter Sprache die Nervosität unserer Zeit erkennen, die ständige Reizüberflutung, das tägliche Unter-Strom-Stehen. Die Smartphone-Generation lebt damit, die ältere Generation im Publikum ist da schon ein wenig überfordert. Aber eine solche Wirkung darf der Kunst nicht verboten sein.

Es gibt auch Entspannung mit viel Zirkusatmosphäre und Nino Rotas 1966 aus der originalen Filmkomposition adaptierten Ballettsuite. Von der Strawinsky-ähnlichen Symphonik bis zu Zirkusklängen wird sie vom Staatsorchester unter Michael Brandstätter engagiert dieser eigenwilligen Choreografie zugespielt. Sicher ist: Mit Goeckes „Lied von der Straße“ hat sich das Gärtnerplatz-Tanzensemble ein Juwel ins Repertoire geholt. (Katrin Stegmeier)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.