Kultur

Zum Muttertag druckten viele Zeitschriften Willi Greiners "Deutsche Mutter aus großer Zeit" ab. Die Bleistiftzeichnung hatte Würzburgs OB Memmel 1940 für das Mainfränkische Museum gekauft. (Foto: Kulturspeicher)

05.04.2013

Brauner Geschmack

Tradition und Propaganda: Zwei Ausstellungen im Würzburger Kulturspeicher zeigen genehme und verfemte Kunst aus der Zeit des Nationalsozialismus

Manches Museum versteckt seine ungeliebten oder belastenden Bestände im Depot. Anders verfährt das Museum im Kulturspeicher Würzburg mit dem umfangreichen „Erbe“ aus der Nazizeit. Es ließ diese „Leichen im Keller“ sichten und wissenschaftlich bearbeiten. Und zeigt nun unter dem Titel Tradition und Propaganda eine repräsentative Auswahl von etwa 90 aus den gut 1300 Werken der „braunen“ Ära. Die Arbeiten wurden zwischen 1933 und 1945 in die städtische Sammlung aufgenommen, gelangten aber auch noch nach Kriegsende durch Schenkungen und Nachlässe dorthin.
Auffällig ist, dass das allermeiste in diesem Konvolut der akademischen Tradition des 19. Jahrhunderts entsprach, dass die Moderne, also Expressionismus und Abstraktion völlig fehlt, dass Genre, Landschaften und Porträts überwiegen. Ein Teil aber diente ganz offensichtlich der Propaganda.
Deutlich wird dies gleich beim Eintritt, wenn der Besucher konfrontiert wird mit dem monumentalen „Edelschinken“ Arbeitskameraden von Ferdinand Spiegel: Er verherrlicht mit dem blonden Landmann, der ein Pferd mit blonder Mähne am Zügel führt, den „gesunden“, bodenständigen Deutschen. Der Würzburger Maler wurde übrigens wie der Marktheidenfelder Hermann Gradl, der spätere Direktor der Nürnberger Kunstakademie, auf der „Gottbegnadeten“-Liste als Lieblingsmaler Hitlers aufgeführt. Gradls harmlos scheinende, zeitlos-idyllische Landschaften mit den weiten Fernsichten sind absolut austauschbar, haben alles Moderne eliminiert.
Dagegen ist im Bestand kaum etwas zu finden, was unter die Diffamierung „entartet“ fiel – ausgenommen einiger weniger früher Werke der Würzburger Bildhauerin Emy Roeder und einiger Heckel-Holzschnitte, alles aus dem Nachlass der Künstlerin.
Von der Qualität her dominiert aus der Nazizeit und bis in die 60er Jahre das gediegen Kunsthandwerkliche. Dies entsprach dem Geschmack und den Vorlieben des Gründers der Städtischen Galerie, Heiner Dikreiter (1893 bis 1966). Vor dem Krieg als Maler und Kunstlehrer tätig, konnte er 1941 mit Unterstützung des Würzburger Bürgermeisters Theo Memmel die Städtische Galerie ins Leben rufen und durfte auch noch nach Kriegsende, weil als „Mitläufer“ eingestuft, als Galeriedirektor weiter wirken.
Die Ankaufspolitik Dikreiters in der Zeit des „Dritten Reiches“ erstaunt, denn Würzburg erwarb mehr als alle anderen deutschen Städte Werke aus den Großen Kunstausstellungen der Nazis im Münchner Haus der Kunst – und noch dazu für viel Geld. Allerdings kaufte die Städtische Galerie nur ein Werk unter ihrem Namen; alle anderen fast 100 Werke wurden offiziell vom Bürgermeister erworben, sicher auf Empfehlung des Galerieleiters; Hintergrund war wohl ein interner „Kulturkampf“ der Stadtspitze mit Gauleiter Otto Hellmuth.

Heile Landschaft

Dikreiters eigene Werke, etwa die Landschaften, lassen die Kenntnis des expressionistischen Stils ahnen. Dennoch sammelte er keine Expressionisten. Er bevorzugte das dem Regime Genehme. Das Menschenbild der NS-Zeit auf Gemälden, Grafiken oder Skulpturen zeigt demgemäß die „natürliche“, ungeschminkte Frau, arbeitsam, fröhlich, auch nackt; der Mann ist sportlich gestählt. Es überwiegen altmeisterliche Porträts, erotisch-schwüle Akte oder Bauernbildnisse.
Die Landschaft von Mainfranken taucht auf vielen Bildern auf: heil, unberührt von technisch-industriellen Zutaten.
Auf den Propaganda-Bildern, wozu auch Skulpturen wie ein Hitlerkopf, ein Bannerträger zu Pferd oder ein Soldatenkopf (Feuer frei) zählen, fällt auf, dass ein bestimmter Menschentyp gefragt war mit männlichen Zügen und entschlossenem Blick, wie bei dem von Hitler sehr geschätzten Oskar Martin-Amorbach auf dem Selbstporträt zu sehen.
Scheinbar freundlich-unverfänglich fiel die Werbung für die Nazis aus, so für das Winterhilfswerk oder das deutsche Mutterdasein auf den Holzschnitten von Richard Rother, die wegen der knorrigen Häcker-Figuren auch heute noch viele fränkische Weinstuben zieren.
Richtig boshaft aber sind die Karikaturen von Otto Flechtner, der Juden und Kommunisten diffamierte. An den Durchhaltewillen im Krieg appellierten Zeichnungen von Willy Greiner vor Würzburg-Kulissen oder düstere Grafiken zu den Kämpfen an der Front.

Ausdrucksstark: Skulpturenfragmente aus Berlin

Unten im Würzburger Kulturspeicher das, was von den Nazis als Kunst geschätzt wurde – einen Stock höher das, was sie als „entartet“ aus den Museen entfernt hatten und was endgültig verloren schien: Die Präsentation des Berliner Skulpturenfunds lässt ahnen, welche Schätze durch die Kunstpolitik der Nazis vernichtet wurden. Dort oben sind Fragmente zu sehen, welche den Bombenhagel in einem verborgenen Depot der braunen Machthaber nur als Trümmer überstanden haben.
Als Anfang 2010 bei Ausschachtungsarbeiten vor dem Roten Rathaus in Berlin plastische Fragmente auftauchten, dachten die Archäologen zuerst an Hinterlassenschaften der früheren Stadtgeschichte. Schnell aber wurde klar, dass es sich um Reste von durch die Nazis beschlagnahmten Skulpturen handeln musste; einen bruchstückhaften Terrakotta-Kopf konnte man nämlich einer im Würzburger Museum befindlichen Holzplastik der Bildhauerin Emy Roeder zuordnen; er gehörte zu einer anderen Version der Schwangeren, die 1937 aus der Karlsruher Kunsthalle entfernt worden war und seither als verschollen galt.
Bei den Grabungen fand man weitere Skulpturen-Fragmente, insgesamt 16. Diese sind nun, mit Hinweisen auf die Künstler und, soweit vorhanden, begleitet von historischen Fotografien ihres ursprünglichen Zustands, in „gereinigter“ Fassung zu sehen, wobei das Fragmentarische bestehen blieb.
Besonders fallen auf: der bronzene Porträtkopf der Schauspielerin Anni Meves von Edwin Scharff, die Tänzerin von Marg Moll, der (zerstörte) Kopf von Otto Freundlich, das „stehende Mädchen“ von Otto Baum, die schlanken kleinen Mädchen-Figuren von Heinrich Wolff bzw. Karl Ehlers, auch der Torso einer radikal reduzierten weiblichen Büste von Naum Slutzky.
Alle diese Werke überzeugen durch ihre starke Ausdruckskraft – auch noch in ihrem zerstörten Zustand. Sie hinterlassen einen bittern Nachgeschmack beim Gedanken an das, was uns durch die Nazidiktatur an Kunst und Kunstsachverstand verloren ging.
(Renate Freyeisen) Bis 12. Mai, „Skulpturenfund“ bis 20. Mai. Museum Kulturspeicher, Oskar-Laredo-Platz 1, 97080 Würzburg.
Di. 13 – 18 Uhr, Mi. 11 – 18 Uhr, Do. 11 – 19 Uhr, Fr./ Sa./ So. und Feiertage 11 – 18 Uhr. www.kulturspeicher.de
Abbildung: Fragment Schwangere (1918) von Emy Roeder. (Foto: Keule)

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