Kultur

Details aus „Rock Bottom 1“ von Claus Richter. (Foto: Anne Pöhlmann)

17.07.2020

Chiffren mit Witz

In der Kunsthalle Nürnberg zeigen Cosima von Bonin und Claus Richter Installationen voller Trash, Zauber und Kritik

Eigentlich sind es schlechte Zeiten für Cliquen. Aber die Kunsthalle Nürnberg wagt sich wenigstens an eine extrem kleine: Für die in Kooperation verliebten Künstler Cosima von Bonin und Claus Richter bot sie viel Platz im neu gestalteten Gebäude für deren konzeptionelle Kunst und solche großen Sachen wie das fette, ausgestopfte Küken Missy Misdemeanour: Das reitet auf einer Riesenrakete wie Dr. Seltsam in Stanley Kubricks Film.

Platz ist auch für Richters Rattengasse aus dem Charles-Dickens-London der schlimmsten Industrialisierungszeiten: Abwaschkübel, dreckige Unterhemden, Ratten im Schokoladengeschäft. Dorthin kann man einen Hocker mitnehmen und sich berieseln lassen von Babygewimmer, gurgelndem Wasser und Richters Singstimme bei „Put on a happy face“. Von außen freilich sieht man: Alles besteht nur aus Latten, Styropor und Farbe. Es ist ein Spiel zwischen Realität und Phantasie.

Die Arbeiten Cosima von Bonins (1962 geboren) faszinieren auch in den anderen Sälen, zum Beispiel mit Raketen im Haifischmaul. Nicht minder zieht Claus Richter (1971 geboren) in Bann mit einer Haltestelle, an der vier Menschen auf den gleichen Zug warten, der in 15 Minuten kommen soll, aber wahrscheinlich nie kommt: anonyme Typen, gevierteiltes Wartehäuschen – das ist die Tristesse der Gegenwart.
Spätestens, wenn man die Hälfte der Schau durchlaufen hat, weiß man: Es ist seit Langem die witzigste Ausstellung in Nürnberg, reich an Anspielungen und Zitaten, mit Bezug zu allem Trash von heute und zu den einsamen Momenten unseres Alltags.

Abwechslungsreich sind auch die Materialien, die beide Künstler verwenden: für die Rattengasse bei Richter, für die Stoffbilder der Cosima von Bonin, die mit hellen Fäden „Hate“ oder „Love“ auf dunkle Decken stickt und alte Quilt-Traditionen wieder aufleben lässt. Man ist irritiert durch das Geplapper eines weiß geschminkten Entertainers mit kesser gelber Feder am Hut – fast kommt die Atmosphäre einer Fußgängerzone auf. Verunsichert schaut man auf einen Mann mit weit aufgerissenen Augen: Er liegt im Bett, es ist vier Uhr früh, der Laptop läuft und die Füße sind offenbar kalt – der schwarzen Socken wegen. Viele der Installationen haben Wiedererkennungs- und Erinnerungswert.

Armer Teufel

Aber dann schmeißen Bonin und Richter all ihren Zivilisations-, Medien- und Entertainmentmüll in einem einzigen Kunsthallensaal zusammen – man ist froh um den laminierten Wegweiser, den Kuratorin Harriet Zilch vorbereitet hat: für den blinkernden Haufen und die Weihnachtspäckchen, für die singenden und wippenden Orchideenblüten und aufgeblasenen Helium-Elefanten. Bonins Lieblingsraketen stecken inzwischen in einem Betonmischer, und eine Holzkiste verspricht: Mit ihrem Inhalt kann man alle Probleme lösen, und das an einem Tag. Trump-Trash?

Es ist eine herrliche Ausstellung mit vielen Dechiffrierungsaufgaben, verzauberter Realität und Zivilisationskritik. Der rote Luzifer fragt im Fegefeuer dazu: „Warum immer ich?“ (Uwe Mitsching)

Abbildung: Cosima von Bonins "Missy Misdemeanour".    (Foto: Annette Kradisch)

Information: Bis 24. Juli. Kunsthalle, Lorenzer Straße 32, 90402 Nürnberg. Di. bis So. 10-18 Uhr, Mi. 10-20 Uhr.

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