Kultur

Ein Film-Still der Dauerschleife „Black Rain“ der Künstlergruppe Semiconductor mit Ruth Jarman und Joe Gerhardt. (Foto: Semiconductor)

16.11.2018

Das Transzendente darstellen

Das Geistige in der zeitgenössischen Kunst

Am Ende der Ausstellung darf sich das Publikum beteiligen. Ein Zettelblock aus schwarzen Quadraten liegt bereit, die Leute können mit weißen Stiften darauf malen oder schreiben, was ihre Definition des Geistigen sei. Manche haben intellektuelle Botschaften aufgeschrieben, andere gezeichnet, Weinflasche und -glas oder ein Gespenst beispielsweise, wieder andere antworteten knapp: „Bach“, „innere Führung“ und – sehr rätselhaft –„Herr Rizzi“. Dieser Schlusspunkt macht noch einmal klar: Diese Ausstellung im Museum für Konkrete Kunst in Ingolstadt, die sich unter dem Titel Über das Geistige in der Kunst mit den Nachwehen der programmatischen Avantgarde zu Beginn des 20. Jahrhunderts auseinandersetzt, ist sehr spielerisch geworden.

Der Titel bezieht sich auf ein Buch von Wassily Kandinsky. Darin beschreibt er die von ihm postulierte – sehr optimistische – Tendenz, dass Kunst immer nach vorne und oben strebt, und benutzt dazu das Bild eines Dreiecks, dessen „spitzeste, kleinste Abteilung nach oben gewendet“ sei: An diesem Punkt befindet sich die künstlerische Avantgarde. Weiter unten, groß und breit, hockt der weniger inspirierte Massengeschmack, hocken die Epigonen.

Aber: Weil immer alles in Bewegung ist, sind dort, wo sich heute die revolutionären Macher der Progression befinden, morgen schon Akzeptanz und Mehrheit. Eine radikal anti-konservative Haltung, die auch Kasimir Malewitsch 1915 bewegte, mit seinem „Schwarzen Quadrat“ die Kunst vom Gewicht der Dinge zu befreien und es dorthin zu hängen, wo sich sonst in Russland die Ikonen befinden: in den Eckwinkel des Raums.

Kreativität ohne missionarischen Eifer


Mit dieser Ikone der Moderne haben sich Künstler auseinandergesetzt, die Ergebnisse sind in Ingolstadt zu besichtigen. Eine Besichtigungsrunde, die Spaß macht: Utopie und Dogma sind beiseitegelegt, es herrscht die kreative Lust am Weiterspinnen. Lienhard von Monkiewitsch nutzt für seine dreidimensionalen Werke das schwarze Quadrat als Grundlage, um daraus zufallsgenerierte Objekte zu schaffen oder es mit zwei Schnitten in die Malewitsch’sche Vorlage zu bearbeiten. Andere Künstler wie Edith Dekyndt entfernen sich noch weiter. Sie hängt vier goldene Quadrate auf grünem Wollstoff an die Wand, eines ganz aufgespannt, die anderen nach dem Zufallsprinzip nur an einem Eck, als seien es Fahnen eines unbekannten Landes oder die Topflappen eines Riesen.

Julius Stahls „Cluster“ ist ein filigranes Gebilde aus frei im Raum schwingenden Metallplatten, aus denen heraus feine Klangwolken erzeugt werden. Mit Ton und Bild arbeitet auch die Künstlergruppe Semiconductor, die in ihrer Installation „Black Rain“ eine Filmschleife aus jenen Rohdaten zusammengestellt hat, die ein Satellit beim Umkreisen der Sonne gesammelt hat: Die Schwärze des Universums öffnet da gleich noch einmal einen ganz anderen Raum. Und vielleicht ist der bewohnt von den wunderhübschen, grazilen Lebewesen der „Hirayama Family“, die Brigitte Schwacke aus Draht komponiert hat. Da wendet sich konkrete Kunst in Räume des Phantastischen.
(Christian Muggenthaler)

(Bis 10. März. Museum für Konkrete Kunst Ingolstadt. Tränktorstraße 6-8, 85049 Ingolstadt. Di bis So 10-17 Uhr.)

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