Kultur

Performancemoment aus "Bis hierhin oder weiter?" von Susanne Schütte-Steinig. (Foto: Sammy Hart)

20.11.2020

Dem Tanz auf die Füße helfen

Großer Andrang der freien Tanzszene auf das Förderprogramm „Stepping out“

Lichter, große und kleine, am Ende des Corona-Tunnels. Da ist die Aussicht auf bald verfügbare Impfstoffe und gleich auch noch die hoffnungsvolle Initiative der Bundesregierung mit „Neustart Kultur. Hilfsprogramm Tanz“. Auch auf Länderebene gab es schon Unterstützung für pandemiegeschädigte Kulturschaffende. Die wurde allerdings nicht in jedem Notfall gewährt oder oft nur als Tröpfchen auf den heißen Stein. Die Bundesförderung stellt nun immerhin 20 Millionen Euro zur Verfügung.

Darin enthalten ist das mit drei Millionen Euro bedachte Modul „Nationales Performance Netz/NPN – Stepping out“. Durchorganisiert wird es vom Münchner Joint-Adventures-Chef Walter Heun, der als erfahrener Veranstalter bekannt ist. Von 1987 bis 1993 war er Geschäftsführer des von ihm mitbegründeten Vereins Tanztendenz München, von 2009 bis 2017 leitete er das Tanzquartier Wien. Seit 1990 initiiert er, teilweise auch in Co-Leitung, Fortsetzungsevents wie BRDance und die Tanzplattform Deutschland. Und seine Münchner Tanzwerkstatt Europa, eine Kombination aus Festival und Workshops, ist jährlich im Juli/August Treffpunkt für Tanzschaffende und -enthusiasten aus aller Welt.

Heun ist ein Vorwärtsdenker, der sich auch nicht von Corona unterkriegen lässt. „Wir hatten erfahren, dass Monika Grütters, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, eine Hilfsaktion plant“, erzählt er. „Und wir, das heißt der Dachverband Tanz Deutschland, die gemeinnützige Kulturorganisation Diehl+Ritter und Joint Adventures, hatten das Ziel, dem Tanz auf die Füße zu helfen. Es wurden drei sich ergänzende Fördermodelle entwickelt und dafür ein gemeinsamer Antrag gestellt.“ Jedes der drei Modelle habe seine eigene Fördersystematik, erklärt Heun.

Ungewöhnliche Bühnen

Speziell in „Stepping out“ gehe es vorrangig darum, die eingereichten Projekte konkret in Zusammenarbeit mit den Künstler*innen auf den Weg zu bringen. „Und zwar zum einen im digitalen Raum, da coronabedingt die Theater geschlossen sind. Zum andern wollen wir nicht-theatrale Räume für Tanz und Performance erschließen, wie zum Beispiel Parks, Galerien, Kinos oder Parkhäuser.“

Heuns Referentin für die Öffentlichkeitsarbeit, Laura Lang, fasst zusammen: „Gefördert werden bei ,Stepping out’ künstlerische Projekte in temporär bespielten öffentlichen Räumen; Projekte, die Produktions- und Distributionswege untersuchen, und Projekte mit Fokus auf Vermittlungsprogrammen, webbasierten Seminaren und ähnlichen Diskursformaten. Aber auch die Arbeit an Konzepten, die dann zu einem späteren Post-Corona-Zeitpunkt umgesetzt werden sollen, wird bezuschusst.“

Diese vier Förderbereiche bieten den Tanzenden die Möglichkeit, in unterschiedliche Richtungen zu denken und zu arbeiten. Zwei Vergaberunden sind schon durch, damit sind von den drei Millionen Euro 2,14 Millionen ausgegeben. Die dritte Runde folgt im Januar. Aber, so Laura Lang, abhängig von den zugänglichen Fördermitteln könne es auch noch eine vierte Runde geben.

Allein an diesem kompakten Förderprogramm, und überhaupt an Walter Heuns Karrierelaufbahn erkennt man: Sein Terrain sind das Planen, Organisieren und grenzüberschreitende Unternehmungen. „Mein Deutsch- und Griechischlehrer, der eigentlich Philosoph war, hat mir strukturiertes Denken beigebracht“, so Heun. „Seine Lehre war: ‚Wenn du wirklich etwas verändern willst, dann musst du an die Strukturen herangehen und nicht an die Auswirkungen.’“ Diese frühe Lektion ist bis heute von innerem Engagement befeuert: „Mir war es wichtig, mich jetzt, in dieser prekären Situation, einzubringen, ganz unabhängig von meinen eigenen Veranstaltungen. Aber Tatsache ist, wenn diese freie Tanzszene nicht weiter existieren kann, dann trifft uns das letztlich auch.“

Diese freie Tanzszene wartet nur darauf, wieder aktiv zu werden. Bis jetzt wurden über 700 Künstler*innen und etwa 400 Menschen im zuarbeitenden Bereich von Produktion bis Management und Technik gefördert. Gesichtet wurden die Anträge von einer dreiköpfigen Jury. Eine Mordsarbeit! Ein Prozess, der einerseits schmerzhaft war, wie Jury-Mitglied Sabine Leucht es wohl richtig beschreibt, weil aus der überwältigenden Menge an Anträgen nur 25 Prozent berücksichtigt werden konnten. Andererseits hätten sich dabei auch „die Vielfalt, die Qualität und der Ideenreichtum der freien Szene“ bewiesen. Und das kann nur positiv einstimmen auf die kommende Realisierung all dieser quer durch Deutschland entworfenen Projekte. Auch in Bayern hat man sich emsig beworben. In Nürnberg entwickelte Beate Höhn mit Über(-)Dinge oder ein Himmel voller Pasta ein „gegenständliches interaktives Tanzprojekt von 11 bis 111 Jahren“. Es findet statt im U-Bahnhof Hauptbahnhof und einem Schulgelände. Es soll dann ein medialer Kontakt zu den Tanzenden hergestellt werden: und zwar in einem Live-Stream, der jeweils aus der Nürnberger Tafelhalle zugespielt wird.

Kommunikation tanzen

In Augsburg hat Diana Wöhrl die einmonatige Choreoloop Residency initiiert. Elf Kunstschaffende, darunter sechs Tänzerinnen und Tänzer, werden gemeinsam in einem Haus leben und unter den Leitmotiven „Kommunikation“ und „Empathie“ ihr Bewegungsmaterial erarbeiten.

In Kempten war Choreograf Ralf Jaroschinski verantwortlich für die Performance Roots (Wurzeln) für Tanzprofis und Ausbildungsklassen aus dem Kari-Tanzhaus. Das Junge Theater Rosenheim e.V. stellt die Frage Neotopia – Wem gehört die Welt? Unter dem Gesichtspunkt unserer räumlichen Grundsatzverabredungen sollen Bewegungsabläufe untersucht und Klangräume entwickelt werden.
Auch Susanne Schütte-Steinig hat sich in ihrem Münchner Projekt Bis hierhin oder weiter? mit der wichtigen Corona-Auflage Abstand auseinandergesetzt. Die Protagonisten ihres kollektiven Experiments sind 20 sich fremde Menschen, die an einer vorbereitenden Einführung teilnehmen. Auf einem freien Platz in München müssen sie dann jeweils zu zweit die optimale Distanz zueinander finden. Die Performance wird zudem von oben gefilmt.

Covid-19, so die Erkenntnis, wird in der Bewegungskunst zu einer kreativen Herausforderung. Hoffen wir, dass die Ergebnisse möglichst bald (wieder) zu sehen sind. (Katrin Stegmeier)

Information: Bewerbungen für die dritte „Stepping out“-Runde bis 15. Januar 2021 unter steppingout@jointadventures

Abbildungen (von oben):
Walter Heun.   (Foto: Regine Hendrich)
Tanzaktion mit Abstand zueinander: „Who is Frau Troffea?“ von Ceren Oran auf dem Platz vor dem Münchner Lenbachhaus.   (Foto: Dance Festival)
Performancemoment vom Jungen Theater Rosenheim. (Foto: Michael Seemeier)


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