Kultur

Bohumil Hrabal war ein außerordentlicher Beobachter. Eine Ausstellung und ein Theaterstück erinnern an den tschechischen Schriftsteller. (Foto: Tschechisches Literaturmuseum)

27.03.2015

Depressiv und deftig

BSZ-Kolumnist Bernhard Setzwein hat ein Stück über sein Vorbild Bohumil Hrabal geschrieben – im Juni wird es in Regensburg uraufgeführt

Es ging ihr schon so, dass sie den Autor erst mit dem Regieauftrag zu entdecken begann, sagt Mia Constantine. Aber manche Entdeckungsreisen sind ja durchaus beneidenswert. So etwa jene, die der Erforschung des Kontinents Bohumil Hrabal dienen. Jetzt sitzt die junge Regisseurin in einem Café in Regensburg, unweit des Theaters am Haidplatz, wo am 6. Juni eine Uraufführung stattfinden wird – die Uraufführung einer Art Entdeckungsreise.
Ganz schön verblüfft habe es sie, sagt Mia Constantine, wie viel Literatur von und über Bohumil Hrabal es gibt, wie stark er verbunden war mit der tschechischen Avantgarde seiner Zeit, auch mit der tschechischen Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Jetzt also sitzt sie in diesem Café und erzählt über Hrabal. Über das Stück, das sie inszenieren wird und das sich dem Autor auf ebenfalls verblüffende Weise nähert: Hrabal und der Mann am Fenster von Bernhard Setzwein. Denn das Bühnenwerk nähert sich dem tschechischen Autor, der von 1914 bis 1997 lebte, vor allem in dessen Abwesenheit. Das Drei-Personen-Stück erzählt ein Leben aus der Perspektive des Nachlebens. Das fasziniert Constantine sehr: Dass der Text so viel Raum gibt für die bunten Details von Abwesenheit. Dass gerade dort, wo erst mal nichts zu sehen ist, beim zweiten Blick das Leben pulsiert. „Ich komme“, sagt Mia Constantine, die Regie an der Akademie für Darstellende Kunst in Ulm studiert hat und seit 2012 Regieassistentin am Stadttheater Regensburg ist, „da immer wieder auch bei John Cage raus.“
Stille, Abwesenheit, Einsamkeit und daraus folgend zugleich schärfste Aufmerksamkeit und hochgradiger Beobachtungsfokus, ein ganzer Kosmos in jeder Alltagsszene wie im Ameisenstaat unterm Laubdach, die Erforschung der großen Dinge im Kleinen, eine Entdeckungsreise im Sitzen, auf dem Wirtshausstuhl beispielsweise: In der Beobachtung des Alltags, in dessen literarischer Umschleichung, in dem Belauschen der Gespräche in den Kneipen, im Erforschen von Tragik und Witz im Leben des Manns mit dem Bier gegenüber, in all dieser Recherche- und Schreibstrategie ähneln sich Hrabal und Setzwein sehr. Und in ihrer oft stoischen, noch öfter ironischen Haltung den Dingen gegenüber, selbst den eigentlich schrecklichen.
Bernhard Setzwein, der Kolumnist und Autor der BSZ-Beilage Unser Bayern ist, erklärt ohne Umschweife, dass es allerlei Einflüsse des Schriftstellers aus Prag auf sein eigenes Werk gebe. Hrabal, der seinerseits auf der Prager Erzähltradition als Melange zwischen Jaroslav Ha(s)ek und Franz Kafka basiert, ist für Setzwein ein Meister: „Er kann so deftig und krass sein und benennt sämtliche Seiten des menschlichen Lebens. Man muss bei der Lektüre immer wieder schallend lachen. Und doch gibt es da wiederum auch eine depressive Seite.“
Hrabal war in seinem Leben, bevor er sich dazu entschied, freier Schriftsteller zu werden, vielerlei: Student, Gelehrter, Arbeiter. Er lebte im Prager Arbeiterviertel Libe(n) und in einem Wochenendhaus in Kersko. Zu seinen bekanntesten Werken zählen Romane wie Ich habe den englischen König bedient und die autobiografische Trilogie Hochzeiten im Hause. Nach 1968 erging für seine Werke Publikationsverbot, er wurde vom tschechischen Geheimdienst beschattet.
Mit einer derartigen Beschattungsszene beginnt auch das Stück, mit dem sich Bernhard Setzwein, der in Waldmünchen beheimatet ist, vor einem seiner großen Vorbilder verbeugt und das er dem Publikum nahebringen will. Auch in diesem Fall eine Entdeckungsreise im Sitzen: im Theaterstuhl nämlich. In sechs Szenen nähert sich Hrabal und der Mann am Fenster dem Leben und Nachleben eines Autors. Höhepunkt ist dessen Erscheinen im Weinrausch, durchaus eine hrabalgemäße Geisterexistenz. Es entspinnt sich ein Gespräch übers Leben und übers Schreiben.
Das Prager Museum der tschechischen Literatur und das Literaturhaus Berlin hatten im vergangenen Jahr zum 100. Geburtstag die Ausstellung Wer ich bin – Bohumil Hrabal konzipiert, die derzeit im Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg zu sehen ist. Wer also vor der Theaterpremiere in Regensburg mehr über Leben und Werk des Tschechen auf Schautafeln erfahren will, auf denen sich Dokumente und Texte dem Umfeld und der Biografie Hrabals widmen, kann das derzeit bei einer Entdeckungsreise durchs Literaturarchiv tun. (Christian Muggenthaler) (Premiere von Hrabal und der Mann am Fenster am 6. Juni im Theater am Haidplatz, Regensburg. www.theater-regensburg.de
Ausstellung Wer ich bin. Bohumil Hrabal: Schriftsteller – Tscheche – Mitteleuropäer bis 12. April. Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg, Rosenberger Straße 9, 92237 Sulzbach-Rosenberg. Di. bis Fr. 9 - 17 Uhr, So. 14 - 17 Uhr. www.literaturarchiv.de) (Schriftsteller Bernhard Setzwein ist gebürtiger Münchner, lebt aber seit vielen Jahren im oberpfälzischen Waldmünchen - Foto: Ursula Daschner Setzwein)

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