Kultur

Längst können Filmhelden und Filmkulissen am PC modelliert werden – so auch für den Film "Marvel’s The Avengers" (2012) der Anzug, der Superkräfte verleiht: Trixter hat ihn Hauptdarsteller Robert Downey jr. am Computer auf den Leib zugeschnitten. Die Hülle aus unzähligen Bytes gibt es fürs Kinderzimmer freilich auch aus einem Kunststoff-Guss: Hier eine Iron Man-Figur, die auf einer Spielwarenmesse in Japan präsentiert wurde. (Foto: dpa)

13.03.2015

Der Dreh danach

Michael Coldewey, der erste Professor für Visuelle Effekte und Animation an der Münchner Filmhochschule, will Studenten fit machen für eine boomende Branche

Fliegerangriff auf München: Sirenengeheul, Menschen hetzen mit eingezogenen Köpfen durch die Straße, entlang an Schuttbergen vor hochragenden Gebäudeskeletten. Qualm. Flammen züngeln aus Dachstühlen. Ein Kind reißt sich plötzlich von der Hand seiner Mutter – es sieht auf der anderen Straßenseite einen Hund. Bombeneinschlag. Ohrenbetäubender Lärm. Steintrümmer und Glassplitter fliegen umher. Ein Helfer der Hitlerjugend springt von irgendwo herab in das Chaos und auf den Knirps zu ...
„Machen Sie aus dieser Plotskizze einen Film über München im Zweiten Weltkrieg!“ Wenn der studentische Filmnachwuchs eine solche Aufgabe vorgesetzt bekäme, würde er wohl kollektiv denken: „Das können wir nicht!“ Dem ginge vielleicht folgendes Gedankenpuzzle voraus:
Wieviele Tage muss ein Straßenzug Münchens gesperrt werden? Wieviele LKW-Ladungen Bauschutt müssen angekarrt werden, um wenigstens die „Fassade“ einer Schutthalde aufzutürmen? Kann ein Werbeunternehmen die riesigen Leinwände anfertigen, auf denen die zerbombten Häuserzeilen projiziert werden? Oder sollte man doch irgendwo eine potemkinsche Filmkulisse aufbauen? Einen Kran für die Kamerafahrten, Nebelmaschinen für den Qualm, ein Pyrotechniker, ein Stuntman für den Sprung – aber ein Plüschhund in den Trümmern muss reichen. Wenn wir nämlich auch noch einen dressierten Vierbeiner brauchen ... Woher soll überhaupt das ganze Geld für die Filmcrew, die Darsteller und das Equipment kommen?

Bremsen lösen

„Und dann sitze ich mit am Tisch!“, sagt Michael Coldwey souverän lächelnd. Mit einigen wenigen Zauberworten wird er die kreativen Blockaden in den Köpfen all der künftigen Filmemacher lösen helfen: „Visuelle Effekte“ und Animation.
Es müssen nämlich nicht unbedingt historische Kulissen nachgebaut werden, da braucht es kein Heer von Statisten, den Stuntman kann man sich auch sparen, ebenso die Nebelmaschine. Und ein Plüschhund mitten im Trümmerfeld: Wie sieht denn das aus? Da soll schon ein verängstigt winselnder, zitternder Fiffy mit herzzerreißendem Hundeblick hocken.
All so etwas lässt sich auch aus Bytes am Bildschirm erschaffen und in real gedrehte Filme nachträglich integrieren. Das ist es, wofür Michael Coldewey künftig die Studierenden an der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) sensibilisieren wird: Der virtuelle Dreh am Computer soll immer mitgedacht werden – „das gibt dem filmischen Erzählen ganz neue Möglichkeiten, löst Ballastbremsen kreativer Höhenflüge.“

Das gewisse „Making of“

Seit dem 1. März ist Michael Coldewey (52) Professor für VFX und Animation (VFX ist das lautmalerische Kürzel für die englische Bezeichnung „visual effects“). Einen Dozenten für Digitale Postproduktion und VFX gibt es freilich schon: Christoffer Kempel wird die Studierenden auch weiterhin mitbetreuen. Nun wurde aber eigens ein Lehrstuhl an der HFF etabliert. Wobei nicht beabsichtigt ist, die HFF zur Schmiede künftiger VFX Supervisor zu machen: „Noch nicht“, sagt Michael Coldewey vorsichtshalber, denn seinem Pioniergeist als Lehrbeauftragter will er nicht von vorneherein Grenzen setzen – die ergeben sich primär aus dem fehlenden Etat: „Das würde viele Millionen kosten.“
Nein, sein Konzept, an dem er gerade noch bis zum Semesterbeginn in wenigen Wochen feilt, basiert darauf, die vier klassischen Disziplinen an der HFF – Drehbuch, Regie, Produktion und Kamera – zu unterstützen, auf den neuesten Stand des internationalen „Making of“ zu bringen. „Es geht mir vor allem darum, die Hochschule mit anderen Hochschulen und Akademien zu vernetzen. Wenn an der HFF in München eine Abschlussarbeit entsteht und man dafür zum Beispiel Animationen braucht, dann sollen die Macher hier wissen, an welche Fachkollegen anderer Hochschulen sie sich um Unterstützung wenden können.“
Vor allem: Auch wie man ein Storyboard für Visuelle Effekte und Animationen erstellt, will erst einmal gelernt sein. Selbst wenn an der HFF die Visuellen Effekte im großen Stil nicht selbst hergestellt werden, so müssen doch Regisseure zum Beispiel wissen, wie Schauspieler zu führen sind, die mit etwas spielen, das gar nicht vorhanden ist, weil es erst bei der Postproduktion in die Szene eingefügt wird. Die Phantasie von Kameraleuten ist wieder ganz speziell gefordert, wenn vor Greenscreen gedreht wird.
Es betrifft auch das rechnerische Kalkül eines Produzenten: Braucht es etwa in einer Straßenszene eine Ampel, die am realen Drehort dort nicht vorhanden ist, dann müssen nicht eigens Straßensperrungen initiiert und Attrappen installiert werden: Das geht auch genehmigungsfrei am Bildschirm. Oder im Fall der fiktiven Plotskizze: Auch das Engagement eines trainierten Filmhundes samt Begleitung erübrigt sich, denn ein Rechner generierter Vierbeiner lässt sich auch per Mausklick „dressieren“. Vielleicht kann man ihn sogar archivieren und später in einem anderen Film „wiederbeleben“?
Eine solche Datenbank voller Tiere, Wassertropfen und Meereswellen, Kerzenflackern und Feuersbrünsten: Schön wäre es, der Experte Coldewey schränkt aber ein: „Jede Filmszene hat ihre eigenen Bedingungen, muss individuell gestaltet werden. Einem Animator oder Modelleur am Bildschirm geht es nicht anders als einem Schauspieler. Wenn der einmal den Hamlet eingeübt hat, spielt er ihn nicht zeitlebens auf allen Bühnen gleich.“

Kurzlebiges Archiv

Er deutet auf ein Filmplakat an der Wand: Robert Downey jr. springt einem als Iron Man in The Avengers (2012) entgegen: „Seinen Anzug, der ihm Superkräfte verleiht, haben wir ihm bei Trixter quasi virtuell auf den Leib geschneidert. Jede Bewegung muss diese Hightech-Rüstung, mit hohem Programmieraufwand verfeinert, mitmachen. Man kann sie nicht einfach jemand anderem ,überziehen’. Aber selbstverständlich wächst mit jedem solcher Projekte das Wissen, wie es beim nächsten Mal noch besser und schneller gehen könnte.“ Derzeit ist Teil 2 des Action- und Science-Fiction-Films in Bearbeitung.
Das VFX-Metier ist von rasanter technischer Weiterentwicklung geprägt – Michael Coldewey erzählt aus der Praxis, er ist Gründer und einer der beiden Inhaber von Trixter, einem der Top-Unternehmen in Sachen Visual Effects und Animation: „Für eine BBC-Serie haben wir Wölfe animiert. Als die zweite Staffel anstand, mussten wir die Tiere völlig neu bauen, die erste Generation sah inzwischen recht veraltert aus, weil man zu sehr sah, dass es künstliche Kreaturen waren. Für die zweite Staffel gelang uns dann die Animation so gut, dass sogar Zuschauer beim Sender anriefen und wissen wollten, in welchen Gehege man denn die Wölfe sehen könne. Für die dritte Staffel konnten wir diese Modelle dann tatsächlich wiederverwenden, respektive den neuen Anforderungen schneller anpassen. Wenn man so will, haben wird damit unseren Ur-Wolf im Archiv. Für einige Zeit zumindest.“
Charaktere animieren, egal ob animalische oder menschliche: Das ist freilich die Königsdisziplin der VFX – und die Spezialität von Trixter, das seinen Firmensitz unweit der HFF in der Schwabinger Amalienstraße hat (Dependancen in Hollywood, Kanada und Berlin). Dass Trixter-Chef Coldewey nun Professor an der HFF ist, ergab sich aber nicht der räumlichen Nähe wegen: „Das Filmvolk ist eine überschaubare Familie“, man kennt sich – noch dazu, weil es ja HFF-Politik ist, dass die Lehrenden auch mit beiden Beinen in der Praxis stehen. Die Leitung des neuen Lehrstuhls war ausgeschrieben – Michael Coldewey hat davon eher zufällig während der Betreuung einer HFF-Abschlussarbeit, einem reinen Animationsfilm, in seinem Studio erfahren.
Verstärkung in der Trixter-Geschäftsführung gibt dem 52-Jährigen nun Raum für die neue Herausforderung: „Der Aufbau eines Studiengangs ist Pionierarbeit, und die hat mich schon immer gereizt. Ich war der Erste in Deutschland, der einen rein computeranimierten Film gemacht hat, auch der Erste, der Filme von 2 D in 3 D umgewandelt hat.“
Aber nicht nur, was die technische Seite seines Metiers angeht, brennt er auf die Lehrtätigkeit an der HFF: Es geht ihm auch um eine politische „Mission“. Mit der HFF im Fokus möchte er dafür werben, dass auch hier schon längst ein bedeutender VFX-Marktplatz besteht.
„ARRI, Scanline und Trixter sind Münchner Unternehmen von Weltbedeutung. Man kennt uns in der ganzen Filmwelt, nur hier vor Ort ist diese Bedeutung noch nicht voll erkannt. Es bleibt an uns Dreien hängen, für München als hochqualifizierten Produktionsort von Visuellen Effekten zu werben. Wir brauchen aber dringend politische Unterstützung“, fordert Michael Coldewey.
Das „typisch Deutsche“, sein Licht unter den Scheffel zu stellen, werde in Hollywood nicht als noble Zurückhaltung registriert, sondern führe schlicht zum Ignorieren. Bayern müsse mehr für die Außenwirkung seiner Filmwirtschaft tun: „Ganz Hollywood fährt BMW und Audi. Man kennt das Oktoberfest. Das sind feste Marken aus Bayern, die man schätzt und mit hoher Wertigkeit, Qualität und Originalität verbindet. Aber was die Filmindustrie angeht, verbindet man noch immer zu wenig mit Bayern.“

Förderung ist zu kompliziert

Zum einen müsste sich Bayerns Filmwirtschaft mehr und prominenter auf dem internationalen Filmmarkt, bei Festivals und Messen präsentieren. Und dann wären vor allem die vielen hemmenden Regularien der deutschen Filmförderung zu überarbeiten: „Zu kompliziert“, kritisiert Coldewey, „selbst für uns, geschweige denn für ausländische Firmen.“ Vor allem Bestimmungen zum Produktionsort (Geld nur für hier Gedrehtes) seien nicht mehr zeitgemäß, das Prinzip der regionalen Förderung sei überholt. „Trixter hat seinen Hauptsitz wegen meiner persönlichen Verbundenheit hier in München. Aber wir sind Global Player und stehen nicht bloß im bayerischen oder deutschen, sondern im internationalen Wettbewerb.“
An den großen Hollywood-Blockbustern ist Trixter oft als einer von bis zu 15 Spezialisten für VFX beteiligt – um dafür Filmförderung zu bekommen, sind schon artistische Klimmzüge nötig. „Und die Zeit habe ich nicht! Ich kann nicht wochen- oder monatelang auf Genehmigungen warten, das machen die Auftraggeber nicht mit. Die verlangen nämlich gerade von uns in der VFX-Branche schnelle Reaktionen.“ „Warum gibt es bei uns keine automatische Steuervergünstigung für die Filmwirtschaft?“, überlegt Michael Coldewey. „In Kanada zum Beispiel gibt es für die Branche bürokratielos einfach 35 Prozent tax free.“

Stars an die HFF holen

Aber er hält nicht viel vom Verharren in Klagen, als optimistischer Macher freut er sich über aktuelle Signale gemäß der Devise „steter Tropfen höhlt den Stein“: Erstmals gibt es auch vom FilmFernsehFonds (FFF) Bayern Geld für VFX und Animation – „das ist zwar noch nicht so viel, aber die Summe interessiert momentan nicht. Es geht erst einmal um den psychologischen Effekt“. Und tags zuvor erst war Wirtschaftsministerin Ilse Aigner bei Trixter: „Wir haben uns letztes Jahr bei einem Podiumsgespräch zur Filmwirtschaft kennengelernt. Da ging es auch um die Probleme speziell unserer Branche. Ich finde es toll, dass sie sich nun vor Ort ein Bild von unserem doch zunehmend bedeutender werdenden Spezialgebiet gemacht hat. Wir bieten der bayerischen Filmwirtschaft ja neue Chancen zur Profilierung.“
Und künftig wird, so Michael Coldeweys programmatische Grundidee für sein neues Lehramt, gerade die HFF das Aushängeschild für VFX und Animation in Bayern werden. Workshops, Festivals, einschlägige Konferenzen und Leistungsshows... Einen „Animation Day“ gab es gerade erst, beim großen Filmfest München soll die HFF der zentrale Anlaufort für die VFX-Szene sein. Deren Stars will Coldewey hierher holen. Er selbst lebt gut sechs Monate im Jahr in Hollywood, er ist selbst ein fester Name im Who is who? Auch Blockbuster-Filmemacher werden kommen und verraten, wie sie in VFX „denken“, verspricht Michael Coldewey: „Roland Emmerich hat schon definitv zugesagt.“ (Karin Dütsch) Abbildungen: Michael Coldewey (52) hat im Grafikstudium noch gelernt, wie man „analog“ Filmtricks erstellt – doch dann hat er die faszinierenden Möglichkeiten der Computeranimation für sich entdeckt. (Foto: Trixter) Trixter, eine Traumfabrik für Hollywood-Blockbuster in einem Schwabinger Hinterhof: Die Sammlung alter Filmprojektoren erinnert an das alte Handwerk, wie man einst die Bilder zum Laufen brachte – doch die auf drei Etagen verteilten PC-Plätze demonstrieren: Längst können Filmhelden und Filmkulissen am PC modelliert werden. (Foto: Trixter) Sie müssen wie Schauspieler agieren: Matthias Reiche, Simone Kraus und Ümit Dönmez sind drei der Animateure bei Trixter; Simone Kraus ist Ko-Geschäftsführerin und Teilhaberin der Firma. (Foto: Trixter) Bella im Sat1-Fernsehfilm Meine allerschlimmste Freundin wurde von Trixter animiert und nachträglich in den Film „eingeschleust“. Eine Herausforderung ist das nicht nur für Bytes-Jongleure: Auch Regie, Kamera und Darsteller müssen sich beim realen Dreh mit einer virtuellen Kollegin angeregt austauschen (Sendetermin: 17. März). (Foto: Wiedemann & Berg/Arvid Uhlig) Der Postproduktion-Bereich Visuelle Effekte und Animation boomt: Das bietet auch dem Filmstandort Bayern vielversprechende Perspektiven - die Michael Coldewey Wirtschaftsministerin Ilse Aigner erklärte, als sie vor kurzem Trixter besuchte. (Foto: Trixter)

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