Kultur

Danton (Mathias Hausmann) ist verstrickt in Lügen und Intrigen – seine Gattin Julie (Sona MacDonald) zitiert derweil Texte voller Weltschmerz von Georg Büchner. (Foto: Christian Pogo Zach)

19.10.2018

Die Macht der Horrorclowns

Gottfried von Einems „Dantons Tod“ am Gärtnerplatz setzt auf aktuelle Bezüge

Sie ist kläglich gescheitert. Die Revolution frisst ihre Kinder. Ihre Kampfparolen fallen von der Videoprojektion herab. Sie wirken sinnentleert, weil sie die Wirklichkeit eingeholt hat. Die Revolution mutiert zu willkürlichem Terror. Aus ihren Vorkämpfern sind Demagogen und Terroristen geworden. Das Volk lässt sich blenden.
Diese abgründige Sozialstudie zeichnet Gottfried von Einem in seiner Oper Dantons Tod, die am Münchner Gärtnerplatz-Theater Premiere hatte. Im August 1947 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt, vertont der österreichische Komponist hier nicht einfach das gleichnamige Theaterstück von Georg Büchner. Vielmehr nutzt Einem die Wirren der Französischen Revolution, um den Finger in die Wunden seiner Zeit zu legen. Schon Büchner tat das: 1835 vollendete er sein Drama und wollte damit auf soziale Missstände in Deutschland und die drohenden Gefahren eines total entfesselten Umbruchs aufmerksam machen.

Missbrauchte Ideale

Genau dafür steht die Zeit der Jakobiner-Diktatur in Frankreich – bald folgt in Deutschland die Revolution von 1848. Büchner zeigt auf krasse Weise auf, wie schnell freiheitliche Ideale zu zynischem Terror missbraucht werden können. In diesem Horror-Szenarium kann das denkende Individuum nur eingeschränkt handeln, mehr noch: Es geht in der kruden, verrohten, gänzlich verblendeten Masse jäh unter.
Für Einem ist dies ein Spiegelbild seiner Zeit: in Gestalt von Nazi-Terror und Zweitem Weltkrieg. Genau hier knüpft die Regie von Günter Krämer an. Seine Gärtnerplatz-Inszenierung der Oper möchte deutlich machen, dass es Parallelen zu unserer Gegenwart gibt. Schon allein die Bühne von Herbert Schäfer ist postmodern und heutig entworfen. In den Kostümen von Isabel Glathar wirken hingegen Danton (Mathias Hausmann) und sein Gegenspieler Robespierre (Daniel Prohaska) wie Populisten unserer Zeit – samt Kappe und Sonnenbrille.
Sie hetzen das Volk auf, spalten mit Lügen und Intrigen. Sie wirken wie die politischen Gruselclowns unserer Zeit, die allenthalben an die Macht streben. Insofern war die Auswahl dieses Stoffes als erste neue Opernproduktion der Gärtnerplatz-Saison recht kühn: Auch die Wahl in Bayern, die zeitgleich über die Bühne lief, war geprägt von Populismus und Gegenreaktion.
In seiner Inszenierung macht Krämer deutlich, dass es wenig Grund zu Optimismus gibt. Hierzu lässt er Sona MacDonald als Dantons Gattin Julie zusätzlich Weltschmerz-Texte von Büchner sprechen. Sonst aber sind es vor allem Alexandros Tsilogiannis als Camille, der treue Weggefährte von Danton, sowie Mária Celeng als dessen Gattin Lucile, die in dieser Produktion unter den Solisten glänzen.
Die eigentlichen Sieger sind jedoch der Chor und das Orchester des Gärtnerplatz-Theaters. Unter der Leitung von Anthony Bramall gestalten sie packende Hörkrimis. Bei der Gerichtsverhandlung von Danton singt der Chor von den oberen Rängen herab: ein Raumklang mit ungeheurer Sogwirkung. Ein Tamtam-Schlag lässt die Köpfe rollen, und Lucile opfert sich mit den Worten: „Es lebe der König!“ Vom Theaterhimmel flattern Flugblätter herab. „Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!“, ist zu lesen. Das ist die nackte Wahrheit. (Marco Frei)

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