Kultur

Vladimir Jurowski während seiner Spanien-Gastreise. (Foto: Peter Meisel)

10.12.2021

Die Musik wachküssen

Auf Tuchfühlung zu Vladimir Jurowski: Der neue Generaldirektor der Bayerischen Staatsoper legt Wert darauf, Musik immer wieder neu lebendig zu machen

Er macht sich rar in München. In seiner ersten Spielzeit als Generalmusikdirektor an der Bayerischen Staatsoper dirigiert Vladimir Jurowski nur wenige, sorgfältig ausgesuchte Projekte. Als erste Premiere der neuen Spielzeit gab es Die Nase von Dmitri Schostakowitsch mit ihm am Pult. Die nächste und zugleich letzte dieser Saison steht erst im Juni an. Dazwischen bleibt nicht gerade viel.

„Das war auch so geplant“, so Jurowski. Das bayerische Kunstministerium sei damals nicht seinem Wunsch gefolgt, in seiner ersten Saison in München noch kommissarisch als GMD zu wirken und erst in der zweiten Saison voll einzusteigen. „Es wurde darauf bestanden, dass ich den Titel sofort ganz akzeptiere. Wir haben uns darauf geeignet, dass ich so viel wie möglich mache.“

Abstand gewinnen

Er habe etwas Luft gebraucht nach seinem Weggang aus London von den dortigen Philharmonikern sowie vom Swetlanow-Sinfonieorchester in Moskau und dem George Enescu Festival in Bukarest. Gleichzeitig ist da noch das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB): Seit 2017 wirkt Jurowski dort als Chefdirigent. „Ich hätte es sehr unfair gegenüber dem RSB empfunden, mich einzig auf München zu konzentrieren.“ Wer Jurowski in dieser Saison umfassend erleben will, muss also nach Berlin zum RSB reisen. Mit dem Orchester war er vor wenigen Tagen zudem auf Spanien-Tour: die optimale Gelegenheit, ihn als Musiker besser kennenzulernen, die Bayerische Staatszeitung war exklusiv dabei.

Was zeichnet Jurowski als Dirigent aus? Wie arbeitet er mit Orchestern? Es ist nicht einfach, ihn zu fassen. Auf den Proben ist ein Dirigent zu erleben, der ganz genau und akribisch an Details feilt. Im Gespräch betont er eine „Demut dem Werk gegenüber“ und ein „geistiges Dienen“. „Das ist mir persönlich sehr nah und wichtig.“ Was wie eine hohle Phrase klingt, von vielen Dirigenten oft und gern gesäuselt, ist bei Jurowski authentisches Programm. Sein Findungsprozess setzt sich manchmal noch im Konzert fort. Als Musiker möchte Jurowski nicht stehen bleiben. Eine finale Wahrheit gibt es in diesem Sinn für ihn nicht.

Das hängt auch mit der Natur des Dirigierens an sich zusammen. Jurowski spricht von der „Fähigkeit, ein Musikstück zu rekonstruieren“. „Die Musik ist vom Komponisten erschaffen und schlummert unter dem Papier. Wir können das Stück natürlich nicht neu komponieren, aber es wird immer wieder neu lebendig. Es ist wie Dornröschen: Sie wird zum Schlaf gelegt und muss jedes Mal wachgeküsst werden.“ Genau das versteht er als seine Aufgabe.

„Dass ich das nicht alleine tue, sondern mit dem Orchester, ist ein sehr wichtiger weiterer Aspekt.“ Was diese Zusammenarbeit konkret bedeutet, das erklärt Jurowski mit Worten von Gennadi Roschdestwenski. Den 2018 verstorbenen Dirigenten nennt er seinen großen Mentor – neben seinem eigenen Vater Michail Jurowski. Er zitiert eine „schöne Faustregel“, die Roschdestwenski den Orchestermitgliedern stets nahegelegt habe. „Alles, was in den Noten steht, ist euer Verantwortungsbereich. Alles, was nicht in oder zwischen den Noten steht, das ist mein Verantwortungsbereich.“ Für Jurowski heißt das: „Ich dirigiere nicht das Offensichtliche, was ohnehin in den Noten steht.“

Gerne bemüht er das Bild einer Thermoskanne, um seine Arbeit als Dirigent gemeinsam mit Musiker*innen zu erklären. „Entweder man füllt die Kanne voll bis zum Rand, schließt sie, und sie schwappt über. Oder aber man füllt sie nicht ganz bis zum Rand, damit sie nicht überschwappt, und gießt lieber noch etwas Wasser hinzu. Genau das ist wie beim Dirigieren: Wenn man seine Vision bis ins letzte Detail vorher verplant hat, dann schwappt es über. Wenn man aber etwas Luft und Spielraum lässt, kann man Neues hinzufügen.“

Er habe das über die Jahre gelernt. „Ich plane meine Aufführungen nicht bis ins letzte Detail durch. Natürlich weiß ich, was ich will. Ich denke aber, dass die Musik von diesem kleinen Spielraum profitiert.“
Ein Kontrollfreak ist er also nicht. „Mir ist lieber, wenn ich lockerlassen kann. Wenn ich ständig die Lokomotive spiele, werde ich naturbedingt sehr fordernd. Man ist nur der Sender. Aber ich möchte ab und zu auch ein Empfänger sein.“

Freiheit lernen

Für Musizierende ist dieser Spagat nicht einfach. Von RSB-Mitgliedern aus Berlin ist zu hören, dass sie sich erst einmal an diese Freiheit und gleichzeitige Detailarbeit gewöhnen mussten. Mit Marek Janowski wirkte dort zuvor eine eher autoritäre Persönlichkeit. Dieser Gewöhnungsprozess ist auch aus München von Mitgliedern des Bayerischen Staatsorchesters zu hören. Der Blick nach Berlin offenbart aber auch: Wenn alle an einem Strang ziehen, kann Großes entstehen.(Marco Frei)

 

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