Kultur

Der Wassermann wird zum schnöseligen Macho (Günther Groissböck) – Rusalka (Kristine Opolais) erleidet in Marin Kusejs Interpretation das Schicksal der Natascha Kampusch. (Foto: Kampusch)

29.10.2010

Die Nixe verlässt ihr Verlies

Zur Neuinszenierung von Dvoráks "Rusalka" im Nationaltheater

Bruno Bettelheims Appell „Kinder brauchen Märchen“ verhallt bei Martin Kusej ungehört und für Dvoráks Musik des „Lyrischen Märchens“ Rusalka sind seine Ohren taub. Warum er trotzdem die Mär von der nach Menschenlos sich sehnenden Nixe inszeniert hat? Aber er hat sie ja gar nicht inszeniert, sondern eine neue Handlung erfunden. Kusej erzählt, inspiriert von der Passion Natascha Kampuschs und dem Amstettener Inzestdrama, von einem eingekerkerten Mädchen, das sich eine Ersatzwelt schafft, in der sie das Märchen Rusalka „sich und anderen vorspielt, um sich damit selber zu erklären“. Über dem ehrenwerten Versuch, mit diesem Interpretationsabenteuer menschliche Gemeinheit und vor allem männliche Brutalität anzuprangern, vergisst er ganz, wie gewalttätig er mit dem Kunstwerk umgeht, sich bei den Gestalten die Rolle des Demiurgen anmaßt. Der urige Wassermann – fürsorgliche, zuweilen polternde Vaterfigur – wird zum schnöseligen Macho mit humanen Anwandlungen (Günther Groissböck ausdrucksmächtig in dieser ins Extrem getriebenen Ambivalenz). Er hält sich „Nixen“ in einem Röhrengehege unterm See, kujoniert, vergewaltigt sie, danach wirft er ihnen Essensbrocken aus einer Supermarkttüte zu. Haben Rusalkas Schicksalsgefährtinnen (und ihre Kinder) jeden Lebensmut verloren, außer wenn sie, die duckend hingenommenen Erniedrigungen verdrängend, betörend wohllautende Terzette anstimmen – so muckt Rusalka auf. Noch imaginiert sie sich im Lied an den Mond eine Tischlampe als Gestirn, aber mit deren Zersplittern geht auch ihre Illusion in Scherben: Sie klettert aus dem Verlies.
Da droben aber ist’s auch fürchterlich. Hätte sie nicht als Preis ihrer Menschwerdung der Hexe Jezibaba (mit Wagner-Mezzo prunkend Janina Baechle) Sprachlosigkeit geloben müssen, tät’s ihr die Red’ verschlagen. Da rammelt der Förster beim Zerlegen der Reh-Attrappe den schrubbenden Küchenjungen, der Prinz (Klaus Florian Vogt, lyrisch, mühelos strahlend) geht der zu „Wer wogt, gewinnt“ verdonnerten Fürstin an und unter die Wäsche (auch vokal verlockend Nadia Krasteva). Das Ballett mit gehäuteten Rehen als Tanzpartner bringt ein Alzerl Sodomie in das sonst auf heterosexuelle Cochonnerie fixierte Treiben. Bis zum Finale haben alle den Verstand verloren, in der Irrenanstalt ersticht sich der Prinz höchstpersönlich und Rusalka wartet auf die nächste Arztvisite. Thomas Hanus, seine begeisterten Musiker und Sänger ließen sich nicht weiter stören. Der hochbegabte Jungstar musizierte in Rusalka das Meisterwerk eines aus Böhmens Hain und Flur stammenden Vetter Schuberts in melodischem Überschwang, mit Farben und Feuer, die Sehnsucht, die Trauer, die Abgründe des Herzens – und die optisch verweigerte Naturidylle. Schade, dass es dem Regisseur am jeglichem Gefühl für diese tiefromantische warmherzige Musik mangelt. Denn er versteht sein Handwerk, gestaltet packend Konfrontationen, weiß Sänger zu führen, zumal er in der schönen Lettin Kristine Opolais eine bühnenpräsente Singschauspielerin ersten Ranges hat. Ihr Singen ist von arglos romantischer Ehrlichkeit, zärtlich, schwärmerisch, leuchtend. In einer der Musik korrespondierenden Inszenierung würde sie verzaubern. (Klaus Adam)

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