Kultur

18.02.2011

"Die tote Stadt" steckt noch voller Leben

Ernö Weil inszeniert Korngolds Oper in Regensburg

Intendant Ernö Weil kennt die Dimensionen und Möglichkeiten seines Theaters am Bismarckplatz in Regensburg. Und er weiß, wie man den üppigen Staatstheater-Reißer Die tote Stadt zum Kammerspiel reduziert und dabei viel Schnitzler und Strindberg in Erich Wolfgang Korngolds Psychostudie von 1920 realisiert. Weil inszeniert das Erfolgsstück der Weimarer Zeit mit seiner gelegentlich kruden Mischung von Sex and Crime, Psychologie, Verlangen und Versagung, mit seinen Rückgriffen auf die Erfolge von Richard Strauss und seiner sentimentalen Nachkriegsmelodik („Glück, das mir verblieb“) als durchaus passende Kammerversion.

Exaltierte Tonsprache

Witwer Paul hat für seine unvergessene Marie aus dem Wohnzimmer eine klaustrophobische Gruft gemacht: mit Friedhofskerzen, Blumen, Bildern, sogar einer Ausstellungsvitrine für ihren letzten blonden Haarschopf. An der Tänzerin Marietta, die zufällig hereinkommt, entzündet sich eine phantastische Traumorgie bis hin zu Vergewaltigung und Mord, die das ganze Fin-de-siècle-Amalgam von Eros und Thanatos, Trieb und Sublimation, Fronleichnam und Karneval aufarbeitet. Kitsch, Effekt, Dekoration und schreckliche Reime: Das alles wird hinweggeschwemmt durch die Kanäle der „toten Stadt“ Brügge, wenn Paul und Marietta ihre Glücksmelodie anstimmen.
Was auf den Staatstheaterbühnen von München oder zuletzt Nürnberg als großes Spektakel möglich war, ist in Regensburg geschickt auf den Zwischenvorhang und seine Projektionen von Fronleichnamspomp und Pauls Schuldgefühlen gebannt. Für den Zwischenakt in den verschwiegenen Gassen von Brügge, für die amphibischen Lemuren und die Vorstellung von Mariettas Schauspiel- und Tanztruppe hat sich Weil von der Bühnenbildnerin Karin Fritz rotierende Bühnenwände bauen lassen, die durch ständige Bewegung immer neue Durchblicke im Wechsel von Offen- und Verschwiegenheit ermöglichen. Dort ist auch das hübsche Liedchen des Pierrots (Seymur Karimov) auf einer pendelnden Silberkugel am richtigen Platz – einst ein Paradestück von Hermann Prey, eine Zwischenwelt am Rande des Kitsch.
Mit „Kammerspiel“ kann man allerdings der Partitur mit ihrer exaltierten Tonsprache in Dauer-Emphase nicht beikommen. Generalmusikdirektor Tetsuro Ban erarbeitet sich nach Lohengrin mit Die tote Stadt ein weiteres Stück groß dimensionierter deutscher Operntradition. Und er tut es mir dem Philharmonischen Orchester mit dem nötigen Effekt und mit einem üppig besetzten Apparat. Rücksicht auf die Sänger braucht er nicht zu nehmen. Den geradezu mörderischen Anforderungen der Partien von Paul und Marietta/Marie stellen sich mit überzeugendem Erfolg Wolfgang Schwaninger und Allison Oakes. Er (trotz angesagter Indisposition) mit nimmermüder tenoraler Strahlkraft und überzeugender Intensität, sie mit strahlenden, wenn auch etwas monochromen Spitzentönen und angemessener Spielfreude.
Weil führt sie und die dezent agierenden Nebenfiguren in handwerklicher Perfektion und erreicht eine geradlinige Erzählstruktur des verworrenen Stücks, die nie im Unklaren lässt, wo Realität aufhört und Traum beginnt. Dass er sich dabei im Mittelakt der Mittel des expressionistischen Stummfilms bedient, macht historisch Sinn und erhöht die suggestive Wirkung dieses eklektischen Opern-Psychogramms. (Uwe Mitsching)

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