Kultur

Jaime Villalba-Sánchez spielt in Malinche auch die Mutter Gottes. (Foto: Ginsburg)

20.05.2011

Eine multiple Geschichtsstunde

„Fake to Pretend“ geben Uraufführung von „Malinche“ an der Bayerischen Theaterakademie

Historisches mit hypermodernen Mitteln herbeischummeln – das ist eine der Macharten von „Fake to Pretend“. So nennt sich eine Gruppe von jungen Künstlern, die mit ihren Produktionen beweist: Die angehenden „Theatraliker“ der Bayerischen Theaterakademie kommunizieren über ihre jeweiligen Jahrgänge hinweg. Dabei zeigen sie vielfältige Talente sowohl in bildender als auch in sprachlicher Kunst, die sie über ihren Fachbereich hinaus einsetzen können. Daraus sind die EigenArten entstanden.


Weiter Problemhorizont


In dieser neuen Reihe sollen gesellschaftlich relevante Themen in experimentellen Formen entwickelt werden und zur Aufführung kommen. Malinche hieß die erste einstündige Uraufführung im Akademietheater und machte mit einer anderen Seite der spanischen „Conquista“ Mittel- und Südamerikas bekannt: Cortés und seine 500 Eroberer brauchten nämlich sprachliche Hilfe und Insider-Wissen. Unter den ihnen geschenkten 20 Frauen war eine, die nicht nur Maya und Nahuatl sprach, sondern so sprachbegabt war, dass sie schnell Spanisch dazulernte.
Malinche wurde Cortés’ Übersetzerin, Geliebte, christliche Missionarin, Mutter eines Kindes, eines ersten Mestizen, der gleichsam als Stammvater der Mexikaner gilt. Andererseits wird sie als „Verräterin“ an der aztekischen Sache eingestuft. „Malinche“ ist deshalb bis heute auch ein Schimpfwort, mit dem korrupte Politiker und leichtlebige Mädels bezeichnet werden.
Diesen weiten Problemhorizont fächerten nun drei junge Männer in flüssig vielfältiger Regie von Daphne Ebner auf. Dass es ein abgründig kess-frecher Abend wurde, war dem Glücksfall zu danken, dass mit Jaime Villalba-Sánchez ein hispanisches Spieltalent voll schlitzohrigem Verwandlungscharme im Mittelpunkt stand, der „fake to pretend“ x-fach „täuschend vorgab“: Fremdenführer, Historiograph, Mutter Gottes, Kleinbauer, Nachtclub-Hure in rasantem Wechsel.
An seiner Seite glänzte Nahuel Häfliger als ironisch „gediegener“ Übersetzer des dauernd „unangenehm“ deftigen Gossen-Spanisch für uns Bildungsbürger; aber auch als Sex-Protz, zusammen mit Villalba-Sánchez als temperamentvoller Nachtclub-Sänger.
Dann gab es kleine Szenen einer Geschichtsstunde, dann einer herrlich ironisierten „History-Doku im TV“, in denen sich Häfliger zusätzlich als überlegener „Weißer“ aufführte, der anordnete, drangsalierte – und am Ende auch folterte. Das traf vor allem Benno Heisel, das mediale Zentrum des Abends. Was er am Klavier, an Digitalkamera, Beamer, Laptop und Percussion-Synthesizer aus Text, Musik und vielfältigem Geräusch formte, geriet eben nicht zu technikverliebtem Firlefanz. Stattdessen gelang ihm ein durchgehender, dramaturgisch sinnvoller „Sound-Track“. Allerdings erntete er dafür als „Dienstleister“ nur gesteigertes Gehetztwerden, körperliche Züchtigung, am Ende Demütigung und blutige Folter. Ein 500 Jahre altes Thema wurde so zunächst „eigen“ und „polystilistisch“ theatralisiert. Es bekam aber auch unaufdringlich aktuelle Züge: vom eurozentristischen Blick auf Mittelamerika bis zum alt-neuen Macho-Thema der Frau als Heilige und Hure. Es gab begeisterten Beifall – und einen ersten Eindruck von fach- wie jahrgangsübergreifender jugendlicher Kreativität, der auf weitere EigenArten neugierig macht. (Wolf-Dieter Peter)

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