Kultur

Sol Gabetta war die diesjährige artist in residence des Kissinger Sommers. Sie begeisterte unter anderem mit dem Cellokonzert e-moll von Edward Elgar. (Foto: Uwe Arens)

12.07.2018

Entfesselte Schicksalsmächte

Höhepunkte beim Kissinger Sommer

Große Orchesterkonzerte prägen den Kissinger Sommer, hat er doch das Glück, über wunderbare Säle im Regentenbau zu verfügen. Dort im akustisch ausgezeichneten Max-Littmann-Saal eröffnete 2018 die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen (das diesjährige Festival-Orchester) und ihr Dirigent Paavo Järvi zusammen mit Sol Gabetta (diesjährige artist in residence) den Reigen hochkarätiger Konzerte.

Nach einer fulminanten „Rosamunde“-Ouvertüre von Schubert erklang ein eher melancholisches Werk, das Cellokonzert e-moll von Edward Elgar, und kaum jemand anderes als Sol Gabetta kann es so wunderbar singend, so beseelt spielen wie sie. Nichts wirkte da dick, wenn auch energiegeladen, von innerem Elan bestimmt, alles schien wie aus einem Fluss, klar, schwebend, in selbstverständlichem Dialog mit dem Orchester; immer wieder schälte sich das Cello schlank und doch glänzend aus dem Gewebe der anderen Stimmen heraus. Virtuoses schien nur beiläufig eingebunden, alles war geprägt von melodischem Träumen.

Gebändigtes Aufbegehren

Danach lebte die 4. Symphonie von Brahms, von Järvi mit ausgreifenden Bewegungen geleitet, von vielen, selten so deutlich markierten Entwicklungen, von einem gebändigten Aufbegehren, von innerer Spannung, fein herausgearbeiteten Momenten, die immer wieder erstaunlich Neues hören ließen bis zum energisch auftrumpfenden Schluss.

Ein anderes Klangbild boten die Wiener Symphoniker unter dem recht zügig dirigierenden Spanier Gustavo Gimeno: sonnig, wohlig rund abgestuft, beste Streicherdisziplin, hervorragende Bläser, und ein „russisches“ Programm, zu Anfang die Ouvertüre zu Rimski-Korsakows Oper „Die Zarenbraut“, sehnsüchtig, schwelgerisch beginnend, dann wild ausufernd und ruhig lieblich endend.

Schicksalsmächtig

Der fesselnde Höhepunkt des Abends aber war Tschaikowskys Klavierkonzert Nr. 1 b-moll mit Khatia Buniatishvili als Solistin. Viele im voll besetzten Saal meinten: „Unglaublich! So haben wir das noch nie gehört!“ Die temperamentvolle Pianistin aus Georgien, bekannt für ihre wild wirbelnde Haarpracht, griff gleich kraftvoll, mit fast kühlem Elan in die Tasten, entfaltete Schicksalsmächtiges in wahnsinnig rasanten Läufen, glitzerndem Perlen, völlig homogen in den energischen Fluss der Gedanken eingebauter Virtuosität, konnte aber auch Versonnenes zum Ausdruck bringen in stetigem Dialog mit dem Orchester, das sie vom Klavier her inspirierte; in Wellen entfaltete sie ein breites Ausdrucksspektrum. Das Andante begann als eine liebliche Idylle, bis wieder wildes Jagen, Heftiges die Oberhand gewann, und das Finale war einfach großartig durch seine mitreißende Kraft. Kaum konnte sie das fast ausrastende Publikum mit einer Händel-Zugabe beruhigen. Mit Strawinskys „Feuervogel“ in der Version von 1945 konnten die Wiener dann ihre exzellenten Qualitäten bei der musikalischen Schilderung der märchenhaften Szenen zeigen, als ein Klanggemälde, träumerisch, melancholisch, spannend bis zum strahlenden Schluss.

Bewegendes Herzensdrama

Auch Lied-Nachmittage können begeistern. Zwar ist Schuberts berühmter Zyklus „Die schöne Müllerin“ den meisten geläufig, doch sehr gespannt war man auf den Tenor Simon Bode; als Pianist war Igor Levit angekündigt, und der erwies sich weit mehr als ein Liedbegleiter, denn er kündigte mit seinem farbigen Spiel die Gefühle des wandernden Müllerburchen an, deutete sie, spiegelte sie in Naturbildern. Sänger und Pianist entfalteten ein bewegendes Herzensdrama.

Selten hört man den Zyklus so direkt, so packend, von jugendlichem Impetus und Resignation geprägt, selten so textnah, so deutlich verständlich artikuliert wie von dem Tenor aus Hamburg. Oft werden diese Lieder aus einer gewissen intellektuellen Distanz heraus interpretiert, quasi als Kunstprodukt. Bode aber vermittelte mit klarer, kräftiger, hell kerniger Stimme, einer Vielfalt von Farben, strahlenden Höhen, sanfter Lyrik und feinstem Pianissimo die Regungen dieses schließlich unglücklich Verliebten, nachdrücklich, ohne je zu forcieren, zeigte Schmerzliches, Zweifel, Empörung über die Zurückweisung glaubhaft und verlor dabei nie das Staunen über die Schönheiten der Natur, bis er mit feinster Kopfstimme, leise verklingend in fast überirdischen Frieden eintauchte am Grund des Baches. Levit unterstrich dies mit variablem Anschlag, mal stürmisch, mal sonnig, mal inbrünstig, mal mutlos stockend mit ständigen Tempowechseln, und die spannende Einheit von Stimmgestaltung und Klavierspiel fesselte die Zuhörer.

Gedenken an Enoch zu Guttenberg

Unter dem Titel „Verstörende Schönheit“ wurde des jüngst verstorbenen Enoch zu Guttenberg gedacht. Er hatte das Programm noch selbst geplant, so, als hätte er seinen Tod geahnt, wollte dabei die von ihm gegründete Chorgemeinschaft Neubeuern und die Bamberger Symphoniker dirigieren. An seiner Stelle übernahm die erfahrene Jane Glover die Leitung, energisch, mit großem Ernst. Die Trauerkantate von Georg Melchior Hoffmann „Schlage doch, gewünschte Stunde“ für Alt, Streicher, Basso Continuo und zwei Glocken, die das Verrinnen der Zeit symbolisieren sollen, formulierte die Sehnsucht nach dem Tod in der tröstlichen Zuversicht auf ein Weiterleben im Himmel. Die sanft abgestuften Streicher und der warme Glanz der Stimme von Anke Vondung strahlten christliche Heilsgewissheit aus.

Schroff und irgendwie von Trostlosigkeit geprägt wirkte dann Mozarts Adagio und Fuge in der Fassung für Streicher KV 546, abweisend, fast wüst, ohne jede versöhnliche Wendung. Daran schloss sich Mozarts Requiem am, das sein Freund Eybler und sein Schwager Süßmayr nach seinem Tod vollendet hatten. Die Chorgemeinschaft Neubeuern in einheitlich dunklen Dirndln und Trachtenanzügen beeindruckte mit mächtigem, abgerundeten Klang; das „lux perpetua“ verströmte vielschichtige Hoffnung; im dichten, harmonischen Gewebe der männlichen und weiblichen Stimmen schälten sich deutliche Steigerungen und feine Schattierungen heraus.

Die recht zügig gegebene Fuge des „Kyrie“ verstärkte eindrucksvoll das Flehen um Erbarmen; stark, fast bedrohlich drängend gelang zu den schnellen Orchester-Aufschwüngen das „Dies irae“, und erschreckend wirkte die Posaune des Jüngsten Gerichts zum kernigen Bass von Yorck Feliy Speer, den Voraussagen des angenehmen, glänzenden Tenors von Werner Güra, der golden getönten Altstimme von Anke Vondung und des vollen, runden Soprans von Susanne Bernhard, die so der Trauer um ihren verstorbenen Verlobten berührenden Ausdruck verlieh. Nach sanften Chorbitten und versöhnlichen Streicherfiguren steigerte sich alles noch einmal dramatisch, bis das „Lacrimosa“ Sehnsüchtiges einleitete, vom „Amen“ bekräftigt. In den folgenden, nachdrücklich akzentuierten Teilen des Requiems mit einem strahlenden „Sanctus“ als Gottespreis der Solisten war dann wieder Schmerzliches spürbar, bevor der Sopran mit seiner hell leuchtenden Bitte um ewiges Licht und eine Chorfuge das Werk sanft flehend ausklingen ließen. In einer ergreifenden Gedenkminute der Trauer schwieg der fast vollbesetzte Saal, dann aber wurden Solisten, Chor und Orchester bejubelt. (Renate Freyeisen)

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