Kultur

Der Brustschmuck in Form eines Raubvogels aus Panama. (Foto: Völkerkundemuseum)

22.06.2012

Exotische Hommage an Moritz Wagner

Das Münchner Museum für Völkerkunde wird 150 Jahre alt und feiert das mit einer sehenswerten Sonderausstellung

Im Frühjahr 1836 macht sich mit Moritz Wagner der erste wissenschaftliche Reisende aus Deutschland nach Algerien auf, um das Land unter völkerkundlichen und geographischen Gesichtspunkten in seiner Gesamtheit zu erforschen. Den ersten Eindruck des Landes beschreibt er in seinem Buch Reise in der Regentschaft Algier in den Jahren 1836, 1837 und 1838 jedoch als mehr verwirrend denn erfreuend. „Ich träumte in der ersten Nacht so buntes Zeug, als je ein Märchenschreiber von Bagdad“, so Wagner.
Doch die anfängliche Irritation sollte nicht das Ende seiner Neugierde auf fremde Welten bedeuten. Weitere Reisen führten ihn später von den Küstenländern des Schwarzen Meeres bis nach Persien, nach Nord- und Mittelamerika, in die Karibik und nach Costa Rica, Panama und Ecuador. König Maximilian II. von Bayern finanzierte nicht nur letzteren Forschungsaufenthalt. Er würdigte Wagners Engagement für die Wissenschaften 1862 durch dessen Ernennung zum Konservator der Ethnographischen Sammlung des Staates - dem heutigen Staatlichen Museum für Völkerkunde.
Das zog 1926 von den Hofgartenarkaden in die Maximilianstrasse um. 2012 feiert es mit der Ausstellung „Netzwerk Exotik“ sein 150-jähriges Jubiläum, obwohl die Sammlung dem normalen Publikum erst 1868 zugänglich gemacht wurde. Doch 1862 wagte man zum ersten Mal eine museale Auseinandersetzung mit der Kultur fremder Völker in Deutschland. Zudem markiert dieses Jahr den Ursprung eines veränderten kulturwissenschaftlichen Denkens, das die Untersuchung von Objekten aus fernen Ländern zur Erforschung schriftloser Völker zuließ.
Heute sind in diesem ältesten deutschen Museum seiner Art über 160 000 Ethnographica und Kunstwerke außereuropäischer Völker zu sehen. Vor allem aber ist „Netzwerk Exotik“ eine Hommage an Moritz Wagner und an seine Verdienste um die Erforschung fremder Kulturen.
In nur drei seiner Räume, die zu den historischen Freskensälen gehören, bietet das Museum trotzdem einen kompletten Überblick über Wagners Leben, zeichnet die Anfänge der Ethnographischen Sammlung des Staates im Galeriegebäude am Hofgarten nach und präsentiert Objekte aus für das Völkerkundemuseum wichtigen Sammlungen wie der von Philipp Franz von Siebold aus Japan.
Diese kleine, intime Jubiläumsausstellung zeigt aber auch, dass Netzwerke keine Erfindung des 20. Jahrhunderts sind – vor allem nicht im Bereich der Wissenschaften. Denn nur durch seine Kontakte zu Forschern, Sammlern, Institutionen und Förderern gelang es Moritz Wagner, eine bemerkenswerte Anzahl an Objekten für sein Museum zu erwerben. So erhielt er beispielsweise trotz des Scheiterns seiner Teilnahme an der berühmten Novara-Expedition von 1857 bis 1859 – der ersten großangelegten wissenschaftlichen Weltumsegelungsmission der österreichischen Kriegsmarine – eine größere Anzahl an Objekten aus dieser Sammlung. Behilflich war hierbei Karl von Scherzer, ein Forscher und Mitreisender.
Dieses Netzwerk war jedoch nicht das einzige, das Wagner ausnützte. 1872 einigte er sich beispielsweise auf einen Tausch von Südseeobjekten aus dem britischen Museum gegen sogenannte „Dubletten“ aus der Sammlung der Forscher Johann Baptist von Spix und Carl Friedrich Philipp von Martius. Bei dieser Art des Kulturaustausches hatte man sich damals darauf geeinigt, dass es zwei identische Ausgaben eines Objekts geben konnte, von denen eines entbehrlich ist – eine kreative Idee, den Bestand des eigenen Museums zu erhöhen.
Aus Nord- und Lateinamerika, Süd-, Inner- und Ostasien, Ozeanien, aus Afrika und dem Orient stammen die nun ausgestellten Objekte im Rahmen der Ausstellung „Netzwerk Exotik“. Eine Kriegskeule aus Indonesien ist da zu sehen, die ein wenig aussieht wie eine umgeknickte Sonnenblume – hätte sie nicht diesen bedrohlichen, spitzen Stachel in ihrer Mitte. Oder ein aus dem 18. Jahrhundert stammendes rotes Mandarinzepter mit Elefantendarstellung aus der Sammlung von Karl von Scherzer.
Die beeindruckendsten Objekte sind jedoch die aus Elfenbein gefertigten wie ein Fächer aus Sri Lanka aus dem 16. Jahrhundert oder eine Elfenbeinpagode aus China, die Eugen Bumiller 1877 auch unter einigen Hundert Mark Kostenpreis an Moritz Wagner verkaufen wollte, „denn diese Kunstschnitzerei ist nur für ein Museum zu verwerten“. Eine filigrane Handarbeit ist dieser Turm mit seinen winzigen, jedes Geschoss umgebenden Glöckchen und ragt wie eine Rakete in den Himmel hinauf.
Das Völkerkundemuseum ist jedoch nicht der einzige Ort in München, an dem die Exotik ferner Länder spürbar wird. In dem etwas anderen Ausstellungskatalog zur Jubiläumsausstellung haben die Mitarbeiter des Museums in kleinen Informationsbroschüren zu jedem Kulturraum anhand kurzer Beschreibungen aufgezeigt, welch kulturelle Vielfalt in der Bayerischen Landeshauptstadt anzutreffen ist. Da gibt es den Cowboy Club München 1913 e.V. auf dem Floßgelände in Thalkirchen oder die afrikanischen Löwen im Tierpark Hellabrunn, die Gemälde von Paul Gauguin aus Tahiti in der Neuen Pinakothek oder die neun Meter hohe thailändische Sala mit einer Buddha-Statue in einem Wasserbecken im Westpark.
„Netzwerk Exotik“ ist somit nicht nur eine Gelegenheit für das Völkerkundemuseum, sich wieder stärker in der Münchner Museumslandschaft zu positionieren, sondern auch eine Gelegenheit für das Publikum, die eigene Stadt als interkulturellen Raum neu zu entdecken. (Lena Kettner)

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