Kultur

Grafiken und Zeichnungen sollen auf der Internetplattform Bavarikon einen eher sinnlichen Einstieg in die Geschichte Aschaffenburgs vermitteln. (Screenshot: Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg)

18.06.2021

Fulminanter Auftritt

Lange hat es gedauert, bis es auch Dokumente aus Aschaffenburg auf die Internetplattform Bavarikon schafften

Ludwig I. reimte über Aschaffenburg einst „fühle mich heimisch bei dir, obgleich du nicht Heimath mir warest“ und bezeichnete die Stadt schwärmerisch als „bayerisches Nizza“, zumindest besagt dies eine Legende. Dieses Bild ist verblasst – heute wird wegen der geografischen Lage Aschaffenburg schon mal als Schwanzquaste des bayerischen Löwen bezeichnet. Aus altbayerischer Sicht mag das herablassend klingen – andererseits beklagend in der Eigenwahrnehmung, wenn man sich in der unterfränkischen Stadt am „äußersten Ende“ des Freistaats auch politisch an den Rand gedrängt oder schlicht übersehen fühlt. München ist weit entfernt – das hessische Frankfurt dagegen gleich nebenan, und hat man die Rhein-Main-Region im Blick, ist Aschaffenburg sogar mitten unter den Hotspots dieses starken Wirtschaftsraums.

Ohnehin gehört Aschaffenburg ja „erst“ seit etwas über 200 Jahren zu Bayern: 1814 wurde es dem jungen Königreich zugeschlagen, was seine kurze Episode als eigenständiges Fürstentum und zuvor die viele Jahrhunderte währende Zugehörigkeit zum namhaften und mächtigen Kurfürstentum Mainz, dessen bedeutender Verwaltungssitz man war, beendete.

„Dieses Selbstbewusstsein ist bis heute in Aschaffenburg präsent“, sagt Joachim Kemper. Er ist der Leiter des Stadt- und Stiftsarchivs Aschaffenburg, der ersten Adresse, wo die Stadtgeschichte im Bannkreis der großen Reichspolitik hervorragend abgebildet ist. Das Archiv selbst ist eine Besonderheit, was schon der Name zeigt: Hervorgegangen ist es aus dem Archiv des Kollegiatstifts St. Peter und Alexander, das nach der Säkularisation an den Freistaat fiel, von diesem aber der Stadt Aschaffenburg quasi als Dauerleihgabe zur Verwaltung übertragen wurde – was 1939 zur Gründung des Stadt- und Stiftsarchivs in seiner heutigen Form führte.

Arbeit an der Identität

Das Thema Identität rührt an einem Punkt, der selbst in der digitalen Welt an eine Randlage denken lässt: Erst seit Kurzem tauchen in Bavarikon, der seit 2013 freigeschalteten Kulturplattform des Freistaats in Internet, Dokumente aus dem Aschaffenburger Archiv und der dortigen Hofbibliothek auf. „In Bavarikon sollen vorzugsweise digitale Zeugnisse präsentiert werden, die für die kulturelle Identität des Freistaates von herausgehobener Bedeutung sind“, liest man über den Selbstanspruch auf der Plattform unter „Über uns“.

Ist das ein Beispiel für die viel zu späte Erinnerung daran, dass Bayern nicht vor den Toren Aschaffenburgs endet? Joachim Kemper lenkt ein: „Na ja, es lag schon auch an uns, dass wir diese repräsentative Bühne im Netz nicht eher bespielt haben.“ Zweifelsohne spielte da eine Rolle, dass erst Landesmittel für die Digitalisierung und all die zeitraubenden Erschließungsarbeiten einen enormen Schub brachten, sodass nun ein ordentliches Pfund in die Waagschale geworfen werden kann: Knapp 60 000 Digitalisate aus Aschaffenburg sind nun in Bavarikon sichtbar, und das Bestücken soll weitergehen. Das Stadt- und Stiftsarchiv hat bislang rund zwei Drittel seiner digitalisierten Bestände eingestellt (der Urkundenbestand erfolgt aktuell), die Hofbibliothek ist dort bereits mit all ihren Digitalisaten sichtbar.

Damit hat nun jedermann Zugang zu einem zentralen Quellenfundus nicht nur zur besonderen geografisch wie politisch grenzüberschreitenden Vergangenheit Aschaffenburgs, sondern auch zur bedeutenden überregionalen Geschichte am Untermain. Die Stadt war einst die Nebenresidenz und zweite Hauptstadt der Mainzer Erzbischöfe, die zu den sieben „Königswählern“ im Reich gehörten und deren Kirchenprovinz lange Zeit die größte nördlich der Alpen war.

Was man in Bavarikon beim Stadt- und Stiftsarchiv entdecken kann, lässt sich in drei Objektkategorien unterteilen: „Wichtig sind natürlich Dokumente aus unseren grafischen Beständen“, sagt Joachim Kemper. „Bavarikon ist ja auch so etwas wie eine riesige digitale Ausstellung zu Bayern. Deshalb zeigen wir in Grafiken und Zeichnungen viele Ansichten von Aschaffenburg. Man soll sich von der Vergangenheit am Untermain auch ein sinnliches Bild machen können und nicht nur in Quellen lesen.“

Überregional bedeutend

Das Gros der Archivalien ist dann aber doch Lesestoff: Es sind Urkunden seit dem Mittelalter bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts. Als dritte Kategorie nennt der Archivleiter Handschriften wie die mittelalterlichen Totenbücher und vor allem die jährlich geführten Protokollbücher, in denen sich die Wirtschafts- und Sozialgeschichte ebenso wie die Politik des Stiftes spiegeln.

Schritt für Schritt will man immer mehr in Bavarikon sichtbar machen – aber viele Akten müssen zuvor erst noch digitalisiert werden. „Und die müssen wir zum Teil erst einmal reinigen. Über manchen liegt dicker Staub, einige sind von Schimmel befallen.“ Joachim Kemper spricht davon aber nicht etwa wie von einer nur leidigen Pflichtaufgabe, sondern auch von geradezu archivarischer Abenteuerlust: „Vielleicht gelingt uns ja noch einmal eine so sensationelle Entdeckung wie im vergangenen Jahr?“ Zerschlissen und geradezu unwürdig sah eine Urkunde aus, die ein Scan-Mitarbeiter herausfischte. Der entzifferte Inhalt sei belanglos, winkt der Archivexperte ab, „aber das Stück entpuppte sich bald als älteste im Original erhaltene Urkunde vom Untermain“. Ausgestellt hatte sie Kaiser Otto II. im Jahr 982. Bislang wurde das Dokument unter „verschollen“ geführt, man besaß nur eine Kopie davon: 1912 war das Original letztmalig einem Archivnutzer vorgelegt worden.

Nun wird die Urkunde – restauriert und nach heutigen Kriterien verzeichnet – sicher und jederzeit wiederauffindbar im Archivdepot verwahrt. Aber ihr digitales Double wird seinen großen Auftritt am 25. Juni im Bavarikon haben: Ab dann soll es mit weit über 1000 mittelalterlichen Urkunden dort zu studieren sein. An dem Tag wird Bayerns Digitalministerin Judith Gerlach, eine Aschaffenburgerin, im Ridingersaal des Aschaffenburger Schlosses zur Projektpräsentation erwartet. (Karin  Dütsch)

Abbildung:
Ein Dokument, das Kaiser Otto II. im Jahr 982 ausstellte: Es handelt sich dabei um die älteste im Original erhaltene Urkunde am Untermain. Ihr digitales Double wird demnächst auch in Bavarikon zu sehen sein.    (Foto: Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg)

Information:
www.bavarikon.de/stadtarchiv-aschaffenburg
www.bavarikon.de/hofbibliothek-aschaffenburg

 

 

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